Heldenwelten

Die Sonne scheint. Es wird langsam Frühling. Das Thermometer zeigt schon gelegentlich zweistellige Temperaturen an. Ich lieben den Frühling. Ich liebe es, wenn die Blumen langsam rauskommen und die Natur wieder Farbe annimmt. Ich mag es, wenn die Sonnenstrahlen meine Haut streicheln. Ich liebe es, wenn es draußen noch nicht all zu warm ist. Ich könnte jetzt rausgehen, diesen Tag genießen, spazieren, leben, entdecken. Das einzige, was ich gerade wirklich entdecke? Ist die depressive Episode, die mich schon länger wieder gefangen hält. Ich möchte nicht rausgehen. Es ist mir egal. Ich möchte viele andere Sachen auch nicht machen. Eigentlich kann ich es gerade auch schon wieder nicht. Es ist mir zu viel. Die ganzen Aufgaben im Alltag sind mir zu viel. Zeit habe ich dafür auch nicht. Wenn ich hier so ruhig, regungslos und scheinbar völlig entspannt in meinem Sessel sitze, sieht man mir die Rastlosigkeit und den Stress in meinem Kopf nicht an. Unaufhörlich platzen immer neue Gedanken in den Kopf, die durchdacht werden wollen. Sie wiederholen sich. Immerhin scheitere ich an meinen selbstgesteckten Zielen und Erwartungen. Immerhin klappt das.

Ich weiß nicht, wie weit die Lethargie noch weg ist. Manchmal höre ich sie schon rufen. Ich kann manche Aufgaben nicht mehr überblicken oder schiebe sie ein paar Tage auf. Ich bin desinteressiert an Gesprächen – nicht am Menschen! Mich interessiert der Mensch ja, es gibt nur gerade keinen Platz für tiefgehende Gespräche, weil ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin. Auch das kenne ich ja zu gut. Mit Dysthymie schwingt nicht die große Keule der Depression um dich herum, es ist ein unterschwelliges Gefühl, das permanent da ist. Chronisch. Dysthymie ist eben nicht wiederkehrend, sondern chronisch. Chronisch. Ein so großes Wort. Eins von denen, die dir einen dicken Stempel hinter die Stirn hämmern. Genau da, wo deine Zellen im Kopf es immer sehen müssen. Gerne auch noch mit Leuchtschrift. DYSTHYMIE! Chronisch eben. Immer da. Jeden Tag. JEDEN TAG! Deswegen ist es auch jeden Tag so viel mehr Arbeit, als sonst. Pausenlos das Gefühl, dass irgendwas ist. Mit mir. Die Phasen wechseln gerne. Manchmal hänge ich in Wut, dann Kritik und an anderen Tagen bin ich einfach unsagbar müde. Gestern und heute zum Beispiel. Dysthymie. Chronisch. Es ist, als wenn du normal leben könntest, aber dich von innen etwas Stück für Stück zerfressen möchte. Manchmal fühle ich mich wie ein verloren gegangenes Puzzleteil, dass niemand mehr sucht, weil er das unvollständige Puzzle schon entsorgt hat. Ich fühle mich wie eine alte Karosse auf dem Schrottplatz. Ab und an kommt mal jemand vorbei und braucht noch was von mir, aber ich? Liege da entsorgt, rostig, vergammlt, aussortiert.

Mein Alltag kann prima funktionieren. Ich kann prima funktionieren. Ich kann auch leben und lachen, aber … da schwingt immer das Damoklesschwert über mir. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder zuschlägt. Unangekündigt. Kraftvoll. Mit einem Schwung. Dann ist sie da, die depressive Episode. Der Moment, der alles in mir wieder ins schwanken bringt. Das zähe Ringen um Stabilität beginnt von vorn. Stabilität. Was ist schon Stabilität, wenn ich den Rotz chronisch habe? Ist die Stabilität dann die negative Wahrnehmung? Ist es stabil, nur in meinen Gedanken festzuhängen – weil ich das ja schon 20 Jahre mache? Ist es stabil, mich weiter so auszuhalten? Suchend. Reflektierend. Therapierend. Kämpfend. Auch aufgebend und resignierend. Was ist nun Stabilität?

Endlich eine Niederlage.

