Ab in die Werkstatt!

Das wäre was. Einfach los und in die Werkstatt gehen. Wie bei einem kränkelnden Auto. Ein paar Euro auf die Seite legen, damit die Reparatur bezahlt werden kann, los in die Schrauberbude, Problem schildern, Ersatzteile bestellen, austauschen und alles ist wieder gut. Für die nächsten dreißig- bis fünfizgtausend Kilometer. Blöderweise rechne ich mein Leben ja nicht mal in Kilometer. Obwohl? Wie viele Kilometer bin ich in meinem Leben wohl schon gegangen? Oder auf dem Rad gefahren? Wie viele Kilometer funktioniere ich wieder richtig, wenn ich vom Arzt das Antibiotika gegen die bakterielle Infektion bekommen habe? Immerhin kann die ja jeder sehen. Husten. Schleim. Abgeschlagen und müde. Das sieht jeder. Aber wenn der Kopf nicht richtig funktioniert? Wie lange funktioniere ich da, wenn ich zu einer Therapie gegangen bin? Sind Therapeuten nicht auch einfach Mechaniker meines Gehirns? Haben die alle unterschiedliche Werkzeuge und müssen einfach nur das passende finden, damit wieder alles rund läuft?

Fragen. Wie immer schwirren mir sinnfreie Fragen durch den Kopf. Oder sind sie es vielleicht doch nicht? Was ist, wenn die Fragen vielleicht doch voller Sinn sind, und ich einfach nur nicht verstehe, wer der Mechaniker in meinem Leben ist? Und was wäre nun, wenn ich mich einfach reparieren lassen könnte? Was ist, wenn ich doch nicht so ein Totalschaden bin, wie es sich immer wieder anfühlt? Was wäre denn, wenn mein Leben zwar immer wieder Schäden bei mir verursacht hat, es aber am Ende nur kleine Fehler in der Zündung und Blechschäden waren? Oder hat mein Getriebe doch mehr gelitten, als ich es je vermutet habe? Ich weiß es gerade nicht.

Die Diagnosen

Mit dem Auto in der Werkstatt ist es etwas einfacher. „Er zündet nicht richtig, zumindest nimmt er das Gas nicht richtig und holpert zwischendurch.“ Wir gucken mal. Abdeckung der Mittelkonsole auf, Stecker rein, kurz warten, das Diagnosegerät antwortet: Lambdasonde. Das Ganze dauert nicht mal fünf Minuten. Fehler ist bekannt, die Teile können bestellt werden, der Wagen ist morgen fertig und läuft wieder rund. „Ist ein Verschleißteil. Der Hersteller empfiehlt den Wechsel alle 160.000 Kilometer.“ Geht das auch bei mir? Ein kurzer Ölwechsel und ich laufe die nächsten 5 Jahre wieder rund?

Schön wäre es. Wer schon beim Therapeuten war, wird das Spiel kennen. Es ist nicht mit einem Besuch getan. Und schon gar nicht mit den ersten 5 Besuchen, die ja nur Vorgeplänkel sind um zu testen, ob wir uns auch wirklich verstehen. Selbst wenn ich nun mit meinem Schaden dort sitze, braucht es Zeit. Zeit, um erstmal rauszufinden, unter welchen der ICD Codes ich falle. Immerhin muss der Mechaniker heuzutage schon im ersten Gespräch eine Verdachtsdiagnose vermerken. F33.1. Genauso eine Kurzfassung wie im Fehlerspeicher meines Autos. Lambdasonde oder rezidivierende Depression, gegenwärtig mittelgradig. Was macht das schon für einen Unterschied? Bei beidem stottert der Motor. Beide nehmen das Gas nicht richtig an. Beide kommen nur langsam voran. Beide sind gerade die Fehler. Die Lambdasonde, der Kopf. Immerhin, wir wissen jetzt worum es geht.

Reparaturversuche

Das Auto? Steht schon wieder vor dem Haus. Die Lambdasonde ist ordnungsgemäß getauscht – auch erst im zweiten Versuch. Der Therapeut in der Werkstatt hatte sich auch erst vertan und ist von etwas anderem ausgegangen. Geht ja auch schnell. Der Mechaniker in meiner Praxis? Wird sich mehr Zeit nehmen. Er wird mir keinen konkreten Fehler an den Kopf werfen und einen Preis verlangen, er möchte Zeit. Zeit, die ich nutze. Zeit, damit ich an mir arbeite. Denn reparieren? Mache ich. Er hat nur die richtigen Werkzeuge. Werkzeuge, mit denen ich an meinen Schrauben drehen kann. Leider ist manche Reparatur aufwendiger, als ich manchmal selbst glaube.

