Sei doch einfach glücklich!

Einfach glücklich sein. Einfach so. Ich? Ja, das geht. Ich bin sehr schnell glücklich. Manchmal sogar auch zufrieden. Manchmal eben auch nicht. Meistens dann, wenn mir Menschen sagen wollen, wann ich glücklich zu sein habe. Oder zufrieden. Oder stolz. Oder alles zusammen. Eigentlich immer genau dann nicht, wenn Menschen mir sagen wollen, wie ich zu fühlen habe – positiv wie negativ.

Ist es nicht allein meine Entscheidung, wann ich ein Gefühl habe? Oder welches Gefühl ich habe? Muss ich denn immer irgendeinen Fokus ändern, damit es besser ist? Muss ich immer glücklich sein, weil mein Leben ein bestimmtes Kriterium für Glück erfüllt? Und warum muss ich immer glücklich sein, weil jemand anderes das möchte?

Gefühle gehören zum Leben dazu. Ich kann froh sein, dass ich diese Gefühle habe. In den schweren depressiven Episoden hatte ich kaum Gefühle. Nur Wahrnehmungen. Aber Gefühle? Fast nicht da. Nur: „Es ist mir egal. Ich bin mir egal. Alles andere ist auch egal.“ Gefühle wollen gelebt und wahrgenommen werden – und nicht unterdrückt. Und viel zu oft fängt die Unterdrückung von Gefühlen schon im Kindesalter an. „Stell dich nicht so an!“ „Indianer kennt keinen Schmerz!“ „So schlimm ist das alles doch gar nicht.“ Und das sind die harmlosen Varianten. Ja, auch ich erwische mich dabei, dass ich meinem weinenden Sohn nach 10 Minuten diesen Satz sage. Vorher frage ich aber, warum er weint. Was er gerade braucht. Ich nehme ihn in den Arm. Ich bin für ihn da. Ich nehme sein Gefühl von Wut oder Enttäuschung ernst. Es ist sein Gefühl und er hat einen Grund dazu. Für mich als Erwachsener ist es nicht so schnell zu verstehen, warum es für ihn schlimm ist, dass ich seine Jacke zumache – wenn es mal schnell gehen muss. Aber: Für ihn ist es schlimm, weil er seine Jacke selbst zumachen möchte. Deshalb fließen Tränen. Deshalb motzt er rum, stampft mit dem Fuß auf und weint. Er ist sauer. Er wollte es selbst machen. Und er hat damit vollkommen Recht. Ich? Kann das ernst nehmen und ihm erklären, warum ich so gehandelt habe. Nicht immer kann und wird er mir seine Gefühle erklären können – noch nicht – aber ich kann aufmerksam sein, Fehler eingestehen und ein liebevoller Vater bleiben.

Gefühle absprechen. Ein verdammt hartes Brot. Auch Glück. Oder das Glück diktieren. „Du musst doch glücklich sein, du bist Vater.“ „Warum beschwerst du dich, du hast nen tollen Job.“ „Du bist gesund, sei zufrieden.“ „Du machst Sport, das ist ne ganze Menge.“ Ausschnitte. Es sind einfach nur Ausschnitte. Ein Teil zum Glück ist erfüllt. Aber es ist nicht das Glück. Und nur weil eines dieser Kriterien erfüllt ist, muss der Rest noch nicht in Ordnung sein. Aber wer guckt darauf? Wer wirft den Blick hinter die Kulissen? Wer interessiert sich für die Gefühle und respektiert die? Vor allem: Warum ich diese oder jene Gefühle in diesem Moment habe?

„Ich bin traurig. Ich kann im Moment nicht machen, was ich liebe. Ich fühle mich wertlos.“

Das ist schon eine sehr genaue Aussage eines Gefühls. Eine Momentaufnahme. Wenn ich das sage, dann fühle ich das auch so. Warum jetzt jemand meint, dass ich doch nur darauf gucken muss, dass ich Vater bin, weiß ich nicht – natürlich ungefragt, unreflektiert, nicht nachfragend. Warum muss ich jetzt glücklich sein, wenn ich mich so fühle? Warum muss ich jetzt zwanghaft auf das Gute gucken? Kann ich nicht dieses Gefühl haben, das mal richtig wahrnehmen und gucken, woher das kommt und was ich für mich selbst ändern kann? Ist das nicht möglich?

