Saugen. Wischen. Durchlüften.

Das neue Jahr ist schon in vollem Gange. Die meisten Menschen haben zwischen den Feiertagen ihre Jahresrückblicke geschrieben. Eigentlich wollte ich es genauso machen. Eigentlich. Aber Lust hatte ich keine darauf. Ich habe mich über Wochen gefragt, warum viele am Jahresende ihre Erfolge und die 9 schönsten instagram-Filterbilder feiern. Ich habe mich auch gefragt, wie ich in dieses Jahr starten möchte. Will ich wirklich den Blick zurückwerfen und mir wieder und wieder vor Augen führen, was im letzten Jahr passiert ist? Oder im Jahr davor? Oder mit den Menschen, die mich so immens viel Kraft gekostet haben? Ja, doch. Zurückschauen ist vollkommen ok. Die guten Gefühle konservieren, die schlechten Gefühle erkennen und schauen, was wirklich dahintersteckt. Vor allem wird es Zeit, mir mein Leben zurückzuholen.

Das letzte Jahr war nicht nur positiv. Das letzte Jahr war auch negativ. Es war mit Entscheidungen geprägt. Mit vielen Höhen und auch Tiefen. Mit Menschen, die alles von mir abverlangt haben, denen ich aber dankbar bin, dass sie mir das angetan haben. Ich habe daraus gelernt. Vor allem konnte ich in den anstrengsten Phasen noch immer sortieren, wo der Weg hingehen soll und für mich einstehen. Ich konnte mir Wünsche nicht erfüllen. Ich habe dennoch einen Traum gelebt. Ich bin neue Wege gegangen. Ich habe mich ausprobiert. Ich bin ein paar Mal gestolpert. Ich habe alte Muster wiedergefunden und aufgelöst. Ich habe wieder Bücher gelesen. Ich habe tolle Menschen getroffen. Ich hatte wundervolle Termine mit guten Begegnungen. Es waren auch anstrengende Termine. Ich habe etwas für mich gefunden, was ich lange verloren hatte. Ich hatte einen wundervollen Urlaub. Und vor allem ist mir klar geworden, was ich im Leben wirklich möchte. Ich weiß, was ich mit meinem Leben anstellen und erreichen möchte. Wer kann das schon von sich behaupten? Der Haken an der Geschichte ist nur: Den Weg dorthin zu finden.

Depressionen zu haben heißt auch, ich kann meinen Alltag schaffen. Sie heißt nicht, dass ich es immer schaffe.

Twitter: @verbockt

Nein. Ich schaffe nicht alles. Ich muss auch nicht alles schaffen. Wer muss das schon? Und wer bestimmt eigentlich, wie viel ich schaffen muss? Nur mein eigener Anspruch. Ich habe bei diesem Teil mal durchgewischt. Ich habe mir Auszeiten gegönnt, in denen ich keine Mails beantworte, nicht telefoniere, keine Nachrichten lese oder, oder, oder. Ich muss nicht 5 km laufen, wenn mir nur nach 3 km ist. Ich muss eigentlich all das gar nicht machen, ich darf, kann und möchte es. Meistens.

Klar Schiff.

In so einem Jahr kann viel passieren. Ende 2017 bin ich aus meinem alten Job ausgeschieden. Ich habe dieses Jahr genutzt, um herauszufinden, was ich wirklich will. Und dann auch alles dafür zu tun, dort hinzukommen. Auch das ist kein einfacher Weg. Wenn du zwar immer etwas irgendwie gemacht hast, aber nicht als Ausbildung nachweisen kannst. Oder du ist Quereinsteiger und machst dich selbstständig. Das war aber kein Weg für mich. (Ich kann an dieser Stelle nur nochmal René, Theresa und Holger für den Support in der Zeit danken.) Auch wenn ich das Endziel nicht erreicht habe, habe ich tolle und gute Gespräche geführt, die mir gezeigt haben, dass der Weg richtig ist. Dennoch lasse ich den Artikel über die Suche noch offen. Ich bin noch nicht an meinem Ende angekommen. Aber ich habe einen Schritt gemacht.