Kämpfen. Das machen doch Helden. Helden gewinnen immer. Helden setzen sich über dem normalen Maß für etwas ein und gewinnen. Helden haben zwar auch Schwachpunkte und Fehler, aber sie stehen dazu. Fehler machen einen Heldencharakter nur sympathischer. Ein Held muss Sympathie tragen können, sonst funktioniert das nicht mit der Glorifizierung. Helden. Ich bin kein Held. Ich kämpfe gerade den Kampf meines Lebens, um weiterzukommen. Die Schlacht ist aber noch nicht geschlagen. Was macht mich also zum Helden, wenn ich wieder zurückfalle? Ist es heldenhaft, über seine eigenen Grenzen zu gehen? Wie heldenhaft ist es, wenn ich immer wieder über meine Grenzen gehen muss? Wie heldenhaft ist, wenn ich nicht so toll vorwärts komme? Bin ich ein Held, nur weil ich über mich und mein Leben erzähle? Der Rückfall? Ist eine Niederlage – auch wenn mir bewusst ist, dass sie kommt.

Eine Niederlage. Eine von vielen. Ihr, die da „gesund“ durch die Welt geht, ihr könnt sicher trennen, ob ihr nur einen kleinen Fehler gemacht habt, ob es ein kleiner Rückschlag war, oder eine kurze Kritik. Ich, der unterschwellig immer in einer Abwertungsspirale taumelt, der empfindet einen Rückschlag gerne mal als vollständige Hinrichtung – als erneutes Komplettversagen. Bei mir findet eine Trennung der Situationen einfach nicht statt. Ein Auslöser, und das ganze System steht infrage. Nein! Nicht infrage, es bricht zusammen. In den Trümmern? Liege ich. Mit dem Wissen, wieder mal versagt zu haben. Ich taumele nicht durch die Spirale, ich falle direkt runter. „Aufstehen, Krone richten, weitergehen“, sagt man den kleinen Prinzessinnen nach. Prinzen auch. Ich bin kein Prinz. Auch kein Held. Wie denn auch? Helden stehen zwar auch wieder auf, brauchen aber nicht solange dafür. Passe ich also nicht früh genug auf, stürze ich mich direkt in einer dieser berüchtigten Phasen. Es ist auch nicht heldenhaft, wenn du jeden Tag deine Gedanken und Emotionen überprüfen musst. Ein Held muss auch nicht lernen, sich selbst zu mögen, für sich zu sorgen und etwas Gutes zu tun. Also? Bin ich kein Held.

Weltenspringer

Springen wir doch von einem Ort zum anderen. Nur heute mal. In den Imaginationsübungen muss ich mich ja schließlich auch an Orte denken. Orte, die mir gut tun. Ich springe. Von hier – von meinem ich – zu meinem Sohn. Der Sprung lohnt sich. Hier bin ich ein Held. Zumindest sehr oft. Ich bin sein Held. Er vergöttert mich. Ich bin kein Gott, aber ein Held. Ich bin sein heldenhafter Papa, weil ich sein Papa bin. Weil ich mit ihm tobe, spiele, lache, esse, kuschel, Geschichten erzähle, Quatsch mache, anziehe, ausziehe, wecke, schlafen lege, einkaufe, spaziere, Laufrad fahre, spaziere, Autos spiele und all die wundervollen Dinge, die ich eben mit ihm machen darf. Mein Vater war mein Held. Ich wollte alles so machen, wie er es macht. Dennoch gibt einschlagende Situationen. Gestern. Gestern war einer von diesen Momenten, die mich von meinem Heldenthron in die Güllegrube werfen. Nicht seine – meine Grube.

Müdigkeit bestimmt heute den Tag. Ich bin müde. Müde vom Fühlen und Denken. Nein, ich habe nicht die große Portion Selbstwert und Selbstbewusstsein mit auf den Weg bekommen. Ich bin verletzlich, nachdenklich, analysierend, reflektierend, einfühlsam und mich berühren Worte. Worte, die oft „nur eine lapidare Aussage sind und dennoch bei mir tiefer gehen und mich verletzen. „Du bist nicht meine Liebe, nur Mama ist meine Liebe“, sagte der 2 1/2jährige und wusste nicht, welch Gefühl bei so einer Aussage entsteht. Er ist Kind und diese Aussagen gehören dazu. Wenn du dich aber freust wieder nach Hause zu kommen, anstatt noch ne Nacht wegzubleiben und statt Spielen mit dem Sohn in eine Spirale der Abneigung gerätst, macht das als „erwachsenes Kind“ etwas mit dir. Ablehnung durch einen Menschen, den ich beingungslos liebe? Kenne ich zu gut. Viel zu gut. Und wenn du der Vater bist, der seinem Kind diese Liebe, das Vertrauen, die Nähe, die Geborgenheit und Aufmerksamkeit geben möchte, die er (ja, ich!) selbst nicht bekommen hat, dann macht das eine ganze Menge mit einem. Oder ihm. Oder wem auch immer. Nein, ich gehe nicht aus der Situation, ich bleibe da. Ich gehe nicht verletzt weg, ich bleibe bei ihm, auch wenn er mich wegschiebt.


