Schrittweise. [Gastbeitrag]

Manchmal ist ein soziales Netzwerk auch nur ein soziales Netzwerk. Manchmal stecken hinter ein paar Benutzernamen auch echte Menschen. Einer von ihnen ist Panda [Twitter: @herrpandabaer]. Ich lese ihn schon eine ganze Weile, bekomme nachdenkliche, warme, weiche, liebevolle und humorvolle Worte mit. Und dann treffe ich ihn vor einem Termin, wir sprechen offen und ich erfahre einen Teil seiner Geschichte. Dies hier ist ein Teil seiner Geschichte. Ich danke dir, dass du mir das zur Verfügung stellst und für andere eine Stimme bist.

“Wir müssen über Sie sprechen.”

“Warum über mich?”

“Weil Sie selbst unter Depression leiden.”

***

Ich sollte aufstehen und einfach gehen. Ich, depressiv? Quatsch. Ich doch nicht. Ich bin hier, weil ich mit einem psychisch kranken Menschen zusammen lebe und als Angehöriger Tipps einholen wollte, weil es zuhause nicht mehr lief.

Fünfzehn Minuten lang sprach ich über die Betroffene. Borderline. Was in der Vergangenheit war. Über das nächtelange Schreien, über die Selbstverletzungen, über die ständigen Streitereien bis hin zu Bedrohungen mit einem Messer. Das ständige Auf und Ab. Die Schuldgefühle danach. Das buchstäbliche Zusammenkehren und weitermachen.

Meine Psychotherapeutin begann im Anschluss, Fragen zu stellen.

“Wie schlafen Sie?”

“Schlecht. Aber ich bin zu fett und leide unter Schlafapnoe.”
“Können Sie schnell einschlafen?”
“Nein. Ich habe viel Stress auf der Arbeit.”
“Wie fühlen Sie sich, wenn Sie morgens aufstehen?”
“Gerädert und gestresst. Aus den bereits genannten Gründen.”
“Wie ist Ihre Tagesstruktur?”
“Ich stehe auf und mache dies, dann das, danach fahre ich zur Arbeit usw… und im Anschluss erledige ich noch das, meist ist es dann zwischen neun und zehn abends und ich bin dann fertig.”

 

Weitere fünfzehn Minuten später.

“Haben Sie konkret darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen?”

“… Nein.”

“Nein?”

“Ich denke nicht darüber nach. Das Leben ist schon zu Ende. Ich existiere und versuche, die täglichen Aufgaben irgendwie zu erledigen, bis es irgendwann vorbei ist. Wir haben ein Kind zusammen. Ich habe Verantwortung.”

Tränen.

Nach rund acht Jahren schleichender Abstieg war es nun an der Zeit zu erkennen, dass ich längst am Tiefpunkt angekommen war. Es ging nicht um andere Menschen. Es ging um mich.

Es traf nicht nur andere Menschen.

Ich bin psychisch krank.

***

Trennung. Auszug. Auf der Arbeit war ich nicht mehr leistungsfähig, fiel oft krankheitsbedingt aus. Ich habe mein Kind kaum gesehen. Ich sah nur noch schwarz. Rund sechs Monate lang unternahm ich nichts. Zur Psychotherapie war ich zwischenzeitlich nicht mehr hingegangen. Meinen Eltern habe ich davon lange nicht erzählt. Sie würden es nicht verstehen. Wie denn auch, selbst ich konnte all das nicht verstehen. Selbsthass und Selbstzweifel wuchs. Ich wusste genau, ich muss etwas unternehmen. Mein Kopf sagte mir aber jeden Tag, ich sei nichts wert, ich schaffe nichts, ich versage. Ich nahm weiter zu. Ich fand mich hässlich und kümmerte mich auch nicht um mich oder mein Äußeres. Mein Kopf triumphierte. Es stimmte also alles. Ich bin ein Nichts. Was mache ich hier eigentlich? Und dann bist du auch noch zu feige, um dieser ganzen Misere ein Ende zu setzen.

