Mein Freund und ich …

Nein, ich habe keine heimliche Liebschaft, bin nicht homosexuell (und ich verurteile diese Menschen auch nicht) und bin auch nicht schizophren. Aber es gibt jemanden in meinem Leben, der länger „ein Partner“ für mich war als andere. Einer, der zuverlässiger als jeder beste Freund sein kann. Jemand, der mir in jeder Lebenslage zur Seite steht und wahrscheinlich auch stehen wird. Außer er beantwortet mir eine einzige Frage.

Es ist jetzt der vierte Tag mit extremen Kopfschmerzen und einer Nacht, die viel zu kurz war. Es ist der vierte Tag, an dem der Gedanke an ein Ende mehr Wohlgefühl bringt als sich um irgendwas zu kümmern. Ein Gedanke, der mich vom Aufstehen bis in den Schlaf begleitet. Punktuell, immer mal wieder. Er ist da. Ich weiß, er begleitet mich. Ich werde mich auch nicht von ihm lösen können. Es ist schon sowas wie Freundschaft geworden. Manchmal hab ich mit ihm nicht so großen Kontakt und dann kommt wieder eine Phase, in der ich mich besser mit ihm verstehe. Wir müssen dann auch nicht viel reden, das meiste ist gesagt. Ich frage ihn dann einfach nur noch: „Auf welche Art und Weise, mein Freund? Wird es weh tun?“ Aber er antwortet nicht. Der Gedanke lächelt mich nur an und gibt mir einfach keine Antwort auf diese eine Frage. Wahrscheinlich lässt er mich aus genau dem Grund einfach nicht los. Was ist denn, wenn er mir ein Antwort gibt? Gehe ich dann mit dem Gedanken auch den letzten Schritt? Will ich überhaupt eine Antwort, oder beruhigt mich einfach das Gefühl, dass es der letzte Ausweg sein könnte? Braucht man dafür Mut? Ist es feige?

Der Gedanke kommt und geht nicht. Er ist da. Und es ist momentan das einzige, was ich fröhlich rufend begrüße. „Hallo Freund! Schön, du bist auch wieder da?“ Wir beide – der Gedanke und ich – gehen nun schon seit Jahren zusammen einen gemeinsamen Weg. Ist er es, der mich in diese Missstimmungen bringt? Nein. Er begrüßt mich einfach nur, wenn ich schon drin bin, wenn ich Grübeln muss, wenn irgendwas passiert ist. Immer dann, wenn ich das Gefühl habe, dass einfach nichts mehr einen Sinn macht, genau dann ruft er: „Hey, Freund! Ich bin da! Wenn du nicht mehr kannst, dann gehen wir zusammen ein Stück. Ich begleite dich wie immer. Ich gebe dir das Gefühl der letzte helfende auf deiner Reise zu sein. Ich kenne meine Macht, aber solange du dir auch Gedanken um deine Freunde, deine Liebe und Familie machst, werde ich dich einfach ab und zu besuchen. Ich stelle dich nicht vor Entscheidungen, ich werde einfach wortlos da sein!“

„Was wäre wenn?“ Erinnert ihr euch noch an den Text darüber? (Grübeln … meine große Falle!) Wie schnell man dadurch ins Grübeln kommt? Genau diese Frage bremst mich wohl auch aus, mit meinem Freund einen letzten Ausflug zu machen. „Was wäre, wenn ich es tue?“ „Wen würde es stören?“ „Stört es überhaupt wen?“ „Wem bin ich was wert, wenn ich mir nicht mal selbst was wert sein kann?“ „Was macht im Moment Sinn?“ „Was wäre, wenn ich aufgebe?“ „Was wäre, wenn ich mich für alles entschuldige?“ Ich fühle mich gezwungen, auf all diese Fragen noch Antworten zu bekommen. Nein, nicht von euch! Ich kenne EURE Antworten, dafür muss ich kein Hellseher sein. Ich kann EURE Antworten auf MEINE Fragen nur nicht akzeptieren. Ich höre und lese sie, aber ich sehe mich nicht so, wie ihr mich seht! Zumindest nicht für den Moment.

„Alter, hör auf in deinem Selbstmitleid zu baden.“ „Reiß dich endlich mal zusammen und mach was!“ Selbstmitleid? Nein, ich kann einfach nicht anders. Ich stecke mit den alltäglichen Problemen sicher nicht den Kopf in den Sand, aber es ist schwer weiterzumachen. Vor allem bade ich nicht in Selbstmitleid, ich ruhe mich hier auf keiner „Krankheit“ aus, der Teufel in meinem Kopf spielt einfach ein Machtspiel mit mir und ich verliere gerade ständig. Ein Kampf – Tag für Tag – der müde macht. Ein Kampf gegen negative Gedanken und Schwarzmalerei. Ein Kampf, sich auf das Wesentliche zu besinnen, das zu schätzen was ich habe und das gute der Tage mitzunehmen. Zusammenreißen? Was machen? Ich verteile gern mal eine Portion Antriebslosigkeit und ne Packung Leere.