Es ist eine Vorverurteilung, einer Mutter oder einem Vater zu sagen, er solle doch glücklich sein wegen eines tollen Kindes. Nicht nur, dass bestimmte Gefühle abgesprochen werden, nein, der Mensch wird auf einen bestimmten Teil seines Lebens reduziert. Das Elternsein. Dieser Mensch ist aber eine ganze Menge mehr in seinem Leben. Glücklich kann er sein, weil das Kind toll ist. Und was ist mit Vereinbarkeit? Berufschancen? Finanzielle Nöte? Trennungen? Streitereien? Oder, oder, oder? „Sei doch glücklich, du hast ein tolles Kind! Und du bist gesund.“

Also? Sprich mir nicht irgendwas ab, sondern lass uns gucken, woher meine Gedanken und Gefühle kommen. Wenn etwas „nicht so schlimm“ ist, dann ist es deine Wahrnehmung und Sicht auf die Dinge. Vielleicht ist es für ja gerade schlimm? Vielleicht schaffe ich es gerade nicht, positiver in bestimmte Bereichen zu gucken. Vielleicht hemmt mich gerade etwas, weil ich mich an irgendwas erinnert fühle. Nur ich entscheide, wie schlimm etwas für mich ist. Nicht du! Aber wir können zusammen gucken, ob es so schlimm für mich bleiben muss, wie ich das gerade wahrnehme.

Glücklich sein funktioniert trotzdem. Die richtige Sichtweise kann ich trotzdem haben. Vielleicht nicht für diesen Moment, weil ich Erfahrungen gemacht habe, die mir das Leben oft schwerer machen, als es sein muss, aber sie sind da. Ja, ich bin auch glücklich, weil ich einen wundervollen Sohn habe. Aber ich bin nicht nur deswegen glücklich. Das wäre einfach zu wenig. Und ich bin auch nicht glücklich, weil mir irgendwer vorschreiben möchte, dass ich es zu sein habe. Heute nicht. In Zukunft auch nicht. Glücklich bin ich, wenn wir uns über die Beweggründe unterhalten – dann fängt Zuhören, Interesse und Respekt an.

Und nicht immer ist der Mensch glücklich, weil er sich entschieden hat, glücklich zu sein. Er kann die richtigen Weichen für sein Glück stellen. Wie? Das ist so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Sicher können wir hier über die „20 Regeln zum Glücklich sein“ oder „14 Tipps, wie du glücklicher wirst“ oder „481 Gründe, warum du nicht glücklich bist“ sprechen. Ich kann mir auch all diese Sachen jeden Tag mantraartig vorbeten, aber macht mich das allein schon glücklich? Nein. 

Glück ist kein Zufall.

Mein persönliches Glück ist niemals Zufall. Ich bin nicht zufällig zufrieden. Keiner ist einfach mal so zufällig glücklich. Das ist Arbeit und Training. Es ist ein anstrengender Weg, die destruktiven Denkweisen zu durchbrechen. Glücklich zu sein ist aber auch abhängig von anderen Faktoren: körperliche und geistige Gesundheit. Ein starkes und vernünftiges soziales Umfeld. Arbeit, die mich zufriedenstellt oder eine Aufgabe, die mich ausfüllt. Die Freiheit machen zu können, was ich will.

Gucke ich nun auf die Einschränkungen, die ich mit einer psychischen Erkrankung habe, sind alle Faktoren betroffen und laufen nicht rund. Also muss ich arbeiten. An mir. An den Faktoren. An meinem Blick auf die Situation und das Akzeptieren, was da eben ist. Da hilft es nicht, wenn mir jemand sagt, ich soll einfach mal glücklich sein.