Der Arbeitsalltag hat mich wieder. Ich habe nicht alle für das Jahr ausgegebenen Ziele bekommen, aber ich habe eines erreicht. Ich arbeite. Sicher und vernünftig. Mit etwas, das ich kann und gar nicht so schlimm finde. Was ich in diesem Jahr auch gelernt habe? Ehrlichkeit zahlt sich aus. Mit allen Bewerbungen, die zu einem Gespräch oder zumindest zu einem Kontakt geführt haben, gab es immer positive Rückmeldungen. Was auch heißt:

Depressionen sind nicht bei jedem Arbeitgeber ein Nachteil. Sie werden zum Nachteil, wenn ich alles aus Angst verschweige, verstecke und dann permanent ausfalle oder der Arbeitgeber eben nicht weiß, was los ist. Es ist eine Frage, wie wir selbst damit umgehen. Eine vernünftige Kommunikation erleichtert den Umgang für alle Beteiligten. Ich habe eine 30 Stunden Stelle. Ich bin damit zufrieden. Ich kann mich damit wieder in den Alltag finden. Und ich kann jederzeit aufstocken auf Vollzeit, wenn ich das möchte. Selbst weniger Stunden wären nach Absprache möglich, aber das möchte ich nicht. Zumindest sehe ich keinen Bedarf. Vorrang hat die Gesundheit und der achtsame Umgang mit Überforderung. Klar Schiff heißt, ich stehe ehrlich zu dem, was in meinem Leben gewesen ist und sehe es heute sogar als Erfahrungen, die ich machen konnte. All diese negativ behafteten Urteile anderer, die seit Jahrzehnten unglücklich in einem Job festhängen. Es nervt. Es sind eben Urteile.

Dein Lebenslauf sollte nicht länger als ne Seite sein. Und schreib das da nicht rein. Du kannst doch nicht im Anschreiben über Depressionen sprechen. Und hier, deine Vorträge, lass das mal lieber raus. Meinst du nicht, dass das zu viel ist, wenn du die Mailendung von deinem Blog angibst?

Irgendwer. Irgendwo. Über mich.

Sicher ist ein bewegtes Leben nicht immer schön, wenn es um die Menge an Anstellungen und die Länge des Lebenslaufs geht. Der Unterschied an der Sache: Ich weiß, warum es diese wechselnden Stellen gab. Ich weiß, wie ich mit meiner Vergangenheit umgehen muss und was sie heute aus mir gemacht hat. Ich kommuniziere das klar und direkt. „Wie haben denn die Arbeitgeber reagiert, die dich dann nicht wollten? Da gab es doch sicher negative Rückmeldungen“, war bei einer Lesung das Gesprächsthema. Nein! Ganz einfach: Nein! Wer mich nicht will, holt mich gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch. Die, die mit mir gesprochen haben, die haben mich respektvoll und wertschätzend gesagt, warum sie mich nicht nehmen. Und das waren komplett andere Gründe. Nachvollziehbare und vernünftige Gründe. Ich weiß, dass es auch andersrum geht. Ich weiß auch, dass es mürbe macht, wenn ich überall Bewerbungen hinschicke und keine bzw. negative Antworten bekomme. Es ist aber nicht die Regel. Das Schiff ist also aufgeräumt. Es steuert wieder durchs Meer der Arbeitswelt und bringt ein regelmäßiges Gehalt nach Hause. Das Minimalziel ist geschafft.

Klare Grenzen. Oder Illusion.

Eigentlich könnte ich einen ganzen Rant* über das Thema schreiben. Mir ist jetzt öfter begegnet, dass Menschen sich nicht nur versuchen, mit mir zu identifizieren, weil sie sich in meinen Texten und Emotionen wiederfinden, nein, mittlerweile gibt es auch die, die meinen mich besser zu kennen, als ich mich selbst. Wenn es ein geschulter Therapeut ist, ok, ja, wirklich ok, dann können wir drüber reden, ob ich mich diagnostizieren lasse, aber genau die sind es, die das nie einfach laut sagen würden. Nein, es sind ganze andere Typen Mensch. Und dann hört der Spaß wirklich auf. Meine Texte hier, bei Twitter oder instagram sind Ausschnitte aus meinem Leben. Sie spiegeln nicht meinen kompletten Tagesablauf und Werdegang. Wer also versucht, nur mit diesen Inhalten mir dann auch noch sagen zu wollen, wer ich bin und was ich machen soll, fährt da leider in eine Sackgasse. Es ist ja dann nicht nur das WAS, sondern vor allem das WIE! Mal im Ernst. Was bildet ihr euch eigentlich ein, mich zu beurteilen? Nur, weil ihr einen Ausschnitt meines Lebens kennt? Kommunikation ist ein wahnsinnig hohes Gut, was ihr dazu nutzt, um euch selbst zu verlassen und anderen Menschen an den Kopf zu knallen, was ihr euch mit eurem Pseudowissen zusammenreimt? Einer meiner liebsten Sätze dabei ist mittlerweile: „Ich habe mich jetzt länger mit Bloggern beschäftigt. Du hast für mich wirkliche diese narzisstische Persönlichkeitsstörung.“ Halten wir an dieser Stelle fest, dass es sich verbietet, als selbst Betroffener einem anderen eine Diagnose zu stellen, steigert sich das Ganze noch, wenn es als Leiter einer Selbsthilfegruppe passiert. Interessanter wird es, wenn derjenige auch noch andere Blogger damit anspricht und eine sehr eigenwillige Theorie in die Welt schleudert. Ich müsste dafür die Begrifflichkeit des Narzissmus noch klären, aber das würde den Rahmen sprengen. Jeder von euch kann ja sicher Google bedienen.

