Ich bin Vater. Ich bin gerne Vater. Ich weiß nicht, ob ich ein guter Vater bin. Ich bin auf jeden Fall ein liebender Vater. Einer von den Vätern, die ihrem Sohn die Nähe und Liebe geben, die er braucht. Alles andere kann ich nicht beurteilen. Ich möchte es auch nicht beurteilen. Ich weiß zu schätzen, wenn mir jemand „von außen“ sagt, dass es so ist, aber … da ist ein großes aber. Die Momente, die ihr „da draußen“ mitbekommen, sind Momentaufnahmen, so wie das im Internet nun mal ist. Ich gebe Einblicke in bestimmte Momente meines Lebens. Es sind sehr viele gute Momente. Wirklich viele gute Momente, weil unser Sohn diese Momente schafft, weil wir sie für ihn schaffen, weil sie durch uns alle entstehen. Ich teile die guten Momente, weil ich eben nicht nur „Der Depressionist“ bin. Hinter all den Texten, Tweets und Bildern steckt noch ein Mensch, der sich über mehr Gedanken macht, als nur das Leben mit depressiven Tagen, Wochen oder Episoden, Angst und sonstwas. Ich stelle mir Fragen. Viele Fragen. Vor allen aber habe ich mir eine Frage gestellt.
Gestern durfte ich die andere Seite kennenlernen. Die Seite, die ihr immer erlebt, wenn ihr mich bei einer Lesung unbedingt reden hören wollt. Ihr folgt mir, lest mich länger, habt mich vielleicht schon mal angeschrieben und freut euch jetzt, dass ich in der Stadt bin. Ja, die Seite hatte ich gestern. Die Seite ist wirklich spannend. Gestern war Nora Imlau im Freizeitheim Linden. Mich hat es sehr geärgert, weil es eigentlich nicht in meinen Terminplaner passte. Vorgestern Geburtstag, heute in Buxtehude, gestern noch weggehen? War nicht der Plan. Pläne sind aber auch für den Arsch. Zumindest meistens. Mir war der Abend wichtig, wir haben es möglich gemacht und ich war da. Nicht wissend, was genau mich erwartet. Nur eines war mir klar: Ein gefühlsstarkes Kind habe ich nicht. Und doch bin ich daran interessiert, was gefühlsstarke Kinder und Eltern sind.
Was für ein Vater möchte ich sein?
Die Frage hatte ich schon längst abgehakt. Die Frage habe ich mir am Anfang gestellt. Nicht nur. Ich habe mir vor allem die Frage gestellt, welcher Vater kann ich sein? Ja, auch ich habe einen Plan entwickelt, wie ich mit meinem Sohn umgehen möchte, was ich im beibringen werde, wie ich es ihm beibringen werde und all die Dinge, die alle Eltern vorher planen. Da ist das wieder mit dem Plan. Pläne sind eben für den Arsch. Immer wenn ich einen Plan für den Ablauf im Alltag habe, kommt da mein Sohn und wird ihn gnadenlos vernichten. Weil er es kann. Weil er es will. Weil er seinen Weg gehen möchte und diesen Plan nicht kennt. Und er lässt sich partout nicht darauf ein, weil es nicht sein Plan ist. Irgendwann habe ich jeden Plan gestrichen. Der einzige, der noch über ist: Sei einfach ein liebender, achtsamer Vater, der seinen Sohn ernst nimmt und seine Gefühle respektiert.
So viel Freude, so viel Wut. Das neue Buch von Nora. Ich schätze sie sehr für ihre anderen Texte, die mich auf der Ebene der Erziehung ganz anders erreichen. Gerade weil bei mir das Thema „Prägung“ in der Kindheit auch sehr relevant ist. Damit auch die nächsten Fragen. Was gebe ich weiter? Wie präge ich? Was prägt ihn wie? Wie sehr wurde ich nun geprägt, dass ich nicht das auch noch weitergebe. Ja, manchmal merke ich meine Prägung. Das ist aber nicht falsch. Im Gegenteil. Es ist richtig und wichtig, weil ich mich dann mit mir auseinandersetze.
Ein Abend. Viele Bewegungen.
