Zahltag! Wie teuer ist es denn?

Alles im Leben hat seinen Preis. Immer. Jede Entscheidung, die ich irgendwann in meinem Leben bewusst oder unbewusst getroffen habe, hatte folgen. Manche waren teuer. Manche waren wirklich sehr teuer. Und ein paar andere haben mir sogar etwas gebracht. Im Moment habe ich das Gefühl an einem Punkt zu sitzen, wo es um alles oder nichts geht und ich mich frage, wie bereit ich bin, den Preis weiter zu zahlen. Es kostet eine Menge, so öffentlich mit dem Thema „psychische Erkrankung“ und deren Auswirkungen im Leben umzugehen. 

Ich weiß noch, wie ich mich damals gefragt habe, ob ich das alles so weitermachen kann, wenn mein Sohn auf die Welt kommt. Wir haben es damals gemeinschaftlich entschieden. Es soll weitergehen. Und dann begann die Reise. Ich bin dankbar für all die Momente, die ich bei Vorträgen und Lesungen erleben durfte. Doch das hat seinen Preis. Ich bin dankbar für all die, die meine Artikel lesen, den Podcast hören, mir irgendwo in den sozialen Medien folgen. Aber auch das hat seinen Preis. 

Es ist wichtig, dass Menschen an die Öffentlichkeit gehen und darüber sprechen, wie es ist, mit einer Krankheit zu leben. Nicht nur mit Depressionen oder psychischen Einschränkungen. Mit allen Krankheiten, Einschränkungen oder Diagnosen, die für uns nicht greifbar oder sichtbar sind. Ich habe den größten Respekt vor denen, die es mit dem Klarnamen machen und sich dann auch noch ehrenamtlich für genau diese Dinge einsetzen. Wir zahlen alle einen Preis. Die Leistung derer, die mit einem Pseudonym ist dabei nicht geringer, aber sie haben noch Schutz vor dem Zahltag. 


Alles im Leben hat seinen Preis; auch die Dinge, von denen man sich einbildet, man kriege sie geschenkt.

Theodor Fontane

Geschenke gab es in den letzten Jahren immer wieder. Vor allem sind die Momente, in denen ich vor anderen sprechen darf, ein großes Privileg. Ich habe mir das zwar hart erarbeitet, heute so entspannt vor anderen sprechen zu können, aber es bleibt ein Privileg. Gerade mit „meinem Thema“. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich irgendwo hin eingeladen werde. Selbstverständlich ist es auch nicht, dass der Raum, der Saal oder ein Ort voll ist. Darauf kommt es aber auch nicht an. Ich zahle dafür, dass ich mit euch reden kann. „Aber du bekommst doch sicher …“, werden ein paar denken. Ja, bekomme ich sicher. Nicht immer, aber manchmal. Trotzdem ist es teuer. Für mich.

Das öffentliche Interesse

Öffentlich mit einem sensiblen Thema zu sein, kostet die Freiheit, andere Dinge zu machen. Im Moment werde ich immer unweigerlich damit verbunden sein. Ich bewerbe mich gezielt auf Stellen. Auch wenn es heute gängige Praxis ist, dass es auf eine gewünschte Mail keine Antwort gibt, nagt das am Selbstvertrauen. Unweigerlich kommt die Frage auf, welchen Wert all das hier hat. Einen großen Wert. Für euch, weil ich weiß, welchen Nutzen ihr aus meinen Aktivitäten zieht. Aber welchen Wert hat es noch für mich, wenn ich davon ausgehen muss, dass eine Nichtbeachtung meiner Bewerbung an irgendeiner Stelle mit dem dem Blog und dem öffentlichen Leben zu tun? Wie öffentlich will ich dann noch sein? Wie sehr möchte ich mich gegen diese Negativspirale wehren? Wie groß ist die Chance, dass es wirklich die Arbeitgeber gibt, die diese Offenheit schätzen und hinter einem ungewöhnlichen Lebenslauf die Stärken, Qualitäten und das Engagement sehen? Wie viel zählt heute der Mensch, statt dem Papier, das wir eh nur noch per Mail verschicken? Wer nimmt sich die Zeit, diese ausführlichen Gespräche zu führen, um den Menschen und nicht das Papier kennenzulernen? Sicher kann ich aus all dem hier auch etwas berufliches machen, aber ich möchte mich nicht wieder in eine Ausbildung hängen. Es kostet eine Menge Kraft, all die möglichen Stellen rauszusuchen, die ich überzeugen könnte, warum sie mich für etwas in ihrem Bereich einstellen sollen. Es sind Windmühlen, die sich auftun. Immer wieder. Alles läuft am Ende auf den Punkt hinaus: Wie viel Sinn macht all das, wenn ich nebenbei auch einfach nur Leben möchte und meine Zukunft auf zwei sicher Beine stelle? Ich zahle also dafür, dass ich das hier alles machen kann. 

