Warum …

„Am Ende.“ Der Titel des letzten Blogeintrags von Johannes Korten. Johannes hat sich in der Nacht zum Montag das Leben genommen. Er hat den Freitod gewählt und sich bewusst dazu entschlossen, sein Leben aufzugeben. Johannes ist Vater. Und Mann. Er hat eine Familie. Er hat viele positive Dinge im Netz vorangebracht. Er hat den Gedanken gelebt, das Internet zu einem besseren Platz zu machen. Selbst in seinen letzten Zeilen weißt er darauf nochmal hin. Johannes ist – so zeigt sein „Abschiedsbrief“ – vom Seelenkrebs und der Depression zerfressen gewesen. Er war Denker. Nicht nur für sich. Und er hat klargemacht, dass es für ihn nichts mehr zu denken gibt. Das Denken hat ihn angestrengt. Und am Ende haben all die Gedanken gesiegt. Er lässt zu uns jetzt zurück – denkend. An ihn. An den Grund. An das Warum. Der Abschiedsbrief zeigt ihn mit der vollen Macht der Selbstkritik, der Unsicherheit und vor allem den Schauspieler, der sich nie offenbaren durfte.

Ich habe zwei Tjohannes-kortenage lang genauso wie @darksun666 verfolgt, wie die Menschen mit dem Suizid umgehen. Wie ekelhaft die Anfeindungen sein können und auch sind. Sie sind es! Mich erschreckt, mit welcher Antipathie die Menschen im Netz unterwegs sind. Ja, sicher, ein Suizid lässt sich vom Egoismus freisprechen. Ist es denn wirklich so selbstsüchtig, wenn jemand einfach nicht mehr weiter weiß? Wenn alles gedacht, zerdacht und somit kaputt ist? Ist es dann egoistisch, wenn man nicht mehr der ist, der man zu sein scheint? Wenn man keine Nähe mehr zu sich aufbauen kann und so auch den Halt zur Familie und den Mitmenschen verliert? Der Suizid ist die vermeintliche Erlösung in dem erdrückenden Chaos. Es ist ein kurzer Weg. Er ist weitaus kürzer als irgendwelche Therapien, Gespräche oder Tabletten. Es ist ein definitives Ende. Es erschreckt mich, wie jemand nach seiner Entscheidung noch so angefeindet werden kann.

Ich selbst habe über Jahre mit diesen Gedanken gelebt. Und ich habe auch Freunde, Klassenkameraden und enge Bekannte verloren. Du stehst morgens auf, fühlst dich von allem erdrückt und der Gedanke an den Tod ist genauso präsent. Es ist das Erste woran du morgens denkst, es ist das Letzte woran du abends denkst. Du denkst beim Essen daran. Bei Fußball. Beim Besuch von Freunden – wenn das überhaupt noch möglich ist. Du denkst in jeder freien Minute an all die wirre Scheiße im Kopf und daran, wie du es am besten beenden kannst. IN JEDER BESCHISSENEN MINUTE DES TAGES! Ich wünsche niemandem, das nachempfinden zu müssen. Glaubt ihr denn wirklich, dass das Leben damit so einfach ist? Und vor allem egoistisch? Ist es egoistisch, wenn ich – oder du, du, du oder du – nach Jahren einfach nicht mehr können? Glaubt ihr denn, wir Betroffene suchen uns das aus? Glaubt ihr wirklich, dass es das Allheilmittel für die Depression oder suizidale Absichten gibt? Glaubt ihr denn wirklich, dass wir einfach eine Pillen nehmen, Gespräche führen und alles ist wieder in wundervoller Ordnung? Wir lachen, tanzen, schreien, sind glücklich? Glaubt ihr wirklich, dass es einfach „nur eine Phase“ ist? Glaubt ihr wirklich, dass wir in Selbstsucht verfallen, weil wir unsere Gedanken auch immer irgendwie von anderen abhängig machen? Glaubt ihr wirklich, dass ein Suizid „die einfachste Lösung“ ist? Wenn das so einfach wäre, wie ihr es mit euren Anfeindungen handhabt, dann … ach, lassen wir das. Natürlich gibt es immer die andere Seite. Die trauernde Familie, die ihren Mann, Vater, Bruder usw. verloren haben. Sie werden zurückgelassen. Ohne Erklärung. Mein Beileid an all die Familien, die jemanden so haben gehen lassen müssen und keine Chance darauf hatten, das Blatt zu wenden.

