Hat das eigentlich alles Sinn?

Während meines Weges habe ich mir ja nun schon mächtig viele Fragen gestellt, aber ich habe vor ein paar Tagen eine Mail von *Marius bekommen, die mich nachdenklich stimmt. *Marius ist selbst betroffen, hat auch schon Therapien gemacht, kennt aber noch immer diese schwarzen Löcher und Gedankenschleifen. Was könnte mich jetzt noch bewegen, dass ich hier irgendwas aufgreife? Ehrlich? Normal nichts. *Marius hat mich erreicht, hiermit:

„Die Krankheit bestimmt bis jetzt unser Leben, lass unser Leben die Krankheit bestimmen und versuchen sie zu akzeptieren, sie an unserem Leben teilhaben zu lassen! Etwas möchte die Krankheit uns sagen, davon bin ich überzeugt. Auch wenn es immer wieder scheiß Momente gibt, Momente die mich runterziehen, Momente die meine Gedanken so in Anspruch nehmen, dass ich abends keine Kraft mehr habe, muss diese Krankheit für etwas gut sein!“

Seit Tagen lasse ich mir das jetzt durch den Kopf gehen. „Was will die Krankheit bzw. mein Verhalten mir sagen?“ Konkrete Antworten? Entscheidet selbst …

Was sagt mir das alles? Hat es eine besondere Bedeutung? Jein. Ich kann es nicht verallgemeinern. Betrachte ich nur mich, dann kann ich sagen: Ja, mein Verhalten und die „Krankheit“ sagt mir einiges. Sie hat mir gesagt, dass ich meine Kindheit nicht ändern kann und es mir nichts bringt, das erlernte Verhalten weiter beizubehalten oder mich den verletzten Gefühlen hingebe. Sie sagte mir, dass ich ehrlich sein soll. Ehrlich vor allem zu mir selbst, dann kann ich es auch bei anderen sein. Und sie hat mir geflüstert, dass Weltuntergangsszenario keinen Sinn hat. Gezeigt hat sie mir auch, dass Suizidgedanken anstrengend und kraftraubend sind. Sie will mir immer noch den Weg zu mir selbst zeigen, wie ich selbst glücklich sein kann (nicht nur punktuell), die kleinen Dinge des Lebens schätze, mich selbst akzeptiere und genau das mache, was mir gut tut. Sie zeigt mir, dass ich nicht immer nach etwas besserem streben muss, ich nicht ständig vergleichen soll, ich meine eigenen Kompetenzen habe, auf die ich vertrauen darf.

Sie sagt aber nicht nur was, sie schreit mich auch an. Hört ihr nicht? Ich spinne? Jeden Tag bekomme ich es ins Gesicht gebrüllt: „Kümmer dich um dich, sei stolz auf dich, lobe dich, sorge dich, achte auf dich, sei es dir selbst wert, akzeptiere dich (du bist verdammt nochmal gut, wie du bist), liebe dich, überforder dich nicht, ärgere dich nicht zu sehr und bleib bei dir selbst. Hinterfrag dich, warum du gekränkt bist und ob es nötig ist. Lerne nein zu sagen und trenne dich von Belastungen.“ Sie zeigt mir den Weg zu meinem eigenen Bewusstsein, den Weg zu mir und meinem wahren ICH.

Kurzum: Ich soll endlich aufhören mir zu schaden und endlich mein Leben leben. 

Klingt so einfach? Pfoah, nein, ist es bei weitem nicht. Wenn es das wäre, dann hätte ich mit dem Finger geschnippst und alles wäre eine wundervolle Blümchenwiese, auf der ich vermutlich in nem weißen Kleid meine Kreise drehe. Herrliche Vorstellung! Doch der Weg ist nach wie vor viel Arbeit. Bei jedem von euch ist es anders, ihr habt andere Geschichten, Erlebnisse und Wahrnehmungen – für mich ist es Arbeit, oft harte Arbeit mit Tränen, Rückschlägen und Wut auf mich. Ich lerne all das oben genannte gerade und ich werde auf keinen Fall aufgeben! Ich will leben! ICH WILL JETZT SELBSTBESTIMMT UND UNPROGRAMMIERT LEBEN! Ehrlich, offen, direkt.