Der starke, aber schwache Trost

Natürlich habe ich Gespräche geführt. Es war mir eine Ehre, mit zwei namhaften Agenturen zu sprechen. Am Ende hat es nicht geklappt, weil ich 30 Stunden arbeiten möchte, sie aber 40 Stunden besetzen wollten. Wunderbar Markus, da haste dir ein schickes Ei ins Nest gelegt. 40 Stunden hätten aber auch bedeutet, ich hätte alle Termine – bis auf ein paar wenige – absagen müssen, weil ich nicht mehr bereit bin, die Leistung vom letzten Jahr zu wiederholen. Neben einem Vollzeitjob ist so ein Terminkalender definitiv nicht mehr möglich. Das hat mein Körper mir im November 2017 gezeigt, das habe ich im November 2017 auch verstanden. Auch heute bin ich noch nicht auf einem gesunden Weg. Wer fährt schon mal eben 400 km wieder nach Hause? Nur bekloppte Menschen. Ach … Moment! 

Das wissen, dass ich zwei tolle Stellen nicht bekommen habe, weil ich nicht bereit bin für dieses Jahr die Termine aufzugeben und es mit einem Beruf zu kombinieren, ärgert mich. Manchmal sogar sehr. Trotzdem ist es ein Lob und ein Trost, diese offenen Gespräche zu haben. Das lässt den Glauben an empathische Arbeitgeber noch etwas am Leben. Der Trost ist auch, dass es meist die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind, die diese Empathie aufbringen, weil du da eben nicht einfach nur eine Personalnummer bist, die im System zu funktionieren hat. Ich glaube auch nicht, dass ich in einem System als Nummer funktionieren würde. Der Trost ist auch, dass nicht alle Arbeitgeber nur die Leistung sehen, sondern den Menschen mit seinen Fähigkeiten. Ein Trost ist es auch, dass es die mutigen Arbeitgeber gibt, die einem den Raum zur Entfaltung geben. 

Ein starker Trost ist es, all die Gespräche mit euch zu haben. Die besonderen Tage. Die, an denen ich mittlerweile gar keine Lust mehr auf Autobahn habe, aber losfahre und genau weiß, dass es gute 2 bis 3 Stunden werden. Die Tage, an denen ich charmante Veranstalter treffe, tolle Einrichtungen sehe, bewegende Geschichten höre und hoffe, dass ihr das ähnlich seht, wenn ich fertig bin mit reden. 

Lautsprecher oder Leisetreter?

Ich werde ein Lautsprecher bleiben. Ich werde nicht aufhören zu reden. Ich werde sicher nicht zurückstecken. All das ist nicht nur eine Reise, es ist eine Therapie geworden. Ich werde weiter schreiben und den Blog am Leben lassen. Der Blog und alles drumherum hat mich entwickelt. Ich bin damit groß geworden. Es ist mein 5 Jahre altes „Baby“, dass stetig gewachsen ist und dazugelernt hat. Ich weiß aber nicht, welche Entscheidung ich treffe, wenn ich nochmal den goldenen Kelch vor der Nase habe. Wenn der Kelch denn kommt. Ich bin mir sicher, dass ich das Ziel bis Ende des Jahres erreichen werde. Über die möglichen Folgen mache ich mir keine Gedanken. Es wird keinen Rückschritt geben. Höchstens die Option, wieder in einen Bereich zu gehen, den ich nicht mag. Dann ist das so. Dann muss ich eben nochmal Scheiße fressen. Das kann ich. Es ist aushaltbar. Ich möchte nicht auf den Notfallplan zurückgreifen. 