Was bleibt uns? Was können wir daraus mitnehmen? Ändert sich etwas? Ich glaube nein. Denn wir – die tagtäglich, wöchentlich, unregelmäßig – darüber reden, werden das weiter tun. Wir werden wieder vor der Hürde stehen, es lauter in die Welt zu tragen, wenn der Ruf von Johannes leiser wird. Wir werden früher oder später wieder blöde Kommentare in Empfang nehmen und müssen damit umgehen. Weil wir uns der Welt stellen, weil wir zeigen wie es ist, wie es sich anfühlt, weil wir sensibilisieren und weil wir einfach authentisch sind. Hinter einem Pseudonym, mit einem Klarnamen oder irgendwie anders.

Was mir bleibt:
Hört auf, Menschen mit Depressionen zu bagatellisieren! Hört auf, die Depression zu verharmlosen. Sie endet viel zu oft tödlich! ZU OFT! Und viel zu oft müssen sich diese Menschen aus genau den Gründen verstecken, weil sie nicht ernst genommen fühlen. ZU OFT! Und viel zu oft schämen sich diese Menschen. Und sie haben Angst vor der Reaktion. Zu oft. VIEL ZU OFT.

Was euch bleibt:

Zuhören … nehmt euch einen Moment Zeit und hört zu, wenn jemand darum bittet. Nicht mehr, nicht weniger. Ein wenig sensibler mit solchen Themen und Krankheiten umzugehen. Und bitte nicht immer einfach alles ungefiltert ins Netz brüllen.

Wenn ich einen letzten Wunsch hätte, dann wäre es der hier: Schaut in jeder Situation gemeinsam nach vorn. Seit achtsam mit euch selbst und dann aufeinander. Macht die Welt im Großen wie im Kleinen wieder zu einem guten Ort. Lebt den Gedanken, dass das gemeinsam im Miteinander möglich ist, weiter. Das wäre mir ein letzter Trost. Vielleicht bekommt mein Dasein dann doch noch einen Sinn. [Johannes Korten]

… und genau darauf kommt es an. Miteinander. Menschlich. Achtsam. Passt auf euch und eure Liebsten auf! Und lasst uns das Internet zu einem besseren Platz machen. Für die Menschen, die es nicht schaffen, woanders Hilfe zu suchen und täglich mit sich kämpfen müssen.

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27 Kommentare

  1. Jedes Wort, das Johannes in seinem letzten Blogbeitrag schrieb, kann ich nachempfinden. Jeden dieser ekelhaft depressiven Gedanken, die einen innerlich zerfressen. Die Selbstzweifel – ja sogar den Selbsthass – kann ich nachempfinden. Buchstabe für Buchstabe. Und dennoch spüre ich auch Wut. Wut darauf, dass er den Schlüssel zu einem Stück innerer Heilung gesehen hat und doch nicht in die Hand nehmen und in sein inneres Schloss hat drehen können. Der Schlüssel, welcher Kraft schenkt zur Selbstverantwortung. Johannes hat erkannt, dass das Leben nur dann lebenswert ist, wenn wir zunächst und zu allererst achtsam mit uns selbst umgehen und die Verantwortung für unser Leben übernehmen. Ein Dämon dieser Krankheit verkleidet sich leider als scheinbar nettes Männchen, das uns aufzeigt, wie empathifähig wir sind und raubt uns im selben Atemzug die Empathie für uns selbst. Dieser innere Dämon ist es, der gerade Wut in mir auslöst. Es ist traurig und verständlich zugleich, dass Johannes gequält von diesem und anderer innerer Dämonen derart in die Enge und den Tod getrieben wurde. Ich wünsche seiner verletzten Seele nun diesen Frieden, den sie hier auf dieser Erde vergeblich gesucht hat. Möge sie Heilung finden.