DAS ist MEINE Aufgabe – er weiß nicht, was es mit mir macht. Ich halte das aus, auch wenn es an Tagen wie heute einfach schmerzt, weil ich selbst ein Stück der Liebe und Geborgenheit brauche. Ich … bin der enttäuschte und verletzte Junge, der lange darum gerungen hat, dass die engsten Vertrauten ihn einfach nur mal liebevoll in den Arm nehmen – ohne darum kämpfen oder betteln zu müssen. Heute kann ich nicht für mich sorgen. Heute muss ich als Junge verletzt zurückbleiben, denn der Erwachsene braucht alle Kraft für sich, um für den eigenen Jungen da zu sein. Kraft, um mit all den Empfindungen zu leben. Ein kleiner Schritt zu viel, und schon gehen alle Zahnräder wieder an. Ich bin vielleicht kein wertloser, überflüssiger, übersehener, nicht liebenswerter Mensch, doch genau so fühlt es sich an. Nicht andere lehnen mich ab, sondern ich. Noch viel zu oft. Heute? Muss ich das akzeptieren, durch diesen Schmerz gehen und kann morgen neu entscheiden.

Ich habe neu entschieden. Ich darf nicht nachtragend sein. Heute musste ich ihn aus der Krippe abholen. Früher als gedacht. Alle Pläne durcheinander. Und doch war es gut so. Wir waren noch einkaufen, haben Brötchen und Suppe besorgt, haben gespielt, das Essen gemacht und waren zusammen. Ich war für heute wieder sein Held. Mir bewusst zu machen, dass seine Reaktionen ein völlig normaler Prozess ist, ist ein kleiner Kraftakt. Vielleicht bin ich ja doch ein kleiner Held, weil ich das überstanden habe, nicht aus der Situation gegangen bin und da war.

Es ist egal, ob du ein Held bist!

Am Ende braucht mein Handeln und meine Person keine Bezeichnung. Ich brauche keine besondere Auszeichnungen. Ich möchte nicht überschwänglich gelobt oder hervorgehoben werden. Ich bin nur ein Mensch, der seit seinen Kindertagen mit depressiven Episoden, Suizidgedanken und all den negativen Denkstrukturen lebt. Ich bin nur ein Mensch, der seine Geschichte teilt, weil er sich nicht mehr verstecken kann. Ich bin auch nur der Mensch, der sich damit selbst ein Stück hilft, therapiert, reflektiert, ausprobiert und in den letzten 2 Jahren enorme Schritte gemacht hat. Schritte, sein eigenes Leben zu finden. Das Ich zu finden. Aus einer Rolle zu springen, die er nicht mehr leben konnte. Es ist nicht wichtig, ob ich ein Held bin. Ich bin einfach nur ein Stück in die Öffentlichkeit gegangen. Das ist der Unterschied. Helden sind all die Menschen, die täglich etwas Besonderes leisten – nicht nur abhängig von einer Krankheit. Ich bin ein Held für meinen Sohn, das reicht vollkommen aus. Ich habe Fehler. Ich mache Fehler. Ich bin manchmal eine Montagsproduktion, die ins Stottern gerät. Das ist alles. Ich schaffe nicht alle Aufgaben in meinem Alltag. Ich schaffe es nicht, sinnvoll meine Grenzen zu ziehen. Ich kann nicht immer für mich einstehen. Ich kein „harter Hund“, ich bin der, der auch Nähe und Geborgenheit braucht, weil der Kampf in meinem Leben oft so viel Kraft kostet, die ich nicht in Worte fasse. Worte, die ich auch zu Hause nicht immer teile (und teilen kann). Worte, die in mir toben wie ein Wirbelsturm, der mich von innen vernichten will. Ich muss kein Held sein, um zwischendurch mal etwas Stolz aufkeimen zu lassen, dass sich mein Leben doch gewendet hat. Oder habe ich es gewendet? Bin ich die Veränderung geworden? Auch das ist egal. Es ist anders geworden. Ich bin mutiger, als ich je gedacht habe. Ich mache Dinge, die ich mir nie vorstellen konnte. Ich bin kein Held. Ich bin nicht besser oder schlechter. Ich leiste vielleicht manchmal – in anderen Augen – außergewöhnliche Dinge, dabei fühlt es sich für mich so selbstverständlich an. Vieles. Ich? Bin einer von vielen vielen vielen Menschen, die etwas bewegen. Dafür muss ich kein Held sein.