Und so sitze ich hier mit all meinen Fragen. Und auch Ängsten. Und Gedanken. Und Hoffnungen. Und dem Gefühl, mich vollkommen in Stellenanzeigen zu verlieren und darauf zu drängeln, mich doch kennenlernen zu wollen. Aber warum sollte mich jemand kennenlernen wollen, wenn der Terminkalender doch so voll ist? Warum sollte mich jemand einstellen, wenn er weiß, wer ich bin, was ich mache und was mich in meinem Leben geprägt hat? Warum sollte ein Arbeitgeber mutig sein und jemanden einstellen, der immer wieder in seinem Leben wegen Depressionen ausgefallen ist? Warum sollte ich heute alles im Griff haben? Und warum sollte ich nicht einfach nur auf diese Einschränkung reduziert werden? Warum sollte jemand Rücksicht darauf nehmen, dass mal ein Tag nicht so gut ist? Warum sollte mein ehrenamtliches Engagement gewürdigt werden? Wer achtet darauf schon? Wer bin ich in all den Fragen? Und bestimmen nicht doch die anderen meinen Wert? Wie viel bin ich mir selbst Wert? Und muss ich mich dann wieder unter dem eigentlichen Wert verkaufen? Fragen. Viel zu viele Fragen. 

Es ist Zahltag … 

… sagt der Kopf. Ich habe jetzt dafür zu bezahlen, dass ich den Weg in die Öffentlichkeit gewählt habe. Ich habe jetzt noch dafür zu zahlen, weil ich mir mein Leben oft selbst verkompliziert habe und nicht die Verantwortung für mein Leben übernehmen konnte. JETZT ist die Zeit, um das Portemonnaie aufzumachen und zu merken, dass nicht jede Entscheidung richtig ist. Und ja, ich zahle dann jetzt vielleicht auch doppelt, weil es keine andere Wahl gibt. Hätte, hätte, Fahrradkette. Blah. Sicher, ich bereue gerade einige Entscheidungen meines Lebens. Berühmt? Wollte ich nicht sein. Ein Idol? Niemals. Ich wollte nur meine Geschichte erzählen, um ich selbst zu retten. Vor mir. Ich wollte meine Geschichte weitertragen, damit andere für sich etwas mehr Mut haben, sich nicht alleine fühlen, oder verstehen können, was zu Hause bei sich los ist. 

Ob diese Entscheidung richtig war? Ob ich mir das alles wirklich leisten kann?

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9 Kommentare

  1. Auch wenn mir bewusst ist, dass dies kein Trost ist. Ich finde, die Welt wäre etwa ärmer ohne diesen Blog, ohne diese Offenheit, ohne diese Eloquenz.
    Ich habe es an anderer Stelle schon geschrieben und wiederhole es hier gerne!
    Ich wünsche Ihnen, dass sich eine Tür öffnet, da es nicht nur bei ersten Gesprächen bleibt.

    1. Lieber Andreas,
      lass uns doch Duzen, auch wenn ich bei „an anderer Stelle“ gerne das ironische Sie verwende. Hier ist das Duzen absolut in Ordnung. Danke für die lieben Worte. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass diese Tür aufgeht. Manchmal ist nur Geduld nicht meine beste Eigenschaft und haut mir dann all diese Gedanken um die Ohren. Ich bin ein Mensch, der für sein Bemühen Ergebnisse braucht – positiv oder negativ. Mit beiden Versionen könnte ich arbeiten. Selbst bei negativen Rückmeldungen bin ich noch so frech und frage, warum es denn so ist, wenn dort nur Floskeln stehen. Ich gehe nicht davon aus, dass mein Blog verschwinden wird. Dazu ist er mir selbst eine viel zu große Stütze geworden. Lesungen und Vorträge würden bei einer Vollzeitbeschäftigung weichen müssen. Schreiben? Bleibt. Es ist eine Waffe gegen mich selbst. Vielleicht würden dann sogar wieder mehr Worte den Weg hier hinein finden.

      Liebe Grüße
      Markus

  2. 2 tolle Stellen die dich sicherlich bereichert hätten, aber auch viele Menschen die sich sooft in deinen Worten wiederfinden und verstanden werden. 2 Waagschalen die du versuchst gegen einander aufzuwiegen … unmöglich, oder vielleicht auch nicht. Ich verstehe das der Druck auf dich sehr groß ist, aber Leise flüstert eine Stimme in mir „Bitte mach weiter Markus, es ist so wichtig“

  3. Lieber Markus,
    Ich kann gut nachvollziehen was Du schreibst. Da ist der Preis, den Du bezahlst. Aber vergiss nie, wo Du ihn einbezahlst, welches Konto Du damit füllst.
    Ich habe Deinen Blog entdeckt als ich am Boden lag. Oft habe ich mich an dem fest gehalten, was Du schreibst oder mir Deine Podcasts angehört. Mir hat das sehr geholfen, es hat mich reich gemacht!
    Ich freue mich sehr darauf, Dich nächsten Sonntag zu hören. Und ich werde eine Freundin mitbringen, die auch an Depressionen leidet… In der Hoffnung, dass auch sie davon profitiert und dass es ihr Mut macht, dass es sie reich macht.
    Aber ich wünsche auch Dir, dass Du das bekommst was Du suchst: einen gut bezahlten Job, der Dich erfüllt und der Dir die Möglichkeit gibt gut mit Deiner Familie zu leben. Du hast es verdient und Du wirst das schaffen.

