Tagesklinik ist ein Weg, nur einer!

Mein Weg war kein leichter, aber nun sind sechszehn Wochen vorbei. Eine Zeit, die anstrengend war, in der ich gelacht und geweint habe, verzweifelt bin und reden konnte, mehr zu mir gefunden habe und ehrlicher zu mir sein kann, mich mitteilen durfte und konnte, nie aufgegeben habe, gelernt und verändert habe, neue Sichtweisen gefunden, tolle Menschen kennengelernt habe und vor allem den Grundstein für eine bessere Zukunft legen konnte. Sechszehn Wochen Kampf gegen die Depression und Verzweiflung in mir, der Selbstkritik und anderen anstrengenden Themen, die mir mein Leben und das meiner Freunde schwerer gemacht hat. Die gespielte Fassade fallen zu lassen und authentischer zu sein ist ein schönes Gefühl. Danke an alle meine Wegbegleiter in dieser Zeit und in der Tagesklinik, danke für all die Ablenkung, das Mut machen und einfach da sein.

Hat sich mal jemand von euch vor Augen gehalten, wie lang (oder kurz) 4 Monate sind? 16 Wochen sind 112 Tage, in Worten einhundertundzwölf. Oft sind Einsätze von Zeitarbeitsfirmen nicht mal so lang, andere haben kürzere Liebesbeziehungen und was mache ich? Richtig, ich habe mich entschieden, freiwillig diesen Zeitraum in einer psychotherapeutischen Tagesklinik zu verbringen. Heute – nachdem diese Zeit rum ist – möchte ich mit euch mal einen kleinen Rückblick wagen. Ich werde vieles sicher nur grob anreißen, damit ich noch Themen für die nächsten Einträge habe, aber … nein, es gibt kein aber. Schauen wir mal, wo wir landen.
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Wer den autobiografischen Text von mir gelesen hat, weiß in groben Zügen worum es geht. Ich habe mich freiwillig für diese Therapieform entschieden. Warum? Ich habe gemerkt, dass ich an einem Punkt war, an dem es so nicht mehr weitergeht. Mein Tagesablauf war gespickt mit Stimmungswechseln, extremen schwarz/weiß Denken, vernachlässigen von Strukturen und vor allem Notlügen und Lügengerüste aufbauen, damit ich mich nicht mit negativen Sachen beschäftigen muss. Zu der Zeit habe ich zwar auch eine ambulante Gesprächstherapie gemacht, aber gebracht hat die mir so gut wie gar nichts. Kann sich einer von euch vorstellen wie es ist, wenn man sich selbst nicht mehr leiden kann, weil man aus diesen negativen Spiralen nicht rauskommt? Wenn man mit seinem seid Kindheit antrainiertem Verhalten immer und immer wieder alles aufs Spiel setzt? Diese Überlebensstrategie mit dem Schönreden und die Welt bunt sehen funktioniert, aber auch nicht lange. Sie funktioniert solange, bis einer dahinter kommt, es infrage stellt, die Lüge aufdeckt und enttäuscht ist. Wer versteht schon jemanden, der ständig das Vertrauen missbraucht? Fakt war auf jeden Fall, dass ich diese Spirale nicht unterbrechen konnte, es aber wollte und mir dabei auch jeden Tag Druck gemacht habe, dass ich mich verändern muss. Mit dem Druck bin ich noch schlechter zurecht gekommen. Es gab keinen anderen Weg mehr für mich. Deshalb bin ich heute auch stolz, dass ich es freiwillig gemacht habe und bis zum Ende durchgehalten habe.
Ich interviewe mich mal selbst ein wenig:

Wusstest du, was dich erwartet?
Nein, nur in groben Zügen. Ich sollte mir in der Klinik ja den Flyer abholen und vor der Aufnahme lesen. Hat sich etwas schwierig gestaltet, weil ich freitags nachmittags die Zusage hatte und Montag schon antreten sollte. Mir hat es etwas zu denken gegeben, dass im Vorgespräch gesagt wurde, dass vieles in Gruppentherapie passiert und Einzelgespräche nur alle zwei Wochen sind.