    Und all jene die glauben, dass Depression und der Weg in den Suizid egoistisch sei, die haben den Unterschied zwischen Egoismus und einem so tiefsitzenden, in Verzweiflung stürzenden Schmerz nicht erkannt, weil sie ihn – Gott sei Dank – noch nie haben am eigenen Leib erfahren müssen. Diesen Schmerz und die Erfahrung desselben wünsche ich niemandem. Was ich mir stattdessen wünsche ist mehr Liebe und Empathie und ein ehrliche und offener Diskurs. Ich sehe an meinen eigenen Angehörigen, wie ohnmächtig sie die Depression macht. Als Betroffene kann ich nur sagen: Öffnet eure Arme und Herzen und schließt den Mund, wenn die Ohnmacht einen nicht die richtigen Worte finden lassen will. Gebt nicht auf, uns immer wieder zu zeigen, dass wir liebenswert und geliebt sind. Zeigt es durch Umarmungen und gemeinsamens Weinen, wenn nötig. Auch wenn die Depression uns glauben machen will, dass wir keine Nähe spüren können und nicht geliebt sind, so darf dieser innere Dämon niemals, wirklich niemals das letzte Wort haben. Denn zwischen all die dunklen Seiten der Depression fällt dann und wann ein bisschen Licht. Dieses Licht vermag es dann vielleicht, das wir, die Betroffenen, Nähe und Liebe spüren können.

    Depression ist nicht das Problem eines einzelnen und seiner Angehörigen. Sondern ein gesamtgesellschaftliches. Wie kann es sein, dass so viele Menschen in unsere Gesellschaft an ihr leiden und immer noch der Deckmantel des persönlichen Stigmas und Tabus darüber gelegt wird? Wann erkennt die Gesellschaft, dass nicht Leistung und Geld zu inneren Zufriedenheit und Gesundung führt, sondern Wärme, Aufmerksamkeit und Offenheit für sich und seinen Nächsten. Ja, möglicherweise brauchen wir eine neue Form des Egoismus in unserer Gesellschaft. Einen Egoismus, der nicht darauf abzielt, sich selbst ständig zu optimieren. Darauf hinzuarbeiten, dass größte Konto, Auto, Haus oder den/die tollste(n) PartnerIn zu haben. Sondern einen Egoismus, der uns erkennen lässt, dass das eigen ICH in enger Verbindung mit den anderen ICH’s steht und nur so existieren kann. In der Wahrnehmung seiner Selbst im Kontext mit der Natur. Der moderne Mensch verliert doch immer mehr den Bezug zu seinem wahren Kern, seiner Umwelt, seiner Natur und seinem Nächsten. Man muss nicht sonderlich fromm oder gläubig sein um zu erkennen, dass in dem Zitat: „Liebe deinen Nächsten WIE DICH SELBST“ eine tiefe Wahrheit und Erkenntnis steckt.

  2. Danke. Ich war fassungslos, wie empathiefrei manche menschen sind. Hab zuerst die übelsten gemeldet, irgendwann nur noch geblockt. Habe selbst einen versuch überlebt. Ich weiß, Johannes war in keinster Weise feige. Im Gegenteil

    1. Das Sarkastische an dieser verf***ten Krankheit ist ja, dass dir der Kopf aber genau das impliziert. Du bist toll und mutig in manchen Dingen, aber dann kommt der Kopf. Der macht dich klein, der nennt dich feige, weil du dich entschließt, den letzten Weg zu gehen. Ja, Johannes war großartig. Wie viele andere, die heimlich an diesem Mist leiden müssen. Sie gehen einfach irgendwann. Manche zum Glück nicht wortlos.

