Herr Bock fragt … die Deichgräfin

Herr Bock fragt … wieder einen interessanten Menschen. Diesmal „Erna unplugged„, die zwar bei Twitter Deichgräfin heißt, aber seit zwei Jahren mit ihrer bayerischen Depression im Süden wohnt. Erna heißt nicht Erna, aber Kollegen nennen sie so. Sie lebt nicht nur mit der Depression, sie hat diverse Phobien und daraus resultierende Zwangsstörungen mit Verhaltenstherapie in den Griff bekommen. Twitter als Medium – einmal mehr. Sie schreibt mal mehr, mal weniger über das (Er)Leben und führt auch Gespräche mit ihrem „unangenehmen Besuch“. Auf einfühlsame und nicht aufdringliche Art, vermittelt sie, dass es nicht schlimm ist, mit einer psychischen Erkrankung zu leben und schafft mit den Selbstgesprächen etwas Distanz, um sie selbst zu bleiben. Ihren Blog nutzt sie nur, wenn sie das Gefühl hat, sie hätte was zu sagen. Wer sie liest, wird unweigerlich denken, dass sie noch viel mehr zu sagen hätte. Mit ihren Tweets sagt sie oft auch schon mehr, als ihr wahrscheinlich bewusst ist. Ich freu mich, dass sie mir ein paar Fragen beantwortet hat und nicht nur mit ihrem Besuch redet.

1. Du schreibst einen Blog und twitterst die zwiespältigen Dialoge mit deiner Depression. Wie bist du dazu gekommen?
Es fing mit Twitter an. Das war zu der Zeit, als es gerade bergab ging und die Depression begann, sich einzunisten. Ich hatte gerade ne fette Erkältung und lag krank, depressiv und genervt zu Hause im Bett und hatte den Drang, mich irgendwie mitzuteilen. Ich wollte das nicht mehr alles allein herumschleppen, wollte allerdings auch nicht den Menschen in meinem Umfeld noch mehr mit meinem „Genöle“ zur Last fallen. Also wählte ich den anonymen Weg. Die Dialoge entstanden dann etwas später, als die Depression mich nach kurzer Pause wieder im Griff hatte. Mir ging das Bild einer nervigen Person durch den Kopf, die einen Schlüssel zur Wohnung hat, ungebeten reinplatzt, sich in den Sessel schmeißt und dann auch noch deine Lieblingskekse auffrisst. Eine Person, die niemand mag, die aber da ist und mit der man sich arrangieren muss. Ein bisschen wie das schwarze Familienschaf. Und zack! waren die Depressionsdialoge entstanden.

Der Blog kam dann zum „1. Geburtstag“ meiner Depression. Ich war da bereits seit mehreren Monaten arbeitsunfähig, viel war passiert, und irgendwie musste das alles raus. Es war auch nochmal wie eine Art Outing. An sich wussten zwar schon die meisten Menschen aus meinem Umfeld Bescheid, aber so schwarz auf weiß… irgendwie brauchte ich das, wollte ich es so öffentlich haben. Vielleicht war das auch nochmal ein weiterer Schritt, die Depression anzuerkennen.

2. Viele machen sich einfach nur Luft, indem sie schreiben, wie sie ihr Leben mit der Depression empfinden. Du hast humorvolle Dialoge. Begegnest du der Depression „zu Hause“ auch mit Humor?
Ja. Immer, wenn es geht. Das war schon so, als ich noch unter verschiedenen Phobien und einer daraus resultierenden Zwangsstörung litt. Meine damalige Therapeutin und ich haben immer viel zusammen gelacht, und inzwischen klappt das in der Psychoanalyse auch. Mit den Kollegen frotzel ich auch gelegentlich über die Depression, und mit Freunden und Familie sowieso. Ich brauche den Humor, um Distanz zu halten. Wenn ich die nicht hätte, wäre die Depression zu nah. Dann wäre sie ich. Der Humor bewahrt mir mein Ich. Er sorgt dafür, dass die Krankheit zwar ein Teil von mir ist, den ich auch akzeptieren kann, aber sie nimmt mich nicht komplett ein – klappt natürlich auch oft genug nicht…

