2 Jahre Leben – eine Wahrheit

Nach „Leben – ein ganzes, volles Jahr …“ sind wir im zweiten Akt angekommen. Zwei Jahre ist der Bengel nun schon auf der Welt und stellt nach wie vor alles – wirklich alles auf den Kopf. Vor einem Jahr habe ich ihm noch Neugier gewünscht, Skepsis bei fremden Menschen, Mut, die spielerische Unbedarftheit, die Liebe, das Talent für alles und diesen wahnsinnig frechen Humor. Herrgott! Alles ist so geblieben. Alles! Vielleicht ist es sogar noch intensiver geworden.

Alles erdenklich Gute zum Geburtstag mein Sohn! Restlos alles erdenklich Gute.

Zwei Jahre also nun schon. Zwei Jahre, die sicher nicht nur einfach waren, die Kraft und Nerven gekostet haben – wenn auch erstaunlich wenig. Wenn mir einer gesagt hätte, wie einfach die ersten zwei Jahre werden, hätte ich ihn ausgelacht. DAS habe ich mir so nicht vorgestellt – und ich genieße es. Wenn du nur dein unsägliches Gequietsche wegen nichts lassen würdest. Ich weiß nicht, wer dir diesen Ton beigebracht hat, aber eine Mischung aus Trillerpfeiffe und Hupe ist abartig anstrengend. Zumindest wegen nichts. Wegen nichts! Ja, ich jammere auf hohem Niveau – alles andere klappt so reibungslos, dass es nicht der Rede wert ist. Ich bin sehr stolz auf dich und glücklich.

Aber Eltern sein hat Schattenseiten. Manchmal. Nein, nicht immer, aber manchmal. Es bleibt eben vieles auf der Strecke. Leben zum Beispiel. Wenn ich nicht früh genug dafür sorge, dass ich als Elternteil ein Leben behalte und nicht nur Vater bin, dann bin ich sehr schnell raus. Raus aus den sozialen Kontakten und dem Leben vor dem Kind. Am Anfang ist das sicher normal, weil sich alles ums Baby dreht, doch nach der Zeit ruft das Leben wieder. Dann ist es plötzlich weg und der Weg dahin auch versperrt. Mit Frust, mit Erwartungen, mit überflüssigen Gedanken, mit Neid, mit so vielen anderen Dingen, dass Menschen nicht mehr „einfach so“ zusammenfinden. Irgendwann ist der Punkt überschritten, einfach leben zu können. Irgendwann ist man soweit voneinander weg, dass vieles in Vorwürfen und „Alltag“ endet. Mit Glück geht es wieder dahin zurück, wo es mal war, aber es ist ein Lernprozess.

Abweisung ist eine Chance, keine Strafe!
Es ist auch ein Lernprozess, mit Abweisung umzugehen. Nein, mein Sohn möchte nicht immer mit mir spielen. Nein, er möchte auch nicht immer auf meinen Arm. Und er möchte auch nicht immer an meine Hand. Und er lässt sich auch schon gar nicht immer was von mir sagen. Das ist auch völlig ok. Für ihn. Er hat die Wahl und kann entscheiden. Und es ist einfach nur normal, dass er manchmal mehr die Nähe seiner Mama sucht, als meine. Immerhin bin ich mehr aus dem Haus, als sie. Natürlich ist die Bindung dann bei den beiden intensiver. Ich durfte die Schwangerschaft ja auch nur begleiten und habe ihn nicht selbst 9 Monate bei mir getragen. Das kann (!!!) anstrengend werden, wenn ich selbst nicht den besten Tag habe. Seine Nähe soll es nicht kompensieren, das wäre etwas, was er mir gar nicht bieten soll. Es sind aber Tage, an denen mein Selbstwert auch darunter leidet. Abweisung. Zurückweisung. Der Wunsch geliebt zu sein.

Lass die eigene Kindheit los!
Der Wunsch geliebt zu sein, ist nicht „im Heute“ entstanden. Das war damals. Damals, als ich selbst noch so klein war, wie mein Sohn. Damals, als ich wehr- und schutzlos dem Verhalten meiner Vertrauenspersonen ausgeliefert war. Damals, als ich selbst noch keine Mittel hatte, richtig für mich zu sorgen. Damals, als ich als Kind nur meine Eltern lieben wollte und sie mich lieben mussten. Es war eben nicht so, wie ich es als Kind gebraucht hätte. Heute – als Erwachsener – erwische ich eben doch noch das Kind in mir, dass diese Liebe gerne hätte. Also stoppe ich mich. Und ja, ich frage mich, ob ich nun der Junge von damals bin mit dem Gefühl, oder ob ich gerade noch Vater bin. Immerhin ist es mein Wunsch, mein Gedanke und mein Gefühl dazu. Nicht das meines Sohnes. Es ist sehr schnell klar, dass ich das als Kind bin. Und dann muss ich für mich sorgen. Sofort. Ich möchte auch nicht aus der Situation, ich möchte mich nicht rausnehmen – und so braucht es eine schnelle Auflösung. „Pass auf dein kindliches Ich auf, wie du es für deinen Sohn machst“, schreit es dann laut in meinem Kopf. „Achte darauf, dass ihm nicht ähnliches widerfährt. Du weißt und kannst es besser“, kommt es direkt hinterher. Ich weiß es, ich mache es und ich kann es. An jedem dieser Tage.