Es bedurfte mehrere gehörige Arschtritte von einigen mir wichtigen Menschen, die mich gleichzeitig emotional und finanziell unterstützten.

Die Frage, die mich lange begleitete, lautete:

“Willst du die nächsten dreißig Jahre so weiterleben?”

Ich weiß heute ganz genau, was “vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen” bedeutet. Ich sah nur Probleme und scheinbar unüberwindbare Hindernisse. Vor einiger Zeit definierte ich zwei Dinge, die ich in der darauffolgenden Woche schaffen wollte: Eine Anwältin für Familienrecht aufsuchen und wieder zu meiner Psychotherapeutin gehen. Ich schaffte es, zweimal zum Telefon zu greifen und jeweils einen Termin zu vereinbaren.

Bei beiden Terminen wäre ich beinahe vor der Tür umgekehrt. Ich schleppte mich mit letzter Kraft hinein und saß wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl. Nach diesen zwei Gesprächen jedoch sah ich in der Ferne Licht. Ganz fahl.

Willst du die nächsten dreißig Jahre so weiterleben? Vor allem jetzt, wo du nicht nur dein Kind, sondern auch deine neue Liebe – wie auch immer sie in dieser Phase mich – uns – erwischen konnte – an deiner Seite steht und zu dir gewissermaßen aufschaut?

Als ich mit zehn Jahren nach Deutschland kam, musste ich alles neu (er-)lernen. Neue Sprache, neue Kultur. Ich war wieder zehn. Ich musste neu lernen. Diesmal nicht die Sprache oder sonstige Fähigkeiten. Ich musste “mich” neu lernen. Ich musste lernen, mir Hilfe zu suchen und diese auch anzunehmen. Ich musste lernen, mich zu akzeptieren und das falsche Bild von mir selbst zu korrigieren. Ich musste lernen, ganz kleine Schritte zu machen.

***

Ich kann die oben erwähnte Frage heute beantworten. Die Antwort lautet dabei nicht nur schlicht “Nein”. In den letzten drei Monaten habe ich gute Voraussetzungen für ein anderes Leben geschaffen. Ich weiß jetzt, was ich in diesem Leben möchte. Ich habe wieder Ziele. Am Wichtigsten: Ich beginne, die erforderlichen Schritte umzusetzen.

Es ist eine lange Reise. Ich habe lange gebraucht, um den ersten Schritt zu gehen. Der zweite Schritt war etwas leichter als der Erste. Der Dritte etwas leichter als der Zweite. Ich bin immer noch mitten drin. Ich weiß, die Depression geht nicht eines Tages komplett weg. Sie begleitet mich. Das ist aber ok.

(Diesen Text widme ich @ma_mameen, @die_ruedin und @fraupfoetchen. Voller Dankbarkeit und Liebe.)

Einen Schritt nach dem anderen.

Danke für deine reflektierten Worte. Hier und an anderen Stellen. Für deine warmherzige und empathische Art. Ich weiß, du hast die richtigen Wege eingeschlagen. Etwas zu finden, was einem guttut und das nach und nach in sein Leben zu integrieren ist das Eine. Die Sachen aus der Kindheit dazuzunehmen und mit neuen Werten zu versehen, das Andere. Schön, dass wir uns getroffen haben.

[Beitragsbild von Henk Bartl / Twitter: @henksview]

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2 Kommentare

  1. Ich danke euch Beiden sehr herzlich für diesen Beitrag und die sehr ehrlichen und offenen Worte.
    Ich erkenne mich und meine Probleme darin und hoffe, dass ich den Hintern hochkriege und etwas in meinem Leben ändern kann.
    Bevor es zu spät ist.

  2. sich die Depression eingestehen, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen, dass man ist wie man ist. ich bin wirklich dankbar davon zu lesen und fühle mich zum ersten Mal verstanden. danke dafür. Es ist so schwer sich einzugestehen, dass man krank ist und diese Krankheit ein ständiger Begleiter sein wird (mal mehr, mal weniger) Ich hoffe, meine Krankheit zu akzeptieren und damit klar zu kommen. drückt mir die Daumen. LG Claudia

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