Wie war dein erster Tag?
Gefühlschaos. Hingefahren bin ich gewohnt entspannt, aber als ich dann wirklich da war, war ich schon unsicher. Von weitem sieht man die Gruppe Menschen im Frühstücksraum, ich wusste nicht, was sie haben, wer sie sind usw. Dann nochmal das Aufnahmegespräch, Fragebögen, warten. Das war komisch. Und mir war klar, dass es nun wirklich ernst wird. Ich hatte zwar eine tolle Patin, die mir die Angst genommen hat, viel erklärt und erzählt, aber ich habe von vornherein auch wieder meine Art rausgelassen. Außerdem wurde mein Tatendrang und meine Euphorie sofort im Keim erstickt. Der Zahn, dass ich geheilt und behandelt rausgehe, wurde direkt gezogen.

Was für eine Art hast du raushängen lassen?
Mich gegen Dinge sofort zu wehren, die mir gut tun könnten. Ich hatte keine Lust auf Kunsttherapie. Was sollte ich auch damit? Ich hab es nicht verstanden. Also habe ich gegen Kunst gewettert. Genauso wie gegen zu hohen Blutdruck und der Aussage, ich solle doch Ausdauertraining machen bei meinem Übergewicht und mit dem Fahrrad kommen, es wären ja nur 8km. Tja, da war ich dann schon im ersten meiner Themen.

Hat sich an deiner Einstellung was geändert?
Ja, sehr sehr schnell sogar. Ich kann heute sagen, dass ich in der Kunsttherapie die besten Erfahrungen gemacht habe, das Malen hat mir die Augen geöffnet und es ist faszinierend, was man in Bildern sehen kann, was die Seele da unterbewusst fabriziert. Ich werde sicher mal das ein oder andere Bild mit Beschreibung veröffentlichen.

Wie viele Mitpatienten hattest du?
Unterschiedlich. Wenn ich mich recht erinnere, sind es maximal 18 Patienten auf der Station, die dann in 2 Gruppen eingeteilt sind. Es kommen und gehen immer wieder welche, mal sind es mehr, mal weniger. Ständig muss man Abschiede feiern, neue Patienten aufnehmen und integrieren und da es immer wieder Gruppenrunden sind, muss man sich ständig neu vorstellen, neu erzählen, warum man da ist, wieder auf neue Menschen einstellen.

Hast du dich gut eingelebt?
Ja, die Strukturen waren schnell klar. Es gibt ja einen Wochenplan – der bis auf wenige Vorkommnisse – immer gleich bleibt. Schwierig war nur, sich direkt in der ersten Zeit zu öffnen. Sicher, ich hab wie alle anderen in den ersten 2 Wochen Welpenschutz gehabt.

Was heißt Welpenschutz?
In der ersten Woche musste ich nicht so viel mitmachen. Erst einmal ankommen, einleben, kennenlernen, da sein, alles auf sich wirken lassen, jede Menge Fragebögen ausfüllen, Untersuchungen usw. Ehrlich gesagt, ich war an den Tagen nachmittags schon ziemlich müde. Es ist anstrengender, als man sich das vorstellt. Und in der ersten Zeit übernimmt man auch noch keine Aufgaben. Normalerweise werden freitags in der Orga-Gruppe Aufgaben verteilt wie Blumen gießen, Küchendienst, Küchenmaterial verwalten und Wäsche waschen vergeben.

Wie sieht denn so ein Wochenablauf aus?
Montags gibt es den Wochenstart. Jeder darf (muss!) kurz erzählen, wie er aus dem Wochenende kommt und was er für Ziele in der Woche hat. Neue stellen sich vor und wir gehen die Stationsregeln dann nochmal durch. Anschließend dann Gruppentherapie und nachmittags Achtsamkeitsgruppe. Dienstags Kunst- und Bewegungstherapie, Exkursionsvorbesprechung. Mittwochs dann wieder Gruppentherapie, Schwimmen und Exkursion. Donnerstags wieder Kunsttherapie, Exkursionsnachbesprechung und Stabi-Gruppe. Freitags Orga-Gruppe, gemeinsames Kochen oder Visite, PMR (Muskelentspannung) und falls jemand gehen sollte, dann ein Abschied. Morgens und mittags wird immer zusammen gegessen.

Klingt doch gar nicht so viel, oder?
Jein. Es ist nicht zwingend viel. Am Anfang habe ich auch nicht verstanden, warum dazwischen immer so viel Leerlauf ist. Am Ende ist man aber dankbar für jede Freizeit zwischen den Therapien. Je mehr man sich mit sich selbst beschäfigt, sich öffnet und in den Gruppen redet, es in einem arbeitet, desto dankbarer ist man für die Ruhe.

Willst du was zu den einzelnen Therapien sagen?
Nein, noch nicht. Werde ich später mal nach und nach aufgreifen und schreiben, was sie mir gebracht haben.