Die Sonne scheint nicht mehr. Ich bin durch diesen Tag gekommen. Ich habe mich zu oft abgelenkt. Ich habe zu oft versucht, etwas anzufangen. Ich war zwischendurch wichtig. Ich war da. Ich habe versorgt. Ich habe mich gekümmert. Ich habe die wichtigsten Aufgaben übernommen. Die Sonne ist schon lange untergegangen. Die Nacht ist da. Die Stille der Dunkelheit. Leise Musik läuft im Hintergrund. Gefühlvolle Lieder durchstreifen meine Ohren, die Texte bewegen mich, wirken melancholisch. Ich mag die Melancholie dieser Stille gerade, sie holt mich runter, nimmt mir die Anspannung. Es ist Frühling. Blumen werden heldenhaft aus dem Boden schießen und stolz blühen. Irgendwann werde ich meinen Frühling haben. Ich werde aus diesem Kreislauf ausbrechen können, wachsen und stolz blühen. Für heute bleibe ich noch in der Wertlosigkeit und Dunkelheit meiner ausgetrockneten Blumenerde stecken, rufe leise nach Wasser und weiß, dass ich nur selbst dafür sorgen kann, ausreichend versorgt zu sein. Auch wenn ich blühe, bin ich kein Held – ich bin nur eine Blume von vielen, die endlich blühen kann.

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11 Kommentare

  1. Also..wenn ich so auf deine Termine/ Veranstaltungsdaten und der damit verbundenen Entstigmatisierungsarbeit schaue und weiß, dass du offenbar zusätzlich ein sehr umsichtiger Familienmensch bist, dann bist Du auf jeden Fall ein Held. Ein Held darf/ sollte auch zweifeln.

  2. Nein Du bist kein Held .. Wer ist das schon und warum? Aber Du bist ein Mensch, ein Mensch voller Emotionen. Und Du schaffst es diese Emotionen auf eine Art in Worte zu fassen dass Du viele Menschen erreichst. Du berührst die Seele anderer Menschen.

    Für mich persönlich heißt das, dass Du mir hilfst… mich zu überdenken, zu gesunden, andere Wege zu gehen. Der Besuch Deiner Lesung hat auch Veränderung für meine Ehe bedeutet, weil mein Mann nachvollziehen und verstehen konnte, was mit mir seit 2 Jahren los ist.

    Dafür danke ich Dir… Du bist nicht mein Held, aber eine Hilfe für mich!

    1. Danke für deine Worte. Es freut mich wirklich zu lesen, dass ihr an dem Abend etwas mitgenommen habt. <3 Helfer und Gedankenanschubser bin ich gerne.

  3. Ja, auch Helden sind nur Menschen. Aber wer ist ein Held ? Spontan fallen mir da Feuerwehrmänner oder Umstehende ein, die in ein brennendes Haus gehen um im Haus Verbliebene, Menschenleben zu retten. Oder Leistungssportler, die eine herausragende Leistung vollbracht haben.

    Mit der Auszeichnung „Held“ geht aber dann auch eine unausgesprochene Erwartungshaltung einher. Was diese, zum Beispiel im Bereich des Sports aus dem Menschen hinter dieser Leistung macht, konnten wir zuletzt gerade im Interview, das Per Mertesacker gegeben hat, nachlesen.

    Steht man heute auf dem Podest, zum Beispiel auf dem dritten Platz, den ist die unausgesprochene Erwartungshaltung dass es beim nächsten mal doch mindestens der zweite Platz sein muss. Wenn nicht gar der erste Platz, dem Sieger vorbehalten. Auf das Podest muss man es auf jeden Fall schaffen, so dann die einhellige Meinung vieler.