3. Jeden Tag kann man deinen „Ernathlon“ bei Twitter lesen. 3 gute Dinge des Tages. Wie wichtig ist es für dich, das täglich aufzuschreiben? Hast du noch andere Rituale, um dir positive Dinge selbst zu zeigen?
Mir war das bereits früher empfohlen worden, aber irgendwie fand ich das damals doof. Als es dann aber über eine andere Nutzerin bei Twitter auftauchte, erinnerte ich mich an den Tipp und probierte es doch mal aus. Inzwischen ist es ein schönes Ritual geworden, und manchmal seh ich extra über den Tag noch zu, dass ich noch irgendwas Gutes mache, wenn ich erst auf zwei Dinge komme. Ich lerne dadurch, den Blick für die kleinen Dinge zu schärfen. Selbst an Tagen, die nicht so toll waren, lässt sich doch meistens irgendeine Kleinigkeit finden, und sei es der erste Kaffee am Tag oder die Brezel. Man sieht so oft nur das Schlechte und lässt es den Tag dominieren… Ich versuche auch zwischendurch immer wieder, mir vor Augen zu führen, was ich insgesamt schon alles geschafft und bewältigt habe, und wenn ich gute Tage habe, versuche ich, ganz genau hinzufühlen und das Gefühl ganz genau wahrzunehmen. Wenn ich etwas Schönes mache oder mir etwas Schönes begegnet, mache ich ein Foto davon und lade es bei Instagram hoch, damit ich mich später wieder an den Moment erinnern kann. Ich versuche so, mir die guten Momente und guten Gefühle einzutuppern.

4. Im letzten Blogbeitrag hast du einen Rant über einen nicht so freundlichen Kommentar geschrieben. Wie oft begegnen dir solche Kommentare selbst? Wie sind die Reaktionen im privaten Umfeld?
Ich habe großes Glück und bekomme derartige Kommentare nur sehr, sehr selten ab. Mein privates Umfeld geht eigentlich sehr gut mit meiner Depression um. Klar gibt es Unterschiede, die einen können sich besser in meine Lage hineinversetzen, die anderen vielleicht weniger. Aber negative Kommentare, oder gar Druck und Unverständnis, habe ich sehr, sehr selten zu hören bekommen. Es sind eher Fragen oder Bemerkungen aus dem erweiterten Umfeld, die aus Gedankenlosigkeit entstehen – aber trotzdem verletzend sein können, wie zum Beispiel die ungläubige Frage einer Ärztin, ob ich denn wegen der Depression gar nicht arbeiten könne, wo ich doch so fröhlich wirke. Aber das ist die Ausnahme. Trotzdem bringen mich Äußerungen wie die in meinem Blogpost thematisierte auf die Palme, auch wenn sie gar nicht mich persönlich betreffen. Es gibt genug Menschen, die nicht das Glück eines verständnisvollen Umfelds haben, und da können Vorwürfe, Ungläubigkeit oder abfällige Bemerkungen viel anrichten. Ich vermute, beinahe jede depressive Person kennt die Momente, in denen man zweifelt, ob man sich wirklich genug anstrengt, und ob man nicht „einfach“ NOCH mehr wollen müsste, in denen man glaubt, man sei nicht gut genug, weil man Dinge nicht schafft. Momente, in denen man hart mit sich selbst ins Gericht geht und sich selbst fertig macht. Da braucht man nicht noch Klugscheißer wie den im Blog thematisierten, die zusätzlich von außen noch draufhauen.