Und es ist wieder eine Zeit, in der mich äußere Einflüsse in diese beschissene Gedankenwelt treiben. Aber: ich werde nicht aufgeben, ich werde weiter den Weg des Lebens gehen, für mich sorgen und ich werde nicht weiter fallen.

… und ich bleibe auf der Suche nach mir selbst und werde mir die Fragen von diesem “Freund” nicht beantworten lassen.

Anmerkung: Nicht alles in meinen Gedanken ist schlecht oder negativ gestimmt. Ich kann – nach wie vor – tolle Momente genießen und auch Freude zulassen. Das Leben ist und bleibt lebenswert.

Update 03.11.2014: Mittlerweile habe ich seit 4 Monaten keinen Kontakt mehr zu „meinem Freund“. So ist das im Leben. Da reißen manchmal gute Kontakte einfach ab. Ab und an muss das so sein. Ob er sich von mir oder ich mich von ihm getrennt habe, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Es ist einfach so passiert. Es ist gut, dass es passiert ist. Am Ende hat er mir doch ganz schön zugesetzt mit seiner Anwesenheit. Die „persona non grata“, die sich doch immer und immer wieder anschleicht kommt nicht mehr. Die neu gewonnenene Zeit kann ich produktiver für mich einsetzen. Trotzdem werde ich nicht sagen (können), dass wir uns nicht nochmal treffen. Vielleicht kann ich ihm aber anders begegnen. Vielleicht gehen wir anders miteinander um. Für den Moment ist er weg und das ist das, was gerade zählt. 

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5 Kommentare

  1. Großartiger Artikel. Ich bedanke mich ganz herzlich dafür. Danke!

    Mein *Freund* begleitet mich nun schon seid dem 16. Lebensjahr und ich bin 36. Wir haben uns oft Jahre nicht gesehen, und dann stand er *plötzlich* wieder vor meiner Türe, unverändert und in alter Stärke.

    Ich beschreibe es so:

    Die Seele ist ein Haus, ein großes, in dem es viele Zimmer gibt, die hinter Türen sind. Der *Freund* von dem wir hier reden, ist ein Zimmer in diesem Haus, hinter einer Türe, irgendwo weit hinten, in einem der Gänge in diesem Haus, in einem der oberen Stockwerke. Einmal gefunden, kann man das Wissen um die Existenz dieses Zimmers, hinter dieser Türe nicht mehr rückgängig machen, auch wenn man nicht weiß, was in dem Zimmer ist, man kennt den Ort der Tür. Man kann die Tür versperren, man kann sie mit Brettern vernageln, oder mit Ziegelsteinen zu zementieren. Aber es ändert nichts daran, das man diese Tür mit diesem Zimmer entdeckt hat und weiß, wo sie sich im Haus befindet. Man meidet also so gut es geht jenen Korridor der zu diesem Zimmer führt, denn auch die anderen Zimmer rund um jenes Zimmer sind nicht unbedingt – na wie soll ich sagen – farbenfroh und weltoffen und positiv. Aber der Korridor ist da, und die Zimmer sind auch da, und die Türen sind da, und mögen sie auch noch so gut verschlossen sein, es ist ja mein Haus, und ich habe alle Schlüssel….

    Wer einmal an Suizid gedacht hat, der hat eine Grenze überschritten. Der Gedanke daran als Ausweg, das was es mit dir machen kann, ist irreversibel, auch wenn es viele, viele sehr gute Gegenargumente bzw. *Freunde* gibt, um diesen *Freund* in Schach zu halten. Es ist wie Fahrrad fahren. Hast du es mal gelernt, wirst du es immer können.

    Wenn dieser *Freund* wieder meint, es wäre Zeit für einen Besuch, dann treffe ich mich mit ihm in Beisein anderer *Freunde* eines ganz anderen *Freundeskreises* von mir, so gut es geht. Doch manchmal steht er einfach ungefragt einfach vor meiner Tür und klopft an, ich lasse ihn rein, weil mich viele andere seiner *Freunde*, aus seinem *Freundeskreis* zuvor besucht und bearbeitet haben.

    Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, das ich damit leben muss, das ich *Freunde* habe, die mir bleiben. Aber das hindert mich nicht daran, neue *Freunde* zu gewinnen, einen anderen *Freundeskreis* zu haben und mit diesen *Freunden* ein Fest auf das Leben an sich zu feiern.

    Liebe Grüße und Danke nochmal, das mir durch diesen Artikel ein Gefühl der Zugehörigkeit und ein *ich werde verstanden* vermittelt wird.

    1. Sowohl der Artikel als auch der Kommentar sind die besten Beschreibungen des speziellen Bekannten, die ich je lesen durfte! Ausgezeichnet formuliert, vielen Dank.

    1. Eine gute Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich denke nein, denn irgendwie ist es eine Überreaktion auf Emotionen, Erlebnisse und die eigene Überforderung. Der Freund zieht irgendwann aus, wenn ich gut für mich sorgen kann.

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