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4 Kommentare

  1. Moin Markus !
    Mit Kopfnicken gelesen, recht haste.
    Eine beliebte Kinderfrage ist: WARUM ? Diese Frage wäre auch ein Ansatz nachzufragen WARUM man gerade traurig und nicht glücklich wirkt oder ist. Wo es einem doch offenbar so blendend geht !
    Die Crux daran ist aber dass Nachfragen ehrliches Interesse vorraussetzt und daran hapert es ja heutzutage !
    Abgrenzung ist heutzutage offenbar oberstes Gebot, fürchte ich; aber auch für alle diejenigen hält das Leben noch Ereigniskarten bereit, wie beim Monopoly und auch die werden feststellen….
    „Erzähl doch mal !“ sagen ? Nee, lieber nicht. Nachher muss ich mich mit dem Gegenüber auch noch beschäftigen….
    Können wir solange warten; wir, die laufend reduziert werden auf unsere Teilaspekte ? Wir können, müssen aber nicht.
    Ich selbst versuche immer wieder mich auf die Menschen zu konzentrieren, die mir andere Signale senden.
    Als ich Donnerstag von der Arbeit wg dem Sturm nicht mit dem Zug nach Hause fahren konnte hat mein bester Freund bei sich auf der Arbeit alles stehen und liegen gelassen um mich nach Hause zu bringen.
    Und ich bekam eine Textnachricht von jemandem den ich „nur“ von einem gemeinsam verbrachten Abend, einigen Mails und SMS kenne.
    Und das war viel mehr für mich als das gepflegte Desinteresse meiner Arbeitskollegen von denen ich viele seit 23 Jahren kenne !
    Schmerzlich ist die Reduzierung einer Person trotzdem.
    Also antworten wir dem Gegenüber, schauen ob es beim Gegenüber einen Lerneffekt gibt.
    Und gehen weiter.
    Grüsse !
    Uwe

  2. Sehr interessantes Thema, mit dem ich mich auch öfters beschäftige. Wegen meiner Depressionen bin ich oft nicht glücklich, obwohl ich sonst ein tolles Leben ohne Probleme habe:
    einen schönen Job mit netten Kollegen, viele Freunde, Familie und körperlich bin ich auch gesund. Da komme ich immer in so einen Druck rein, dass ich nicht jammern darf, da ich ja äußerlich keine Probleme habe. Ich bekomme das auch oft bei anderen Menschen mit, dass sich oft verglichen wird, wer denn die meisten Probleme hat. Und derjenige, der die meisten hat, darf auch nur unglücklich sein und jammern…

    ich hoffe ihr versteht, was ich damit meine…

  3. Hallo Markus,
    so ähnlich habe ich es auch oft erlebt. Gerade als ich in meiner Trauerphase steckte, gab mir mein Umfeld oft die Rückmeldung ‚Jetzt ist ein Jahr rum, jetzt muss es doch mal besser werden‘. Schwierig ist eben, wenn man schon ‚am Boden liegt‘, in solchen Momenten genug Selbstvertrauen zu entwickeln und sich vor anderen den Freiraum einzuräumen.
    Leider ist der Umgang mit Gefühlen in unseren Eltern-/Großeltern-Generationen ziemlich in den Hintergrund gerückt. Es entwickelt sich glücklicherweise langsam wieder und oft fällt mir auf, dass die Menschen plötzlich weicher werden und aus ihrer angelernten Verhaltensweise stückweise ausbrechen, sobald man ihnen quasi eine völlig neue Herangehensweise vor den Latz knallt.
    Interessant ist für mich immer wieder: Alle wollen super individuell sein und so behandelt werden.. doch wird ständig alles verallgemeinert und mit Schablonen&Masken versehen. Der Mensch versucht sich das Leben einfach zu halten, um sie zu verstehen.

    Ich finde es einfach gut, wie du schreibst und es – ohne Verschönerung – offenbarst, wie unangemessen Menschen oft reagieren.
    Dazu fällt mir direkt noch die Aussage ein ‚Hab ich doch gesagt‘. Irgendwann ist mir mal der Kragen geplatzt und plötzlich hatte ich den Mut zu sagen ‚Das hilft mir gerade nicht. Du demonstrierst mir damit nur deine Überlegenheit.‘
    Jedenfalls fühlt sich Glück für jeden anders an.
    Schön, dass dein Blog so zugänglich für uns ist! Danke!

  4. Wie ich solche Aussagen hasse…

    Du musst doch glücklich sein

    Weil du Kinder hast
    Einen Mann
    Ein Haus
    Einen Arbeitsplatz

    Blablabla

    Ich kann es nicht mehr hören.
    Als ob man regelmäßig freiwillig unglücklich wäre. Als wenn man nicht schon ständig an sich zweifeln würde, weil man schon wieder nicht glücklich oder dankbar genug wäre….

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