        1. Dann schreibe mir ich hab auch diese krankheit doch hab akzeptiert das die Depri bis zum Lebensende zu mir gehört ich kämpfe nicht dagegen an sondern Versuch mich mit der Krankheit zu arrangieren und meine Tabletten sind die hilfs Krücke die ich benötigte und hab keinen Zweifel am Medikament

  3. Ich habe selbst ein Suizid versuch hinter mir…..ich kann genau dies Unterschreiben Wort für Wort was er in sein Block veröffentlicht hat. Habe selber einen Freund verloren und die anfeindungen an seine Lebensgefährtin war heftig grausam und gemein…..Keiner geht mit freude von diese Welt freiwillig….Sie haben alle einen harten Kampf mit sich selber hinter sich gelassen und Mut bewissen diesen letzten Schritt nach soviel Therapie, Medikamenten u.s.w zu vollbringen….Nein, er war nicht feige keiner der diesen Schritt wagt ist feige…….. :( R.I.P

  4. Danke für deinen Artikel … Ich kannte vorher weder Johannes noch seinen Blog, aber sein letzter Beitrag hat mich sehr beeindruckt. Ich weiss zwar nicht, was da noch so passiert ist, allerdings kann ich es mir recht gut vorstellen. Man kann es in den Kommentaren zu jedem Artikel jeder grösseren Zeitschrift lesen, der sich mit Depressionen oder beliebigen anderen psychischen Specials befasst.

    Am einfachsten lässt sich das wohl mit einem Zitat aus Men in Black umschreiben:
    „Ein Mensch ist intelligent – Aber ein Haufen Menschen sind dumme, hysterische, gefährliche Tiere“

    Ich habe es einfach nur noch satt.

  5. Ich bin sprachlos, es sind tolle Wörter, aber ich bin genau so , die meisten Zeilen passen zu mir wie ich mich fühle, man nimmt mich nie ernst, ich weiß das ich nicht mehr leben möchte, würde es am liebsten beenden und warum weil Viel passiert ist ich hatte eine blöde Kindheit (eigentlich keine ) aber egal, ich bin 3 fache Mutti und kämpfe dagegen an so das ich für meine Kinder da bin. , viele sagen zu mir das ich Hilfe brauch weil ich so bin und denke… aber ich kann nix dafür , die Gedanken kommen und gehen meist bleiben sie… doch ich bleib für meine Kinder stark und für mein Vater, denn er hat nur noch mich…

    Ich versteh das nicht, das die meisten Mitmenschen nicht mit sowas klar kommen viele machen sich darüber lächerlich, aber sie haben keine Ahnung wie es den betroffenen Personen wirklich geht. ..

    Ich selbst wurde deswegen gemommbt in meiner Vergangenheit usw
    Sie sagten ich sei ein psycho. .. es tat weh und auch wie sie sich lustig gemacht haben. .. ich hab noch heute extremen drang zu sterben doch ich bleib stark
    Trotz das ich schon innerlich zerbrochen bin …

    Es ist sehr traurig das Johannes kort Tod ist,ich hätte ihn gerne mal kennengelernt und mich bei ihm bedankt zwecks den Zeilen die er hinterlassen hat.
    Mein herzliches Beileid an die Familie.

  6. ich verstehe im allgemeinen nicht, warum das bedürfnis, menschen zu verurteilen, so groß ist. noch dazu oftmals von denen, die den betroffenen gar nicht gekannt haben. es sagt sich so leicht „egoistisch“ und „feige“. ich habe zwar zum glück diese erfahrung selbst nie machen müssen (und hoffe, dass sie mir erspart bleibt), aber wenn es in einem menschen so düster ist, dass der instinkt des selbsterhaltungstriebes ausgeknockt wird, dann denke ich nicht, dass man sich als außenstehender ein urteil anmaßen darf.
    aber psychische krankheiten haben für soviele noch immer etwas unwirkliches, etwas, das sie nicht mit physischen krankheiten gleichsetzen können. menschen, die davon nicht betroffen sind, denken, weil es ihnen selbst mal nicht gut ging, verstehen sie, was in einem depressiven vorgeht. niemand würde sich anmaßen, zu behaupten, das leid eines krebskranken nachfühlen zu können. wenn die krankheit im kopf ist, dann ist das, wie mir scheint, anders.