Ich bin weder narzisstisch, noch mache ich das hier alles für Klicks und Likes oder Bewunderung. Ich habe immer betont, wie spannend und toll meine Reise der letzten 2 Jahre war und ich dabei meinen Selbstwert besser kennenlernen konnte. Der schwankt nicht. Er ist nicht mal besser, mal schlechter. Es gibt nur Punkte, wo ich noch an ihm arbeite. Und es gibt Punkte, bei denen kenne ich ihn schon. Ich habe nie, auch wirklich nie irgendwo das Gefühl ausgegeben, dass ich total geil bin mit dem, was ich hier tue. Oder es komplett infrage stelle. Ich bin dankbar für jeden, der eine Rückmeldung gibt, klickt, teilt oder darüber spricht. Das ist keine Selbstverständlichkeit und die habe ich nie so gesehen. Glaubt wirklich einer, dass ich das hier mache, um Bestätigung zu bekommen? Um berühmt zu sein? Um Anerkennung zu erlangen? Um ein toller Hecht zu sein? Um Fans zu haben? Nein! Drehen wir den Spieß doch aber mal um.

Was hat es mit dir zu tun? Warum lässt dein Ärger nicht nach? Warum kannst du nicht loslassen und beschäftigst dich immer noch permanent mit mir, anstatt es auszublenden und dich um deine Sachen zu kümmern? Warum kontrollierst du, liest du nach, abonnierst, kommentierst, schickst Mails? Hast du dich jemals gefragt, ob das Problem nicht bei dir liegen kann?

Das sind alles Fragen, die ich mir auch selbst stelle. Denn: Solange es mich beschäftigt, ist es nicht erledigt. Solange ich dieses Thema, das Problem oder den Menschen nicht loslassen kann, hat es auch immer etwas mit mir zu tun. Was? Das kann ich nur mit Selbstreflexion herausfinden. Manchmal braucht es eine gewisse Zeit, bis mir klar wird, welche Punkte „mein Gegenüber“ getroffen hat. Was er wirklich in mir auslöst. Oder ob ich einfach nur wütend zurückschießen will, weil es eine grandiose Ungerechtigkeit ist. Aber wann bin ich stärker? Dann, wenn ich mich dem Kampf hingebe? Oder dann, wenn ich mich einen Moment zurücknehme, mich aus einer anderen Perspektive betrachte und nicht den Aufwand betreibe, einen anderen niedermachen zu müssen und meine Probleme auf den anderen zu projizieren? Loslassen ist stärker, als daran festzuhalten.

Irgendwo dazwischen gibt es dann noch wundervolle Verurteilungen, wie ich als Betroffener keine Entscheidungen treffen kann. Reden wir kurz über Entscheidungen. Ich treffe die sogar sehr klar. In vielen Bereichen meines Lebens. Ich treffe sogar Entscheidungen gegen etwas, um eine für mich gesetzte Grenze einzuhalten, die dann plötzlich komplett ignoriert wird und mir zum Vorwurf gemacht wird. Komisch, oder? Zumal: ICH bestimme MEINE Grenzen. Und ICH allein bestimme, womit ich wie umgehen möchte. Nicht irgendjemand anders. Dabei ist es egal, ob ich die Grenze aus einer Erfahrung durch meine Kindheit gesetzt habe, oder durch andere Gedanken und Erfahrungen. Ich allein entscheide, wie und ob ich mit etwas umgehen möchte. Ich treffe auch Entscheidungen für etwas, was mir nicht so gut tut oder auch keinen Spaß macht. Das sind Entscheidungen, mir Zeit für etwas zu nehmen, was einem nahestehenden Menschen aber eine Hilfe sein kann. Ich treffe aber auch Entscheidungen für etwas. Für viele Sachen. Auch für mich. Für! mich.