Wenn ich selbst etwas an mir kaputt gemacht hätte, wäre der Weg zum Ziel sicher einfacher. Ich wüsste ja, was ich mit mir angestellt habe. Ich hätte auch die Chance es rückgängig zu machen. Ich war es aber nicht. Ich wurde kaputt gemacht. Oder erst gar nicht richtig „gut“ in die Welt geschickt. Ein Montagsprodukt? Nein! ich bin weder Prototyp, noch Montagsproduktion oder Endresultat. Ich bin ich. Mit Fehlern. Und ich musste eben öfter schon in die Werkstatt, weil viele Komponenten meines Denkmotors nicht richtig funktionieren, weil der Motor stottert, weil Fehlzündungen noch zu oft kommen und weil ich falsch eingestellt wurde. All die Versuche sind gut und richtig gewesen, aber ich bin eben kein Mechaniker, auch wenn ich immer wieder dazu gemacht werde. Ich bin Autodidakt. Ich lerne es. Ich versuche es. Ich mache dennoch Fehler. Ich verzeihe mir. Ich versuche es nochmal. Ich falle auf die Fresse und bin für einen Tag wieder ein Totalausfall, aber? Ich würge diesen Motor nicht mehr ab. Ich weiß nicht, wie lange er läuft. Ich weiß auch nicht, wann er mal wieder richtig rund läuft. Ich weiß nur, dass ich eine Reparatur nicht allein machen kann. Vielleicht brauche ich neue Werkzeuge und Ideen, wie ich die Maschine richtig einstelle, vielleicht bleibt diese Maschine aber auch wie ein guter Oldtimer, immer ein bisschen reparaturbedürftig. Und vielleicht bleibt es auch ein Motor, der etwas mehr Liebe braucht, um richtig gut zu werden.

Die Reparaturen? Sind wichtig – in jeder Form. Die Werkstatt zu wechseln? Ist manchmal nicht falsch. Manchmal gibt es neue Impulse und die neue Fachkraft findet andere Fehler. Das Gesetz der vielen Augen. Finde die richtige Schraube für die Feineinstellungen. Kennst du deine? Ich kenne meine, aber ich weiß nicht immer, wie ich sie richtig drehen muss, damit sich was verändert.

Ausfahrt

Der Wagen ist schon wieder ein paar tausend Kilometer gefahren. Er hatte seinen Ölwechsel. Und ich? Sitze hier seit Jahren und schraube selbst an mir rum. Mal gut, mal schlecht. Mit einem vernünftig ausgestattetem Werkzeugkasten. Und doch weiß ich, dass ich nochmal in die Werkstatt muss, weil ich es nicht rund läuft. Irgendwas ist nicht ganz in Ordnung und ich habe keine Ahnung, wie ich das selbst einstellen soll. Also? Lege ich mir etwas Zeit, Mut und Kraft zurück, gehe in die Werkstatt und lasse mal schauen, was die Diagnose weiter bringt. Bis dahin? Fahre ich noch ein bisschen. Mit dem Wagen und mit mir. Ich laufe ja noch einigermaßen gut und weiß, dass ich weit weg von einer Krise bin. Ich habe schlechte Tage. Ich habe richtig schlechte Momente. Ich habe wirklich unrunde Phasen, aber ich funktioniere noch – nicht im Sinne von Autopilot. Der Motor in meinem Kopf verrichtet seinen Dienst und holpert mal etwas, das ist es.

Gute Pflege

Egal, wie oft ihr da draußen in eine Werkstatt müsst, eine Reparatur kostet Zeit. Und ja, ich weiß, dass nicht immer alles verständlich ist, was euch als Mechaniker vermittelt wird. Euch ist bewusst, dass ihr die Mechaniker eures Lebens seid und nicht die „Therapeuten“, die euch nur eine Anleitung geben? Ihr wisst, dass die nicht Hand an eurem Motor anlegen, sondern ihr selbst? Ja? Gut! Passt dennoch auf euch auf. Sorgt für euch. Gönnt euch was. Seid gut für euch selbst. „Ich wünschte, du würdest dich nicht immer selbst so abwerten und hart kritisieren“, sagte ein Freund gestern zu mir. Recht hat er. Das wünsche ich mir auch. Also? Sorge ich irgendwie wieder etwas für mich. Pflege die Beziehung zu mir und schaue, was mich „von außen“ gerade aus der Bahn werfen will. Sorgt für euch. Es ist die Entscheidung für euer Leben, die nimmt euch keiner ab. Seid kreativ, bleibt neugierig und probiert euch aus.

Alles was ich selbst brauche? Ist Zeit. Zeit, damit ich einen Weg für mich finde, die Fehler identifiziere und reparieren kann. Nach und nach. Immer mal wieder testen, probieren, schrauben, weiterlaufen. So läuft das wohl. Dieses Leben.

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11 Kommentare

  1. Diese Vergleiche, Metaphern aus dem Alltag, helfen mir auch immer dabei, meine Krankheit besser zu verstehen.

    Das ist ein sehr wichtiger Text, aus dem ich gerne in meinem Blog zitiere, wenn ich darf.