5. Leben mit der Depression. Oder: wie oft beschäftigst du dich mit der Diagnose? Wie sehr beeinflusst sie auch an guten Tagen dein Handeln?
Die Depression nimmt schon viel Raum in meinem Leben ein. Allein durch die drei Stunden Therapie pro Woche. Und mit den drei Stunden ist es ja nicht getan. Die Therapie wirkt oft nach, wühlt Dinge aus dem Unbewussten auf und holt sie an die Oberfläche, die mich dann noch länger beschäftigen. In schlechten Phasen ist die Depression eh präsent, aber auch an guten Tagen lauert sie oft im Hintergrund. Dann kommt nämlich irgendwann der Punkt, an dem ich dem guten Gefühl nicht mehr ganz trauen kann, kommt die Furcht vor dem nächsten Loch, das dann schon einen Schatten wirft, obwohl es noch gar nicht in Sichtweite ist. Es ist nicht immer einfach, die Hochs unbeschwert zu genießen, ohne an das nächste Tief zu denken. Es gibt zum Glück aber auch gute Phasen, in denen ich sie ausblenden kann. Da fühlt es sich fast an, als sei ich völlig normal – was auch immer das sein mag…

6. Wer wärst du ohne Depression? Hat sie für dich Vorteile gehabt, oder war sie nur eine Belastung?
Puh, schwierige Frage… Ich wäre ohne die Depression sicher eine andere. Aber nicht zwangsläufig eine bessere. Ich habe durch die Krankheit schon viel gelernt und mich sehr verändert. Die Psychoanalyse macht viel mit mir, aber auch einige Freundschaften haben sich verändert, sind enger geworden. Ich hätte zwar gern auf die Belastungen der Depression verzichtet, aber ich habe bisher wirklich auch schon viel Gutes daraus ziehen können.

7. Wie wichtig ist dir das Schreiben geworden? Nutzt du es auch außerhalb des Internets?
Sehr wichtig. Es hilft mir, abstrakten Gefühle und wabernde Gedanken eine Form zu geben, sie greifbar zu machen. Es ist ein bisschen wie Psychoanalyse auf „Papier“: indem ich Dinge ausformuliere, werden sie klarer, und manchmal fügen sich beim Schreiben auch neue Puzzleteile zusammen. Das Schreiben ist macht Empfindungen sichtbar und trägt für mich dazu bei, mehr Ordnung reinzubekommen. Außerdem kann ich versuchen, anderen damit einen Einblick in die Depression zu geben. Und manchmal ist es eben auch ein guter Weg, sich mal Dinge von der Seele zu schreiben, sich schriftlich auszukotzen.

Außerhalb des Internets schreibe ich eigentlich kaum. Also, kein Tagebuch oder so, nichts Handschriftliches. Ich formuliere schnell im Kopf, und das geht beim Tippen besser. Und wenn es dann eh schon digital da ist, kann ich es auch anderen zugänglich machen. Vielleicht hilft es der einen oder dem anderen.

8. Was müsste passieren, damit du nicht mehr über dich und das Erleben schreibst?
Es müsste mir mehr nehmen als geben. Zur Zeit hilft es mir, die Dinge von der Seele zu schreiben, und die Reaktionen darauf geben mir Kraft und Mut. Sollte sich das aber ins Gegenteil verkehren und ich feststellen, dass es mich mehr Kraft kostet, das alles am Laufen zu halten, und wenn dann vielleicht auch noch negative Reaktionen überhand nehmen würden, dann müsste ich vielleicht darüber nachdenken, das Ganze sein zu lassen. Außerdem macht man sich angreifbar und verletzbar, wenn man so viel Persönliches öffentlich macht. Daher ist es für mich wichtig, dass ich das im Schutz der Anonymität tun kann. Wenn das nicht mehr gewährleistet wäre, müsste ich darüber nachdenken, ob ich so weitermachen würde, wie bisher. Und vielleicht, das wäre jetzt mal ein positives Szenario, habe ich auch eines Tages nichts mehr über meine Depression zu sagen – weil sie nicht mehr da ist.