Manchmal frage ich mich wirklich, was in anderen Köpfen vorgeht. Und dann lehne ich mich zurück und versuche mein Verhalten zu reflektieren. Ich gucke, was ich eventuell anders hätte machen können. Ich schaue, was ich aus der Situation lernen kann. Und es macht mich selbst wütend, dass ich Menschen wieder die Macht gegeben habe, so viel Platz in meinem Leben zu bekommen. Was bringt es also, wenn ich höre, dass ich selbstbewusst sein darf und soll, aber meine Grenzen müssen für wen anders so passen, dass es nach seiner Nase geht? Sind ein harmonisches Miteinander und gesunde Grenzen, die wir respektieren können, also eine reine Illusion? Oder passt der Mensch dann nicht in mein Leben?

Was Menschen besonders gut können: Nachtreten. Immer nachtreten. Ob das gerechtfertigt ist und auf Fakten beruht, ist vollkommen egal. Wir geben jemandem die Schuld. Damit ist das Problem nicht mehr bei uns selbst, sondern an den anderen zurückgegeben. Schuld, Schuld, Schuld. Darum geht es in so vielen Situationen. Auch bei denen, wo ich der Trigger* bin. Das Problem wird also auf den gegenüber projiziert. Was durchaus bis zu einem gewissen Rahmen annehmbar und tragbar ist. Bis zu einer Grenze. Einer ungesunden Grenze. Danach nehme ich mich raus. Es geht hier nicht immer um Schuld, es geht auch um Verantwortung. Verantwortung, mit dem Gefühl und der Situation umzugehen, eine Entscheidung zu treffen und daraus die Konsequenz. Das ist nicht einfach. Auch für mich nicht. Aber ich für mich versuche das genauso zu leben. Ich suche nicht die Schuld, ich versuche Verantwortung zu tragen.

Das Jahr 2018 war meine Lehre zum Loslassen und Abgrenzen. Auch wenn einige wahrscheinlich denken: „Ach der Bock, der macht das eh nicht. So standhaft kann der nicht sein. Der trifft ja auch keine klaren Entscheidungen und malt sich alles so toll aus.“ Doch. Leider doch. Ich kann es. Ich werde es nutzen. Ich werde nicht mehr alles bis zum Erbrechen ertragen oder ausdiskutieren. Ich nehme mich raus, versuche nicht nachzutreten und doch noch respektvoll zu bleiben. Geht es gar nicht mehr, gibt es eben eine klare Entscheidung.

*Rant: Einem „Rant“ geht meist ein Gefühl der Wut, der Enttäuschung oder des Zorns voraus. In einem „Rant“ äußert jemand seine Meinung, positioniert sich, stellt klar, wie er oder sie zu etwas oder jemanden steht und macht deutlich, warum er oder sie etwas ablehnt bzw. etwas zustimmt. Auch beinhaltet ein Rant die Bewertung von Ereignissen, Erlebnissen Personen und Verhalten.

*Trigger: Unter einem Trigger (engl.: „Auslöser“) versteht man in Medizin und Psychologie den Auslöser für einen Vorgang, der eine Empfindung, einen Affekt […] In der Psychiatrie kann durch einen Schlüsselreiz ein Flashback ausgelöst werden. Die betroffene Person hat ein durch den Trigger ausgelöstes plötzliches, intensives Wiedererleben eines vergangenen Erlebnisses oder früherer Gefühlszustände, das kann so stark sein, dass die Person unfähig ist, sie als Erinnerung zu erkennen und erlebt sie förmlich als aktuelles Ereignis.

Alle Kraft an Deck

Auch dieses Jahr braucht klare Entscheidungen für oder gegen etwas. Ich habe mich für mich entschieden. Für das Leben. Für Arbeit. Für Sport. Für ein gesundes Miteinander mit mir. Für die Auseinandersetzung mit mir. Für tolle Erfahrungen und Wege, die ich noch nie beschritten habe. Und ich habe mich entschieden, öfter als sonst hier durchzufegen, feucht zu wischen und mal die Fenster groß aufzumachen. Ich brauche meine Kraft für mich. Ich brauche sie, um mein Leben sauber zu halten und weiter den Weg zu gehen, den ich für mich wähle. Und nicht den, den andere für mich bestimmen wollen.

Ich wünsche euch und mir immer das nötige Gefühl entscheiden zu können, wer und was euch im Leben gut tut. Und die Kraft, daraus die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche euch Wege, die immer begehbar bleiben – ob vor oder zurück, einen Moment zum Innehalten und Weitergehen. Dieses Jahr hat gerade begonnen. Es ist ein Anfang von etwas, von dem wir das Ende noch nicht absehen können. Ich werde Wege gehen, die ich nicht kenne, die absolut neu sind, bei denen ich mutig sein muss und mir eine Menge bringen können.

Wir sehen und lesen uns. Passt auf euch auf.

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