  7. Ich war in meiner Jugend selbst deppressiv. Ich weiss, dass das ein ganz schrecklicher Zustand ist. Wer Depressionen hat, ist von seinen Gefühlen, seinem ‚Gefühlskörper‘ abgetrennt. Um diesen Zustand zu verändern, hilft es nichts Tabletten zu nehmen, die können nur das Schlimmste abpuffern. Raus aus der Depression kommt man nur, in dem man mit seinen unterdrückten Gefühlen Kontakt aufnimmt. Es ist ein scheinbar endloser Schichtenkäse von Schmerz und Wut, der zu durchleben ist. Keine angenehme und vor allem keine schnelle Arbeit, die professionell begleitet werden muss. Bei mir hat es ca. 20 Jahre gedauert. Aber seit länderem bin ich jetzt schon raus und es gibt keinen Haus von Depression mehr in mir. Es gibt immer noch Wut und Schmerz, aber nicht mehr im Verborgenen. Wenn man diese Gefühle da sein lässt, wenn sie ausgelöst werden, sind sie zwar unangenehm, aber nicht ’schlimm‘. Wut, besser nicht ausagieren, sondern nur fühlen, oder an einem Kissen abreagieren. Erst ein Leben ohne Deppression kann man als Geschenk empfinden – mit allen Höhen und Tiefen.

  8. Menschen die sich das Leben nehmen sind egoistisch? Ne is klar… hat sich jetzt einfach Urlaub genommen, wo wir doch alle so viel zu tun haben.

    Suezid ist endgültig. Niemand weiß was danach kommt, vermutlich nichts, und dessen sind sich die meisten „Selbstmörder“ bewusst. Suezid heißt nie wieder… Nie wieder Menschen sehen, die man gerne hat, nie wieder Sonnenaufgang, nie wieder Musik… Suezid heißt endgültig jede Hoffnung auf ein bisschen Glück aufgeben. Suezid heißt, dass die Lebensqual schlimmer auszuhalten war, als die Todesangst. Denn die haben die meisten Selbstmörder. Cool sind die nur in Filmen. Im realen Leben ist der Suezid das Ende eines qualvollen und zermürben Kampfes.

    Hoffnung, und Sehnsucht nach Glück, die Angst vor der endgültigen Einsamkeit auf der einen Seite, … … … auf der anderen Seite quälende Gedanken, Schuldgefühle, Trauer, Hoffnungslosigkeit, das Wissen, dass jeder Gedanke an ein besseres Morgen Selbstbetrug, dass jedes kurzweilige Glück eine Lüge ist.

    In diesen Momenten des Kampfes ist Einsamkeit die Wahrheit, ewige Einsamkeit, ewiges Versagen. Da ist das Wissen, dass man in dieser Welt keinen Platz hat, weil man nicht Leistungsfähig genug ist sich nicht genug anstrengt, nicht klug, nicht hübsch, nicht schlank genug ist, und es nie sein wird. In diesen Momenten spürt man, dass man kein Lebensrecht hat. Niemand kann einen gern haben, die anderen sind einfach nur zu nett die Wahrheit auszusprechen. Man kann niemanden anrufen, den Leuten noch zur Last fallen, hat kein Recht auf Verständnis.