    Ich glaube, dass es für die als Held bezeichneten Menschen, gerade die im Rampenlicht stehen eine enorme, vielfach übermächtige Erwartungshaltung, einen ungeheuerlichen Druck erzeugt, dem erzeugten Bild und den Erwartungen gerecht werden zu müssen.

    Und für die Menschen im Alltag ? Die aufopfernd Angehörige pflegen ? Oder für Dich Markus, mit deiner Erkrankung ? Für diese Menschen und für Dich ist es der Alltag. Die kennen es nicht anders als dass sie sich „reinknien“ müssen.

    Ja, Du kennst für die längste Zeit deines Lebens nur dass Du jeden Tag diesen schrägen Krieg kämpfst. Jeden Tag. Tag für Tag. Seit zwanzig Jahren, wie Du in deinem Blogeintrag hier schreibst.

    Kann jemand ermessen wie „das“ ist, für Dich ? Seit zwanzig Jahren ? Und wie es anderen Erkrankten damit geht ?

    In deinem ersten Podcast hast Du viel von Respekt gesprochen. Zu Recht.- Also sage auch ich nicht „Held“, denn Du möchtest ja auch keiner sein. Aber Du hast meinen Respekt. (Und nicht nur meinen.) Respekt dass Du diesen Kampf seit 20 Jahren fuehrst. Und Kraft findest zu analysieren, zu formulieren. Eine Kraft, die Du weitergibst, multiplitzierst, so vielen anderen auch hilfst.

    Also wünsche ich Dir weiterhin: viel Kraft.

  4. Lieber Markus, dass DU das alles schaffst trotz bzw. grad in einer der dunkleren depressiven Phasen, das ist für mich schon heldenhaft. Und dass Du dann auch noch die Kraft hast, Dich hinzusetzen und das alles so für Dich und uns aufzuschreiben, ist für mich unglaublich. Zu sowas wäre ich in meinen dunkelsten Phasen niemals in der Lage gewesen! Für mich ist der Frühling auch die schönste Jahreszeit. Ich wünsche Dir ein fröhliches Osterfest mit Deinem kleinen Wonneproppen & Deiner Frau. Sei ♡lich umarmt aus der Ferne ? Glg Gabi

    1. Liebe Gabi …
      … das Aufschreiben? Ist meine Waffe. Gegen meine Gedanken und die dunklen Phasen. Es landet ja nicht alles hier. Mir hilft es, weil ich damit auch viele Gedanken auflösen kann. Wie ich das alles schaffe? Ist mir manchmal ein Rätsel. Vielleicht bekomme ich ja irgendwann die Quittung und muss mir ne Auszeit nehmen. Bis dahin ist es ein Antrieb, mich nicht wieder „fallen zu lassen“.

  5. Lieber Markus,
    ich fühle mich sehr angesprochen, denn der Zustand, den du beschreibst, diese Lähmung habe ich vor etwa einem Monat am eigenen Leib erfahren. Diese Lethargie, das Gefühl, dass mir selbst kleinste Aufgaben über den Kopf wachsen und dass ich ungeheuer viel Kraft für den Alltag aufwenden muss, das kenne ich auch. Abends habe ich mir dann auch noch selbst Vorwürfe gemacht, weil ich den ganzen Tag über kaum was geschafft habe…

    Bei mir ist es so, dass ich immer mal wieder depressive Episoden habe (in der Jugend 1 oder 2 Mal unbehandelt, jetzt das dritte Mal in Behandlung innerhalb von zehn Jahren, wovon sie einmal Nebenwirkung von einer anderen medizinischen Behandlung waren), deshalb war ich kürzlich, als gar nichts mehr ging und ich jede Minute meines Daseins quälend fand – warum konnte ich nicht jemand anders sein? – beim Arzt. Seither geht’s geduldig wieder aufwärts und ich fühle mich seit etwa einer Woche wieder wohler dank SSRIs (mir helfen sie erfahrungsgemäß gut und ich betrachte sie als eine Art Krücke, mit der ich wieder laufen kann ;-)