  4. Lieber Markus, das hast du so toll geschrieben und ich kann dich sehr gut verstehen. Und nach empfinden was du fühlst. Es ist immer schwer für einen selber den richtigen Weg zu finden und zu gehen aber was ist schon richtig. Wir müssen jeden Tag, Stunde und Minuten überlegen welchen Weg wir gehen und wenn wir uns verlaufen finden wir raus und kommen gestärkter zurück. Ich glaube das es Menschen wie dich /mich geben muss um das sich was verändert in der Gesellschaft auch wenn es immer Kraft kosteten wird und auch finanziell Einbußen geben wird machen uns /dir die Gespräche mit anderen viel Freude. Aber klar von guten Gesprächen ist der Kühlschrank nicht voll aber es tut der Seele gut. Ich bin froh dich in Bad Doberan gehört und gesehen zu haben. LG Lu aus Rostock

  5. Lieber Markus,
    zuerst einmal: Ich bewundere dich für deinen Mut und dein öffentliches Engagement. Manchmal bin ich schon ein wenig neidisch, weil du so viel erreicht und in deinem Leben riesengroße Schritte gemacht hast.

    Leider ist die Entwicklung unserer Gesellschaft langsam. Mit deiner Offenheit machst du dich ganz klar auch angreifbar. Und die Arbeitswelt ist hart. Es mag die Arbeitgeber geben, die das Potential sehen, aber ich befürchte, dass es die Wenigsten sind

    Sobald der Lebenslauf nicht geradlinig ist, wirst du in den meisten Fällen aussortiert. Nach meinem Studium war ich ein Jahr arbeitslos, weil mich niemand wollte. Dabei habe ich meine psychische Erkrankung nicht einmal erwähnt. Dafür war mein Lebenslauf nicht wie beim Ottonormalmensch – ich habe einige Wechsel und Zwischenstationen. Sowas frustriert! Denn jeder von uns muss sein Geld verdienen. Da bringt es mir auch nichts, wenn irgendwelche Menschen sagen „Die wissen deine Fähigkeiten nicht zu schätzen!“ oder „Der richtige Arbeitgeber wird noch kommen.“

    Es ist eben noch ein Kampf gegen Windmühlen, aber deshalb aufgeben?! Eigentlich keine Option!

    1. Liebe Annie,

      ich kann das alles nur unterschreiben. Aufhören zu reden werde ich sicher nicht. Ich glaube schon daran, dass es „die Stelle“ für mich gibt, die mich nicht nur ernährt, sondern alles vereint, was ich kann und mag. Die Sätze der anderen bringen mir auch nichts. Gar nichts. Auch nicht das Lob, was ich doch für ein toller Mensch bin. Der bin ich wohl, aber das ändert die Situation nicht. Auch nicht, dass ich das nicht so negativ sehen soll. Doch. Doch, ich möchte das gerade so negativ sehen, weil die Situation so ist. Da muss ich auch nicht gucken, ob meine Gedanken die Wahrheit sind. Es nagt unweigerlich an der Psyche, wenn du nicht wieder in ein geregeltes Arbeitsleben kommst.

      Aufgeben? Ist keine Option.

  6. Hallo, Markus! Danke für die heutige Lesung in Stuttgart! Es ist so mutig, dass du über alles das sprichst. Ich wünsche mir, ich könnte es auch. Schön dass es dich gibt! Und es ist schön und mutig, das was du machst. Misserfolge gehören zum Leben.

    Liebe Grüße

  7. Hallo Markus,
    DANKE
    Danke für deine Offenheit, Danke für deine Ehrlichkeit..
    Ich selbst bin Borderliner,habe diagnostiziertes DIS und seit Jahren kämpfe ich.
    Mit mir.
    Gegen mich.
    Gegen die Krankheit.
    Ich verfolge deinen Kampf auch im sozialen Netzwerk und hab Achtung vor deiner Offenheit.
    Ich wünsche mir mehr ehrliche Menschen wie Dich. Und bitte, bitte gib nicht auf!
    BEA

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