    Du hasst dich in diesen Momenten, verachtest dich, weil du gottverdammte Todesangst hast, du schwitzt vor Angst. Und du hasst dich, weil du nach Leben gierst, nocheinmal Glück erleben willst. Das ist eine Lüge! sagt die Depression… Diese Gedanken sind Lüge! sagt der Lebenswille. Du kämpfst um dein Leben, und diese Gedanken tun unfassbar weh, aber niemand kann es sehen, kann sehen wie deine Muskeln sich verhärten. Niemand kann diese endlose Traurigkeit fühlen. Du hast keine Kraft mehr, aber niemand sieht es dir an, niemand wird Verständnis zeigen. Du hast es doch schon so oft versucht zu sagen, zaghaft angefangen davon zu sprechen, aber dann hat man dich auf den Topf gesetzt. Auch anderen geht es schlecht! Jetzt reiss dich mal zusammen, sei nicht so egoistisch, nicht so wehleidig! Dein Selbstmitleid ist ja nicht auszuhalten!

    Diese Gedanken prasseln wie ein Trommelfeuer auf dich ein. Du suchst sie, brauchst die kritische Masse an Hoffnungslosigkeit, und Selbsthass um dieser Qual endlich entfliehen, um diese Angst überwinden zu können. Du weinst, eigentlich willst du doch leben, aber du kannst nicht, du bist zu schwach. Du weinst, weil du an die Menschen denkst, denen du das antust, antun musst, weil es keinen Ausweg gibt, alles dunkel ist. Du schwitzt, dein Magen rebelliert, du zitterst vor Angst. Der Schmerz, der von Außen kommt ist kein Vergleich mit der Hölle die in dir brennt. Dann… … wartest du … …

    Diesen Kampf führte ich schon mehrmals in diesem Leben. Jeder, der sagt Selbstmörder seien egoistisch ist mit seiner Bemerkung vielleicht das klitzekleine Gewicht auf der Waage, das den Ausschlag in Richtung Hoffnungslosigkeit gibt. Ich selbst habe ein Leben auf dem Gewissen. Es tut nichts zur Sache ob dieser Mensch „es später trotzdem getan hätte“. In dem Moment wo sein Geist einen Verbündeten im Kampf gebraucht hätte, er innerlich nach einem „bleib hier, du bist mir wichtig“gebettelt hat, habe ich ihn ins Feuer geschubst. Dabei hätte ich doch wissen müssen, was in ihm vorgeht…

    Zwanzig Jahre ertrug ich die Gedanken der Hoffnungslosigkeit und des Selbsthasses, die Momente in denen ich zu Stein wurde, mich immer tiefer in mich selbst zurück zu, weil die Forderungen, die ich zu spüren glaubte, sich wie Stacheln in mich hinein bohrten. Nach zwanzig Jahren lernte ich langsam den zwanghaften Gedanken auszuweichen, mich abzulenken, schlafen zu gehen, bis der schwarze Gedankensturm wieder vorbei war…

    Doch ich bin nicht geheilt. Immer wieder kommt es vor, dass ich nach schmerzlosen Methoden google, um friedlich gehen zu können. Nach all den Jahren des sich selbst quälens will ich in diesem Moment nicht noch zusätzlich leiden müssen. An beiden Handgelenken trage ich Narben. Ich habe genug von physischer Gewalt. Wenn es soweit sein sollte, möchte ich mich in eine Decke kuscheln können, mit meinem Teddy im Arm, und einschlafen. Einschlafen finde ich nicht schlimm. Als ich meine vielen Vollnarkosen hatte, gab es Momente wo ich mir wünschte nicht mehr aufzuwachen. Umgeben von lieben Menschen gehen zu können, müsste so schön sein. Die Einsamkeit in diesen Momenten ist das schlimmste…

    Ich möchte mich auch… vorsorglich bei den Menschen entschuldigen, die vielleicht um mich trauern müssen. Wenn diese Traurigkeit mich im Griff hat, dann… habe ich meist keine Kraft um noch Abschiedsbriefe zu schreiben. Wenn ich ehrlich bin, lebe ich vielleicht deswegen noch. Weil ich den Menschen die ich gern habe, noch so viel zu sagen hätte. Dass es nicht eure Schuld ist, dass es mir vermutlich jetzt besser geht. Angesichts der Unendlichkeit unseres Nichtseins fallen ein paar Jahre mehr oder weniger Lebenszeit doch nicht ins Gewicht?