Liebe Nora,
nimm es mir nicht übel. Wir folgen uns schon länger bei Twitter, wir lesen uns sporadisch (davon gehe ich jetzt einfach aus, außer du erzählst mir das Gegenteil :D ), wir schätzen und respektieren uns. Und dann hört es auf. Denn seit gestern muss ich sagen: Du bist auch schon ganz schön mies. Mies gemein. Gemein ehrlich. Ehrlich auf den Punkt. Punktuell sehr bewegend. Sicher habe ich eine andere Erwartung an den Abend gehabt. Ich wollte eigentlich nur etwas über das Verhalten meines Sohnes lernen. Vor allem, wie ich mit ihm in Stresssituationen umgehen kann, warum er oft emotional reagiert, warum er so eine sture … lassen wir das. Ich habe gestern viel gelernt. Nur nicht über meinen Sohn. Ich habe etwas über mich gelernt. Danke, dass du mir gezeigt hast, dass ich in vielen Dingen die richtige Entscheidung schon lange getroffen habe. Mich mit meiner Kindheit auseinander zu setzen.
Eltern sein heißt nicht, sein Kind in eine Form zu pressen, die unserer Vorstellung entsprechen. Jedes Kind hat wunderbare Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft Platz finden. Wir müssen unsere negative Brille abnehmen.
Du hast auch ganz andere Punkte erreicht. Die, dass ich mich hinterfrage. Mich, der seinem Sohn auf eine liebevolle (und auch bestimmte) Art ins Leben begleiten darf. Wir hatten viele Schnittpunkte in unseren durchaus sehr unterschiedlichen Themen. Menschen nicht zu bewerten, oder wie du es sagen würdest: Jedes Kind hat einen Platz in dieser Welt verdient, wenn wir seine Fähigkeiten zu schätzen wissen.
Wer hätten wir sein können, wenn wir all unsere starken Gefühle hätten haben dürfen? Wie oft wurden wir in den Gefühlen gebrochen und unterdrückt?
Gestern hast du mir gezeigt, dass es nicht darum geht, wie ich meinen Sohn wahrnehme und auf seine Bedürfnisse eingehe, du hast mir gestern einfach nochmal mich als Kind gezeigt. „Kinder wollen immer kooperieren. Sie haben keinen Vorteil davon, uns in den Wahnsinn zu treiben. Wir müssen nur verstehen, was unser Kind uns mit seinem Verhalten sagen will“, hast du einfach so gesagt. Einer dieser Sätze, der wie ein Hagelschauer mein fein säuberlich gezimmertes Dach kaputtmacht und große Löcher reinschlägt. Nicht nur, dass ich diesen Satz in den Notizen habe und mehr für mich bei meinem Sohn anwenden kann, nein, das ist genau das Thema, was mich eh umtrieben hat. Eltern, die mich und mein Verhalten richtig wahrnehmen und hinterfragen, nicht verurteilen, noch mehr Druck erzeugen, abwerten, mich in Gefühlen beschneiden, mit Entzug von Lieblingsspielsachen drohen, oder, oder, oder. Warum hast du die Macht, in meinen Kopf zu gucken? Oder hängt doch alles zwangsläufig zusammen? Meine Kindheit, die Vorstellung meiner Erziehung und der Charakter von meinem Kind? Ist alles so miteinander verbunden, dass ich den Blick auf mich wenden muss? „Kinder bringen dich dazu, dich mit deiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Auch mit den Dingen, die du schon lange verdrängt hast. Die nehmen da keine Rücksicht“, auch das hast du gesagt. Weißt du, wie viel Wahrheit in diesem Satz steckt? Weißt du auch, welche Aufgabe das ist? Weißt du. Sonst würdest du das nicht so sagen.
Sprache formt Menschen, Sprache schafft Wirklichkeit. Kinder merken, wie Eltern über ihre Kinder reden und fühlen. Lasst uns abwertende Begriffe abschaffen. Nennen wir sie „gefühlsstarke“ und nicht „schwierige“ Kinder.
Nein, du bist nicht mies. Der Abend ist nicht mies. Der Abend war gut. Das was du sagst ist sehr gut. Ich hatte nur einfach eine andere Erwartung.