Gibt es Einwände? Gut …
Wieso kann man vom „Sinn von Depression“ sprechen? Ist denn nicht Depression etwas zutiefst Sinnloses? Feindliches? Etwas uns durchdringend Zerstörerisches? Ist Depression denn nicht in jeder Hinsicht durch und durch negativ? Und ist denn nicht gerade das Charakteristikum der Depression die Sinnentleerung? Das Zweifeln am Sinn? Ist Depression nicht das Gefühl, nicht einmal mehr Gefühle haben zu können?

Lasse ich alle durchweg gelten. Doch wie oberflächlich beschäftige ich mich dann mit mir selbst? Zwingt mich die Veränderung nicht dazu, mich intensiver und tiefgehender mit mir zu beschäftigen? Und kann ich nicht tiefere Zusammenhänge erkennen, wenn ich mich auf die Therapie und Hilfsmittel einlasse? Ist mein depressives Verhalten nicht vielleicht auch einfach nur eine Schutzmaßnahme vor erlebten Situationen?

Ich habe mich entschlossen es zu ändern. Die Depression / Dysthymie wird mich sicher noch eine Weile begleiten, mir nen Haken stellen, aber ich bestimme, wie schwer es wird.

**************
*Marius = der Name ist geändert. Die Mail gibt es trotzdem, sie hat mich inspiriert, ich lege mittlerweile viel Wert auf den Austausch, der mich auch ein Stück weiterbringt. Danke. Danke, dass du mich an deinen Gedanken teilhaben lässt.

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4 Kommentare

  1. Hi,

    interessante Ansicht. Ich denke schon länger so und versuche danach zu leben. Ich habe in meinem Ebook darüber geschrieben, wie ich langsam lerne mit meiner Depression zu leben und den Weg mit ihr zu bestreiten. Auch habe ich in einem kürzlich erscheinenden Blogbeitrag darüber geschrieben, ob es sich noch lohnt, die Depression zu bekämpfen. Denn dies erfordert viel Kraft, die wir wesentlich besser nutzen können.

    Jedoch weiß ich auch, dass einige Dinge immer einfach ausgesprochen oder geschrieben sind. In Wirklichkeit bedarf es viel Zeit, Geduld und Arbeit etwas zu verändern.
    Grüße!

    1. Dem kann ich nichts weiter hinzufügen. Der Weg ist kein kurzer, er kostet Kraft, es gibt Rückschläge, neue Erkenntnisse und vor allem den Weg zu sich selbst. Es gibt nichts lohnenderes, als am Ende „Herr der Lage“ zu werden und das Leben zu genießen.

  2. Hat das eigentlich alles Sinn? Ja, es hat einen Sinn zu kämpfen. Ich sehe meine Depression als einen Teil von mir. Sie ist da und ich muß mit ihr leben. Ich kann sie akzeptieren, weil ich versuche, das Beste daraus zu machen. Ich habe gelernt, das Gedankenkarussell in meinem Kopf unter Kontrolle zu bringen. Wenn es mir schlecht geht, muß ich mich ablenken. Wenn es mal abwärts geht, kommt auch wieder ein Punkt, da es bergauf geht.
    Das Leben ist schön! Man muß das Beste daraus machen. Jeden Tag.

  3. Eigentlich kann ich deinem Text vollkommen zustimmen, eigentlich. Denn nach meinem Verständnis von 25 Jahren an Depressionen bin ich zu der Erkenntnis gelangt, das die Depression zum einen ein wesentlicher Teil von mir ist und zum anderen auch ein sehr wichtiger Teil, nämlich der Teil welcher mich davor bewahrt mich zu übernehmen.

    Nach meiner persönlichen Erfahrung zu urteilen sind Depressionen ein Ausdrucks des Körpers, also Seele/Geist/usw. dir mitzuteilen das ETWAS total verkehrt läuft mit dir. Mit dir und deinem Leben, sozusagen die Kommunikation mit einem selbst, das sind Depressionen für mich.

    Zu einer Krankheit werden Depressionen erst dann, wenn selbige das Leben bestimmen in der Form sowie Art und Weise das nichts mehr geht. Punktuell oder über Tage/Woche/Monate/Jahre!

    Nach dem Sinn zu fragen, zeigt nur die Angst vor dem Leben auf.

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