9. Tauscht du dich mit anderen Betroffenen aus und bringt es dir selbst etwas?
Ich habe einige Betroffene im Freundeskreis. Da ist die Depression nicht bei jedem Treffen das Hauptthema, aber es ist gut, offen miteinander darüber sprechen zu können, wie es uns gerade geht. Manchmal können wir zusammen nörgeln, wie doof gerade alles ist, uns gegenseitig aufbauen oder ablenken. Das ist eine große Hilfe. Es ist gut zu wissen, dass ich nicht die einzige bin, und dass Freunde nachempfinden können, was bei mir los ist. Das macht viele Dinge leichter.

Auch übers Internet entsteht viel Austausch mit anderen Betroffenen, und das ist sehr wertvoll für mich. So gesehen ist Twitter meine digitale Selbsthilfegruppe. Jeder weiß natürlich, dass er oder sie nicht allein von der Depression betroffen ist, und dass es noch unzählige andere gibt, die dasselbe durchmachen. Trotzdem ist es nochmal ein ganz anderer Schnack, wenn man direkt von diesen Betroffenen hört oder eben liest, dass sie ähnliche Erfahrungen machen, wie es ihnen damit geht, wie sie damit umgehen. Es kann so hilfreich sein, wenn man in einer schlechten Phase Beistand und Verständnis anderer Betroffener bekommt, die aus eigener Erfahrung nachvollziehen können, wie es einem gerade geht – egal, ob das nun im Freundeskreis oder auf Twitter passiert. Das können Unterhaltungen sein oder auch Tweets, die man liest und denkt „Genau das!“ Ich habe mit ein paar Leuten engeren Kontakt über Twitter geknüpft, und wir tauschen uns regelmäßig aus. Es ist ein gegenseitiges Unterstützen, zu einem gewissen Grad vielleicht auch Auffangen oder Ablenken.

10. Wenn du Betroffenen und Angehörigen etwas mit auf den Weg geben könntest, was würdest du sagen?
Wer von einer Depression betroffen ist, sollte nicht denken, er müsse das verstecken, oder sich mehr zusammenreißen. Der wichtigste Schritt ist, ehrlich zu sich selbst zu sein und anzuerkennen, dass man ein Problem hat, dem man alleine nicht gewachsen ist. Redet mit Personen, denen ihr vertraut darüber, und sucht Euch Hilfe. Eine Depression macht Euch nicht zu einem schlechten Menschen. Ihr seid weder faul noch weniger wert als andere. Der Weg ist nicht leicht, aber ihr seid nicht allein damit, und es gibt zahlreiche Wege (Psychotherapie, Antidepressiva, Selbsthilfegruppen, Tageskliniken, stationäre Therapie etc), auf denen Euch geholfen werden kann. Bitte versteckt Euch nicht und lasst Euch helfen! Allen Angehörigen möchte ich raten: informiert Euch über die Krankheit. Versucht nicht, mit Küchenpsychologie und Ratschlägen aus Ommas Abreißkalender einem Betroffenen helfen zu wollen, sondern macht Euch schlau, was ihr wirklich für den- oder diejenige tun könnt und fragt, was er oder sie braucht. Das Wichtigste: hört zu, seid da und macht keine Vorwürfe. Ja, es ist kacke, depressiv zu sein. Aber niemand von uns hat sich das ausgesucht. Weder die Betroffenen, noch ihr Umfeld.

Danke Erna, dass du auf sympathische Weise dein Leben teilst und auch unterschwellig ein paar Tipps mit auf die Reise schickst. Schön, dich in meinem Dunstkreis zu haben, weil du auch Gedanken teilst, bei denen ich einfach nicke, schmunzle und mich angenehm verstanden fühle.

Blog: https://ernaunpluggedblog.wordpress.com/
Twitter: https://twitter.com/erna_unplugged

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2 Kommentare

  1. Oha, sehr interessant das Interview mit der Erna. Da werde ich mal vorbeischauen bei ihren Blog und das mit Twitter nur kurz eines Blick würdigen, denn Twitter habe ich schon vor Jahren beendet. ?

    1. Twitter kannste dir ja trotzdem anschauen und nach den Hashtags suchen. Zumindest ist an Ernas Account kein Schloss. :)

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