    Dir und den Mitlesenden hier mag ich gern erzählen, dass sich die jetzige Episode anders angefühlt hat als die vorigen, weshalb ich sie diesmal um Wochen später erkannt habe als sonst. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich seit 2012 eine Gesprächstherapie mache und es dadurch eines Tages in meinem Kopf „klick“ gemacht hat und ich seither über ein stabiles Selbstwertgefühl verfüge. Es war ein Moment, als ich plötzlich im Reinen mit mir war und mir (und der Therapeutin) endlich glauben konnte, dass ich völlig in Ordnung bin so wie ich bin. Nicht alle anderen sind in Ordnung und ich der verfaulte Apfel, nein, auch ich bin genauso in Ordnung wie die anderen. Ich habe das nicht bewusst herbeigeführt, es war einfach so, dass ich es in dem Moment grundlegend begriffen habe und es mich verändert hat. Ein Aha-Erlebnis, wenn man so will.

    Ich schätze, das hatte zur Folge, dass ich mich seither nicht mehr länger im tiefsten Inneren minderwertig, sondern liebenswert fühle und sich deshalb auch quasi mein innerer Dialog ändern musste. In der Depression würde ich mir selbst nicht mehr länger glauben können, minderwertig zu sein. Wäre ich nun vor ihr gefeit? Jein.

    Meine Lebenssituation ist seit Herbst in einem starken Umbruch (Ausbildung zu Ende, veränderte Wohnsituation, Arbeitssuche, Partnersuche). Es standen und stehen Veränderungen an, die ich die letzten Jahre zugunsten des Studiums weit aufgeschoben hatte, darum dachte ich, ich hätte „bloß“ eine Lebenskrise. Je länger sich die Arbeitssuche hinzog, desto ängstlicher wurde ich, die Tage wurden kürzer und es traten immer mehr Zukunfts- und Existenzsorgen in den Vordergrund. Bis zu dem Punkt, als ich mir unter Tränen eingestehen musste, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.

    Völlig abwesend waren die Gedanken, mein Leben zu beenden oder die Selbstbezichtigungen, die ich aus den vorigen Episoden kannte, das verwirrte mich. An ihre Stelle waren alle möglichen Ängste, Scham und das überwältigende Gefühl, mit meinem Leben überfordert zu sein, getreten. Weshalb ich resigniert den Weg zum Arzt antrat. Ich fühlte mich schlecht und mir war mein Leben unerträglich geworden, aber ich wusste ganz rational auch, dass es zum Wesen der Depression gehört, dass sich der Blick verengt hin auf den zuletzt einzig möglich erscheinenden „Ausweg“ die Qual zu beenden… Auch wenn ich es mir in dem Zustand nicht vorstellen konnte, musste ich daran glauben, dass mit Hilfe der Tabletten die Welt freundlicher aussehen würde, selbst wenn ich dann immer noch arbeitslos sein würde. Verwirrend war für mich zusätzlich, dass ich gut schlafen konnte, was in den anderen Episoden nicht der Fall gewesen war. Gedanklich drehte ich mich tagsüber mit meinen Existenzsorgen immer nur im Kreis und aß ganz wenig.

    Rückblickend merke ich, dass ich in den Wintermonaten schleichend aufgehört habe, Dinge zu tun, die mir bisher Freude gemacht haben oder mich am Tiefpunkt der Depression absolut gar nichts mehr interessiert hat. Ich bin nicht mehr ausgegangen und habe mich zusätzlich aus Scham über meine Arbeitslosigkeit zuhause verkrochen. Selbst für meine Mitmenschen tiefere Gefühle aufzubringen, war anstrengend bis unmöglich. Auch ich bin am Tiefpunkt mehr oder weniger verstummt, weil Reden anstregend war und ich nicht einmal wusste, worüber. Und mich dann darüber ärgerte, wie langweilig ich doch für andere sein müsse!
    Jetzt hebe ich gleichsam den Kopf und blicke mich um, was es so alles gibt und nehme wieder teil am Geschehen.

    Diesmal haben etliche Faktoren, schätze ich, ungünstig zusammengespielt, um die ich mich schrittweise kümmern muss, sobald ich mich dazu in der Lage fühle. Noch nicht ganz, aber es wird täglich ein Stückchen besser. Die Therapie besuche ich weiterhin, das hilft mir.

    Nun ist es ein langer Monolog geworden, aber ich hoffe, er war von Interesse.
    Liebe Grüße an dich, Markus, und an die anderen Leser deines Blogs :-)

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