    Weil ich euch gerne habe, habe ich darauf verzichtet mir diese letzte Gewalt anzutun. Aber oft war ich danach trotzdem einsam, weil ich mit niemanden darüber reden kann, wie knapp es mal wieder war. Und was gäbe es auch darüber zu erzählen? Jene, die das Durchleiden müssen kennen es, für andere ist es einfach nicht vorstellbar.

    Heute mag ich leben, habe ich Hoffnung, versuche ich ein bisschen Glück zu finden. Wenn ich einmal nicht mehr bei euch sein sollte, dann ganz bestimmt nicht aus Egoismus.

  9. Ich bin betroffene Mutter, mein Sohn Jan nahm sich am 30.03.2015 im Alter von 26 Jahren das leben! Was musste mir auch schon anhören er wäre ein Feigling gewesen! Aber das war er mit sicherheit nicht, es gehört sehr viel Mut dazu! Ich bin auch der Meinung Suizid muss aus der Ecke des Tabus! Was wissen wir, wie sie wirklich leiden mussten, bis sie es taten!

  10. R.I.P. Du warst kein Feigling. Jedes Wort das du geschrieben hast ist meins. Ich hoffe du findest deinen Frieden und ich kämpfe weiter jeden verdammten Tag.

  11. Ich habe 2009 meinen Besten Freund durch Suizid verloren und ich mache mir heute noch Selbstvorwürfe, warum ich ihn nicht davon abhalten konnte. Depressionen sind eine fiese Krankheit und müssen von anderen Menschen rechtzeitig erkannt und akzeptiert werden. Nur so lassen sich hoffentlich weitere Suizidversuche verhindern. Redet über eure Krankheit und versteckt euch nicht, das Leben kann so schön sein. Mittlerweile versuche ich auch die Zeit zu genießen an der es mir gut geht. Es ist schwierig aber man kann es schaffen. Depressionen seit 2005 und Panik- und Angstattacken seit 2012, ganz langsam bekommt mich das Leben zurück.

  12. Wunderbar spitz beschrieben!
    Auch ich hatte die Sätze satt, die nach meiner Offenbarung kamen: „Wie kannst du an sowas denken, du hast doch Kinder!“ oder „Das willst du doch deinen Kindern nicht antun!“ oder „Komm mal klar!“
    Am Schlimmsten davon enge Familienangehörige, allen voran meine Mutter – die wohlgemerkt auch die Wurzel einigen Übels ist…
    Ich komme klar – einigermaßen – und kann auch mit meinen kleinen Tiefs leben. Allerdings weiß ich, dass auch das große Loch wiederkommen kann. Ich akzeptiere das und alle anderen müssen das auch.
    Liebe Grüße
    Yvonne

  13. “ Der Suizid ist die vermeintliche Erlösung in dem erdrückenden Chaos. Es ist ein kurzer Weg. Er ist weitaus kürzer als irgendwelche Therapien, Gespräche oder Tabletten. Es ist ein definitives Ende. Es erschreckt mich, wie jemand nach seiner Entscheidung noch so angefeindet werden kann.“

    Ist es wirklich eine Erlösung ? Wer sagt Dir dass der Weg kurz ist ? Endet der Weg denn mit dem Tode? Ist es das definitive Ende? Woher weisst Du das? Anfeindungen sind immer erschreckend aber manchmal geschieht soetwas aus Ohnmacht, Wut, Verzweiflung und der eigenen Enttäuschung selbst versagt zu haben.