  2. Über Nacht hat es hier geschneit, nix Wildes: etwas Schneematsch und Nieselregen. Herbstwetter halt. Mit meinen kaputten Beinen konnte ich also nur in kleinen Babyschritten vorwärts; etwas, was mich heute morgen auf meinem Fussweg zur Bushaltestelle gleich bockig (entschuldige!) machte: Ich will doch schneller unterwegs sein, mit schnellen Schritten !

    Was ich damit sagen will: auf dem Weg ging mir auf, dass ich diese kleinen, notwendigen Schritte für mich akzeptieren muss. Nicht nur heute morgen auf dem Fussweg. Heute morgen ist es halt so, kleines Tempo ist angesagt. Und morgen ? Time will tell.

    Ja, das wäre schön wenn es eine Werkstatt für Menschen geben würde ! Da wäre ich auch gleich mit dabei !

    Aber ich denke, was Dir zur Hilfe gereicht ist deine Selbstanalyse, dein Niederschreiben und Formulieren „was ist“. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass Niederschreiben sehr sehr wichtig ist: denn alles, was man niederschreibt ist zwar immernoch da und existent, aber durch das Niederschreiben rueckt man doch etwas davon ab, was da ist und existent. Millimeterweit manchmal nur, zugegeben. Aber es hilft.

    Die kleinen Schritte, mit denen man auch vorwärts kommt !

    Du schreibst dass ein Freund dir gesagt hat, dass Du Dich nicht immer selbst so abwertend und hart kritisieren sein sollst. Recht hat er. Und: er ist ein guter Freund; mein bester Freund sagt mit das auch ab und an! – Die Frage ist nur, ob wir es in der Vergangenheit durften. Ich schreibe ausdruecklich wir, denn ich habe es auch nicht „so“ gelernt und mir spaeter erst beigebracht, ab und an aber immernoch mit selbst niedermachend; in alte Muster verfallend.

    Ich habe gerade nocheinmal aus dem Fenster geschaut: der Schneematsch ist fort, der Regen hat Einzug gehalten. Etwas groesse Schritte auf dem Weg sind jetzt wieder moeglich.

  3. Ein neues Update ist von Zeit zu Zeit eben notwendig, wie beim Smartphone. Komplett repariert sein möchte ich persönlich schon gar nicht mehr. Ich habe mir durch die Werkzeuge der Therapie beigebracht, meine Einzigartigkeit nicht zu verfluchen, sondern zu schätzen. Nicht immer leicht aber besser für mich. Nur was ich annehme an mir, kann ich verändern, mit Hilfe von einem kleinen Update, nicht durch den Austausch kompletter Teile.

    Dein Text ist wie immer sehr gut und bildlich geschrieben. Dafür herzlichen Dank.

  4. Vielen Dank für diesen Text. Ich versuche gerade, Zeit zu gewinnen…..damit ich nicht ständig unter Druck stehen muss, rund zu laufen.

  5. Als ich den Text mit viel Vergnügen las und es irgendwie tröstlich für mich fand, kam mir der Gedanke an die Inspektion.Wenn es mir gut geht, sollte ich es in regelmässigen Abständen bewusst prüfen, ob dieses gute Gefühl nicht nur oberflächlich ist. Und wie findet man das heraus? Auf jeden Fall Danke für diese gedankliche Anregung.

    1. Hallo Susann. Das ist ein guter Gedanke. Regelmäßige Überprüfung ist immer richtig und wichtig. Dann ist es dieses nette „Reflektieren“. Wie? Hör auf dich. Nur das kann der Weg sein. ?

  6. Schöner Text. Vielleicht hilft es auch, ein bisschen zu unterscheiden zwischen Motor und Rest. Man muss nicht alles reparieren. Alle Wagen haben Macken und Dellen, wenn sie älter werden. Das macht aber nichts. Man muss sich nicht um alles kümmern. Aber dass der Motor rund läuft, das wünscht man sich natürlich und da sollte man dran bleiben.

  7. Ich finde es immer wieder überraschend, einen tiefsinnigen Text zu entdecken, der ähnliche Gedanken, Ideen und Wünsche aufgreift, die auch in meinem Kopf herumgeistern. Beim Lesen Deines Textes musste ich häufig schmunzeln und oft staunen über den gekonnten Vergleich / Wechsel zwischen Deinem reparaturbedürftigen Auto und einem kränkelnden Selbst! Vor allem, weil das Auto des »Deutschen liebstes Kind« ist, das ständig umsorgt und regelmäßig gepflegt wird. Erstaunlich, dass viele Menschen sich mehr um ihren Besitz sorgen und kümmern als um sich selbst. Vielleicht braucht man(n?) eine »Fehlfunktion«, um das zu erkennen oder einfach Texte wie diesen…

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