Danke. Danke auch für die fachlichen Ausführungen ins Gehirn, die verständlich und nachvollziehbar gezeigt haben, dass ein Kind eben schon „fertig“ auf die Welt kommt. Danke für die Label, die keine Label sind, aber doch Label sind, weil sie einen Menschen greifbarer machen – egal, ob einfaches Kind, mitteleinfaches Kind oder gefühlsstarkes Kind. Manche Dinge brauchen einen Namen, damit sie klarer werden – eben wie mit einer Diagnose. Weiß ich nicht, was mit mir ist, gibt mir die Diagnose einen Halt. Mache ich mich auf die Reise, um mich zu verstehen, werden die Diagnosen langsam entschwinden, weil so so so viele Grenzen im Leben verschwimmen. Danke für all die Spiegel, die du eben mal ins Mikro gesprochen hast. Danke für den Halt und die Bestärkung, Ruhe zu bewahren. Danke auch für die leisen Ermahnungen, nicht „von oben herab“ zu reden.
Die Verschiedenheit lässt uns stark werden und uns weiterentwickeln.
Den anderen Menschen anzunehmen, wie er ist und in seinen Fähigkeiten unterstützen, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und sich darauf einzulassen. Ist es vielleicht einfach nur das? Ist das das ganze Geheimnis? Das Geheimnis des Zusammenlebens miteinander? Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, anstatt sich abzuwerten oder besser zu stellen? Menschen, die eben einfach mal anders denken, als sie es gelernt haben und die Gesellschaft es geprägt hat, damit wir eine Vorstellung erfüllen, die wir aber gar nicht erfüllen wollen? Ich denke ja.
Ich ziehe vor allen meinen imaginären Hut, die die Aufgabe eines starken und fordernden Kindes bekommen haben. Oder die Aufgabe sogar noch mit einem zweiten Kind erweitert haben. Und dann noch den Rubicks Cube auspacken, selbst gefühlsstark sind und … nun ja. Die Aufgabe ist sicher lösbar, aber nur mit immensem Kraftaufwand. Der Zaubertrick für das Leben in der Familie? Alle brauchen Raum für ihre Bedürfnisse und Kraftquellen – denn die sind für jeden anders. Sport und Action sind nicht die Bedürfnisse eines Menschen, der Kraft aus dem Lesen eines Buches schöpft. Kommunikation, Kompromisse und Kraftquellen. Bringen wir es zusammen, erleichtern wir uns vieles.
Wenn ihr als Eltern die Chance habt, Nora mal sehen zu können, macht das! Habt ihr die Chance nicht, lest trotzdem ihre Bücher – sonst werdet ihr alle nachträglich ins Bett geferbert! Ja, das ist ne Drohung! Sie erreicht auf so vielen Ebenen.
Vater werden ist nicht schwer, … blah!
Und? Bin ich nun ein guter Vater? Ich weiß es noch immer nicht. Ich bin ein interessierter Vater, ich versuche jeden Tag mein Bestes zu geben, ich mache Fehler, ich muss nicht perfekt sein, ich bin mal lauter, genervt und auch frustriert. Vielleicht auch überfordernd, weil ich versuche, meine Vorstellung von etwas durchzusetzen. Ich ärgere mich. Ich ärgere mich oft darüber. Ich weiß aber schon lange, dass ich viel von meinem Sohn lernen kann. Der Abend hat mir das nochmal bewusst gemacht. Es geht auch im Eltern-Kind-Verhältnis nicht um Macht. Ich habe Macht, aber ich darf sie nicht um jeden Preis durchsetzen. Viel einfacher ist es, mit meinem Sohn zu kooperieren. Ich bin für ihn der beste Papa, den er sich wünschen kann, weil ich eben sein Papa bin. Und die Chance, die Bindung noch mehr zu stärken ist größer denn je – durch meine Erfahrung, durch das Auseinandersetzen mit mir und der Vergangen, durch diesen Abend, durch meine Vorstellung, die ich ihm nicht aufdrängen werde, sondern ihn sein lassen darf, wie er ist. Seid stolz und liebt eure Kinder – auch wenn es Kraft kostet. Auch das ist eines dieser Geheimnisse, die uns zu guten Eltern werden lassen.