Liebe ist kein Belohnungsprinzip
Liebe. So kostbar. Und so bedingungslos, wenn sie von einem Kind ausgeht. Und als Erwachsene? Knüpfen wir gerne Bedingungen daran. An Nähe und Zuwendung. Ein Kind? Hat keine Bedingung. Nicht eine. Es liebt einfach, weil ich sein Vater bin. Und weil ich für ihn genau der Vater bin, den er braucht. Wenn das erstmal im Bewusstsein angekommen ist, geht es auch an vielen anderen Stellen. Völlig ohne Bedingungen genau das zu geben, was das Gefühl von Liebe ausmacht. Manchmal reichen da in schweren Situationen auch kleine Gesten und Berührungen aus, die so viel mehr aussagen. Doch wie oft läuft es auch andersrum? Wie oft sind wir in einer „Wenn … , dann … „-Haltung? „Wenn du dich vernünftig benimmst, dann hättest du auch mehr von mir.“ Nein, es geht nicht ganz ohne wenn-dann-Formel, aber wir können sie vermeiden. Viel öfter. Zusammensein in der Form braucht keine Bedingungen, auch wenn mal einer von beiden nicht so in der Spur. Auch dann, wenn einer von beiden mal mehr übernehmen muss, als der andere. Ich mache es mit einem Kind ja auch nicht. Ich bin für ihn da, auch wenn er Mist macht. Ich nehme ihn in den Arm, wenn er wütend ist und zeige ihm, dass ich ihn liebe, auch wenn ich seine Wut nicht verstehen kann. Ich schicke ihn nicht weg, weil er grundlos weint. Er soll das alles durchleben – muss aber auch wissen, dass ich ihn nicht verurteile, sondern beschütze und immer da bin. An der Liebe darf es keine Zweifel geben, sonst zerschneiden wir das Vertrauen schneller, als uns lieb ist.

Hör auf um Aufmerksamkeit zu kämpfen
Wenn ich all diese Zweifel gar nicht erst aufkommen lassen muss, dann braucht es keine Kämpfe. Dann verstärke ich einfach das Gefühl des Zusammenhaltens. Dann schaffe ich einen Grundstein, der das Urvertrauen nicht schmälert, sondern bestärkt. Dann gibt es immer diesen „sicheren Hafen“, den wir uns oft selbst wünschen. Den, den wir vielleicht früher vermisst haben. Und dann werden automatisch stärker, selbstbewusster und sicherer im Umgang mit dem Leben. Wenn ich nicht hinterfragen muss, was ich zu tun habe, um Liebe zu bekommen, dann lebe ich. Frei. Frei von Ängsten, dass Liebe nur eine Illusion zu sein scheint. Dann bin ich frei von all den Ängsten und Wünschen, die ich als Kind selbst hatte – und die mich heute noch oft genug begleiten, gegen die ich noch so oft arbeite. Ich möchte nicht kämpfen, ich möchte sein.

Die Wahrheit
Vater zu sein, wenn du selbst noch öfter in kritischen Situationen steckst, ist nicht leicht. Manchmal ist es ein Kampf gegen die eigenen Gefühle. Mein Kind ist einfach. Die Umstände sind es manchmal einfach nicht. Das ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist auch, dass mir ein zweijähriger Junge zeigt, wie das mit dem Leben und den Gefühlen geht. Einfach so. Weil er ist, wie er ist. Und weil er möchte, dass ich mich auf einlasse und da bin. Ich bin es. Ich versuche es. Und ich möchte, dass es nach wie vor keinen Tag gibt, an dem ich sagen muss: „Du, Papa geht es heute nicht so gut.“ Nicht wegen meiner Psyche, meiner Erlebnisse oder anderen Dingen. Falls doch, dann werde ich es mir eingestehen müssen und ihm gegenüber zugeben, damit er auch das ehrlich kennenlernt (und ich weiß, er wird mir nichtviel Raum geben und mich wieder in seine Welt holen). Das ist die Wahrheit.

Schön, dass es dich gibt! Wir gehen weiter und ich werde dein Hafen sein.

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