    1. Natürlich kann ich nicht wissen, ob ein Suizid gelingt. Würde ich hier alle Eventualitäten einbeziehen, wäre das sicher ein Endlosartikel. Das war und ist aber auch nicht Ziel meines Blogs. Ich gehe hier von mir aus. Und von meinen Erfahrungen im nahen Umfeld. Und ja, es ist ein Gefühl zum Suizid. Das Gefühl, dass es der kürzere Leidensweg ist. Nicht jeder kann sich dem Weg von Therapien stellen. Und das Gefühl ist beim Suizid nun mal „die Erlösung“. Ich habe ja nicht umsonst geschrieben, die „vermeintliche Erlösung“. Auch wenn wir wissen, dass sie das eigentlich nicht ist. Der Weg von der definitiven Entscheidung es zu tun, bis zur Ausführung ist sicher kürzer als der Weg therapeutischer Maßnahmen (ungeachtet wie lange man vorher schon mit den quälenden Gedanken leben musste. Bei mir sind es über 10 Jahre mit den Gedanken, dagegen aber nur zusammengerechnet 4 Therapie- und Tablettenjahre + die Zeit der Eigeninitiative. Der Weg von der endgültigen Entscheidung bis zu meiner Ausführung waren 4 Stunden.)

      Reden wir über Anfeindungen aus dem nahen Umfeld? Oder von völlig fremden Menschen im Internet? Trauer hat mehrere Stufen. Und die fängt im nahen Umfeld meist mit Wut und Unverständnis an. Gekränkt und verletzt sein, Hilflosigkeit, Enttäuschung usw. Da werden sicher Sätze fallen, die nicht vernünftig sind, aber da ist das auch völlig richtig. Da gehört es dazu, dass man in die richtige Trauerzeit kommen kann.

      Das, was im Internet passiert resultiert bestimmt nicht aus den dir genannten Gründen. Natürlich müssen wir an die Familie denken. Natürlich ist es schwer, wenn sie auf dem Weg zurückgelassen werden, aber ich glaube nicht, dass völlig fremde das Recht haben, da so drauf zu reagieren. Da mangelt es in meinen Augen an Respekt. An dem toten Menschen und der Familie. Wir sollten grundsätzlich aufhören zu verurteilen. Menschen, Situationen und Beweggründe, die wir nicht kennen.

  14. Ich habe den Abschiedsbrief von Johannes wieder und wieder gelesen.
    Wie kann jemand so davon abgeschnitten werden, welche Liebe er in die Welt bringt?
    Es hat nicht gereicht? Allein ein Blick in die Augen der Kinder hätte ihm das Gegenteil sagen können. Welche „inneren Dämonen, deren es zu viele gibt“, habe ihn davon abgeschnitten?
    Ich muss es schaffen, die Tat zu be-urteilen, ohne ihn zu ver-urteilen. Sonst wäre er doppelt abgeschnitten. Den Sieg dürfen die Dämonen nicht haben.
    Ich glaube, er macht jetzt viel durch und braucht unsere guten Gedanken. Letztendlich wird für ihn das bleiben, was er an Liebe in die Welt gebracht hat. Das schaffen die Dämonen nicht aus der Welt, das gilt, auch wenn Johannes das nicht mehr sehen konnte.

  15. Ich habe ihn gehasst, gehasst dafür, dass er feige und egoistisch war!

    Er ließ mich zurück als ich drei Jahre alt war. Es war sein zweiter Versuch.
    Ich wurde danach von meinem Bruder (damals 5) getrennt. Meine Mutter und ich zogen hunderte Kilometer weit von meinem Zuhause/ meiner Heimat weg.

    „Er war feige und egoistisch“ – Meine Gedanken als Kind.

    Als ich ca.17/18 Jahre alt war war SIE da – meine Depression. Ich lebe nun seit 26 Jahren mit ihr und kämpfe jeden Tag.

    Und ich verstehe!

    Ich Kämpfe jeden beschissenen Tag – für mein Kind.

    Ich wünschte er hätte mich aufwachsen sehen können. Wünschte er hätte den Kampf gewonnen – jedes Mal.

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