Nachtrag: WIR sind die Generation, die die Glaubenssätze, die über Jahrhunderte weitergegeben wurden, auflösen zu können. Wir entwickeln uns mit der Gesellschaft. Unser Gehirn und das Empfinden verändert sich. Es wird Zeit, dass wir diese Chance nutzen. Wir sind erwachsen geworden und dürfen die Glaubenssätze loslassen, es einfach mal anders machen, anders als es uns gezeigt wurde. Wir dürfen auf uns vertrauen und andere Wege gehen. Ja, ich bin vielleicht doch ein guter Vater, weil ich in den angespannten Situationen nicht von oben herab rede, sondern mich auf Augenhöhe meines Sohnes begebe und ihn in den Arm nehme, weil ich ihm Schmerzen, Tränen und Gefühle nicht abspreche. Auch mit seinen fast 3 Jahren lernen wir hier alle noch von einander. Und ja, die größte Aufgabe gibt er uns: Uns mit uns selbst auseinander zu setzen.
7 Kommentare
Wow. Bei deinem Nachtrag schiessen mir die Tränen hoch, die ich gerade weg blinzel. Warum? Weil ich die gleichen Gedanken in meinem Kopf habe. Danke dafür.
Ich weiß gerade nicht genau, wie ich es ausdrücken soll. Ich bin Vater, depressiv und habe viele Deiner Gedanken auch in meinem Schädel. Oft denke ich, dass ich die Kinder bestimmt nur negativ präge.
Du machst mir Mut. Das ist selten. Danke.
Nicht nur weil wir Depressionen haben, sind diese Zweifel da. Die haben „normale“ genauso. Und ja, bitte hab Mut, sei Vater, denn du gibst nicht nur Negatives weiter. Das ist das, was uns die destruktive Denkweise glauben lassen will.
So wahre Worte! Bei mir hatte die Depression dahingehend etwas Gutes. Ich habe durch sie und deren „Ursache“ (Kindheitserlebnisse, …) viel gelernt, mich belesen, ausgetauscht und reflektiert. Hauptsächlich festgestellt, was ich „meinen Kindern nicht antun möchte“ und den Umgang mit meinen Kindern komplett einmal umgekrempelt. Ohne meine Depression wäre ich wohl nie auf den bedürfnisorientierten Weg gekommen.
Ich bin selbst eine hochsensible Mama von zwei Kindern (eins davon gefühlsstark) und bin mir sicher, dass sich momentan unter Eltern ganz schön was tut in Sachen alte Glaubenssätze auflösen. Es könnte aber auch sein, dass mir das nur so stark auffällt, weil ich mich selbst lieber mit solchen Eltern/Gruppen umgebe als mit stark (autoritär) Erziehenden.
Ich liebe meine Eltern und mache ihnen keinen Vorwurf. Waren andere Zeiten. Dennoch ist es JETZT an der Zeit es anders zu machen und mehr zu reflektieren als meine Eltern bei mir damals. Mir zuliebe. Hauptsächlich aber meinen Kindern. Um ihnen einen gesunden Start ins eigene Leben zu ermöglichen.
Btw: Nora ist wunderbar und ich werde das neue Buch auf jeden Fall kaufen.
Ich habe deinen Blog vor ein paar Tagen gefunden und lese mich seit dem durch die Beiträge.
Deine Einsichten machen Mut, geben Denkansätze und wirken sehr ehrlich.
Vor Allem ist es schön zu sehen wie du dich mit in etwa ähnlichen Themen herumschlägst – mein „Großer“ ist, wenn ich das richtig verfolgt habe, in etwa so alt wie dein Kind.
Vielen Dank, dass du dir die Mühe machst und deine Gedanken zu diesen Themen hier niederschreibst.
P.s.:Gerade deine Zusammenfassung am Endes des Beitrags kann ich nur unterstreichen.
Danke für deinen Kommentar. Mühe ist es nicht mal, der Blog ist meine „Ruheecke“, wo ich all diese Gedanken loswerden und auflösen kann.
Ja! So ist es.
Schön, auch der fliessende Übergang von schlecht gelauntem Vater, weil die Kinder ganz einfach den Alltag chaotisieren, zu: Papa ist depressiv.
Liest sich super.
Auch schwer für andere.