Wann bist du deiner Meinung nach angekommen?
Das hat locker zwei Wochen gedauert, bis ich auch das erste Mal richtig reden konnte. Ich habe ja auch meine Schutzmauern gehabt und hatte Angst, die einzureißen und andere dahinterschauen zu lassen. Sicher, teilweise habe ich Ansätze gegeben, aber nur soweit ich es auch wirklich wollte. In der Gruppentherapie habe ich zwar immer mitgesprochen, aber nie selbst ein Thema gehabt. Das hat 6 Wochen gedauert, bis ich so viel Vertrauen hatte, dass ich mich einbringen konnte. Letztlich hab ich erst in der 10. Woche das wirklich heikelste Thema auf dem Tisch gehabt.

Bereust du, dass es so lang gedauert hat?
Nein, es ist genauso gut gewesen, wie es war. Ich habe halt etwas länger gebraucht, konnte mich aber mit den anderen Themen intensiver beschäftigen, andere Sichtweisen bekommen und “wegarbeiten”. Ich bin froh, dass ich das Thema mit der Struktur und Notlügen auf dem Tisch hatte, darüber noch reden konnte und damit weiterarbeiten darf.

Wolltest du zwischendurch aufgeben?
Ja, leider ja. Aber ich glaube, das Gefühl haben viele während der Therapie. Dann, wenn es wirklich an Themen geht, die einem weh tun und richtig belasten, dann kommt der Moment. Es ist nicht leicht, sich da in der Gruppe fallen zu lassen, offen zu reden und die Gefühle zu zeigen.

Warum hast du nicht aufgegeben?
Weil ich es diesmal wirklich schaffen wollte und mich nicht wieder lethargisch zurückfallen lassen konnte. Dann hätte es mir nichts gebracht, ich hätte die Zeit vergeudet und hätte wieder alles aufs Spiel gesetzt.

Hast du das Ende herbeigesehnt?
Jein. Auf der einen Seite war ich wirklich müde von allem, wollte Ruhe und Urlaub davon. Auch wenn man nicht will, der Kopf arbeitet dennoch jeden Tag. Es war anstrengend und durfte vorbei sein. Auf der anderen Seite hätte ich gerne noch etwas Zeit gehabt, um weiter zu machen.

Wie geht es jetzt für dich weiter?
Ich habe mich direkt an den sozialpsychatrischen Dienst gewendet, einen Termin bekommen und wollte das als Übergang nutzen. Aber dank meiner Therapeutin in der Klinik, habe ich kurzfristig einen Termin bei einer ambulanten Therapeutin bekommen. Ich werde sicher beides konsequent in Anspruch nehmen und mich endlich so mitteilen, wie es sein muss.
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Danke an meine Freunde, denen ich mich bedingungslos anvertrauen konnte und statt der erwarteten Verurteilung letztlich Neugier, Verständnis und volle Unterstützung erfahren habe. Ihr seid ein Teil von dem, der mich hat offener sein lassen und mir damit auch Mut für diesen Schritt gegeben haben. Allein deshalb weiß ich “Freundschaft” zu schätzen, auch wenn ihr nicht in meiner näheren Umgebung seid.

Danke an die neu gewonnen Menschen der letzten Wochen und Monate, die mir mit ihrer Musik, ihrer Lebensfreude und dem Unterricht an Instrumenten wundervolle Momente gegeben haben und auch noch geben werden. Es ist toll, wenn ich so eine Liebe mit der Musik und meinem Hobby Fotografie vereinbaren kann. Der Unterricht und das Üben haben mich aus so manchem Gedankenkreislauf gerettet! Toll, dass ihr das macht, was ihr macht!

Der Löwenanteil geht dennoch an meine Partnerin, Vertraute, Krisenmanagerin, Comedian, Aufseher und Dirigentin! Ohne dich wäre ich diesen Weg so nicht gegangen, auch wenn ich mich selbst dazu entschieden habe. Ohne dich hätte ich zwischendurch schon aufgegeben. Ohne dich wäre ich nicht der, der ich jetzt sein darf. Danke, dass du mir so viel Vertrauen entgegenbringst und mich in all meinen Dingen bedingungslos unterstützt und auch so viel aushalten musstest. Es ist nicht nur schön, dass es dich gibt, es macht mich stolz, ein Teil deines Lebens sein zu dürfen und freue mich auf die gemeinsame Zukunft.

Das Leben ist lebenswert durch euch alle und mit euch allen!

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