Jahr um Jahr …

… geht vorüber. 365 Tage, die mal schneller oder mal langsamer vergehen. Stunden, die uns wie Tage vorkommen. Monate, die sich wie Wochen anfühlen. Wir fliegen durch die Zeit, durch die erlebten Momente, durch Jahreszeiten und verpasste Chancen. Ein Jahr. Ein immer wiederkehrender Rhythmus der Feiertage und – für viele – die Vorbereitung auf schwierige Tage mit Menschen, die ihnen nicht guttun. Oder auch andersrum mit feststehenden Treffen, bei denen wir Menschen treffen, die uns das gute Gefühl geben, dass uns glücklich macht. Wieder ist ein Jahr vorbei. 38 sind es jetzt bei mir. Ein Jahr, in dem es mit Texten ruhiger wurde. „Als Blogger musst du Artikel vorschreiben, damit du auch Content liefern kannst“, habe ich bei einem Experten gelesen. Ja gut, das könnte ich machen. Möchte ich aber nicht. Artikel zu Weihnachten. Jahresrückblicke. Alles ist voll davon. Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich auch etwas über dieses Jahr schreiben möchte. Es ist doch immer derselbe Einheitsbrei. Ich danke hier und danke dort. Ich habe dies und habe jenes. Und bin dort und hier und überall. Kommt schon, interessiert euch das denn wirklich? Gut. Dann gebe ich euch ein bisschen Inhalt.

Dieses Jahr hat sich angefühlt, als wäre ich in einem Radrennen und müsste ständig nen Reifen flicken oder den Schlauch wechseln. Ich bin auf vielen tollen Strecken gefahren, hatte tolle Zeiten in all den Monaten, bin die Berge hoch geklettert und wieder runtergesaust, war mal aus der Puste und zwischendurch musste ich reparieren. Nicht nur das Rad. Auch mich. Vor allem habe ich in diesen Phasen nicht resigniert, sondern bin interessiert an die Sache gegangen. Ich wollte nicht mehr zu einer Werkstatt (Tschuldigung, ja, um die Aussage zu verstehen, müsst ihr leider wirklich den verlinkten Artikel lesen.) und irgendwas machen lassen, ich wollte und will meine Reparaturen selbst machen. Zu lernen, wie die Dinge funktionieren, finde ich mittlerweile immens wichtig. So kann ich auch für mich sorgen, wenn mir unterwegs mal etwas passieren sollte. Die nötigen Handwerkszeuge habe ich in der Satteltasche immer dabei – oder andersrum: Für mich selbst habe ich alles in meinem Rucksack. Ich kann und will für mich sorgen. Es ist also vollkommen ok, mal einen Platten zu haben, zu lernen, mich zu kümmern und den Blick in die richtige Richtung zu behalten. Der Fokus liegt darauf, mein Rennen zu beenden.

Ein Rennen in der vorgegeben Zeit zu beenden, ist nicht so einfach, wenn ich die Strecke nicht kenne. Oder wenn ich unkonzentriert bin und die Abzweigung verpasse. Stell dir vor, du strampelst mit 30 km/h die Landstraße entlang, die Sonne scheint, du bist in Gedanken versunken, möchtest des Anschluss behalten und dann, genau dann, wenn du dich gut fühlst, lächelst und deinen Gedanken magst, biegst du nicht ab. Du biegst einfach nicht ab! Weil du die Kreuzung verpasst hast. Ich habe in diesem Jahr ein paar Abzweigungen nicht gesehen. Ich habe falsche Wege genommen, weil ich mir sicher war, dass der Weg dort lang führt. Führte er nicht. Sicher war ich mir trotzdem. Ich habe sicher auch nicht die vernünftigsten Wege gewählt, um wieder auf die richtige Straße zu kommen. Hingekommen bin ich trotzdem. Wollt ihr Anekdote? Das geile ist, ich muss wirklich selbst darüber lachen. Immer wieder. Also los:

Nach all den Kilometern auf der Straße habe ich mir vorgenommen, mal mit dem Crossrad über den Galgenberg zu fahren und ein paar Schotterwege mitzunehmen. Es ist mal was anderes. Ich habe eine Strecke geplant. Zu Hause starten, durch die Feldmark, dann einen Anstieg Richtung Galgenberg, links ab in den Wald und dann hoch auf den Kamm. Links ab ging noch. Aber dann war der Weg zu Ende. Einfach so. Umdrehen ist mittlerweile auch keine Option. Ich hatte ja einen Plan. Und ich muss irgendwie hoch auf den Kamm kommen. Also habe ich das Rad querfeldein durch Büsche, Bäume und über matschige, nasse, verwilderte Wege geschoben. Bergauf! Ich bin oben angekommen. Und weil das nicht reicht, habe ich mich in einem anderen Wald verfahren. Das Signal fürs Handy war weg, die Wirtschaftswege ausgefahren von Baumfällarbeiten und ich wusste nicht mehr, wo ich lang sollte. Ich bin gefühlte zehn Mal im Kreis und in die falsche Richtung gefahren, bis ich auf der anderen Seite eines Baches ein befestigten Weg gesehen habe. Ich habe das Rad den Abhang runtergeschoben, bin durch den Bach und auf der anderen Seite den Weg bergab gefahren.

Fehler und Irrwege gehören dazu. Immer und immer wieder. Wichtig war in all den Situationen – ob auf dem Rad oder woanders: Ruhig bleiben, orientieren, ruhig bleiben, einen Schritt zurück machen, ruhig bleiben, eine neue Entscheidung treffen, ruhig bleiben, weitergehen.

Dieses Jahr war geprägt davon, Sachen „einfach mal“ zu machen. Für jeden von uns hier. Wir waren viel draußen. Ich vor allem durch den Sport, aber auch so konnten wir unsere Welt immer weiter entdecken. Thale, Rügen, Usedom, Wilhelmshaven. Wandern, Radtour, am Strand liegen und das Highlight für alle: Zelten. Wir haben gelacht, geflucht, aufgebaut und einen tollen Platz am See mit Sonnenuntergang gehabt. Oft hat mich das Gefühl eingeholt, dass ich einfach mal nichts machen möchte. Aber warum nicht? Warum möchte ich jetzt drinnen sitzen? Möchte ich mich Gedanken hingeben, oder gibt es körperlich ein Problem? Ist es etwas, was ich nicht machen möchte, oder warum stellt sich mein Empfinden dagegen? Ja, ich stelle mir diese Fragen. Ich habe keine Lust, Zeit zu verschwenden, indem ich nutzlos im Sessel sitze, überflüssige Gedanken denke, die nicht wahr sind und mich in die Lethargie fallen lasse. Spoiler: Ich war öfter draußen als gedacht. Ich habe viel mehr Momente genossen, als ich mir vorgestellt habe. Dieses „draußen sein“ ist eine Geheimwaffe geworden.

Das Alte wird besser. Das Neue ist gut.

Viele von euch lesen mich schon länger. Ihr habt über eine lange Zeit eine Entwicklung mitbekommen, die ich mir auch immer noch bewusst machen muss. Da sind trotzdem noch alte Gedankenspiele, die sich immer wieder einschleichen. Ein Mechanismus, der über Jahre antrainiert ist, der funktioniert dann auch später nochmal. Es wird besser. Ich kann Lob annehmen, ohne es kleinzureden. Manchmal fühle ich mich mit einem Lob auch sehr gut, auch wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll. „Danke“ erscheint mir dann oft zu wenig, auch wenn es alles ist, was in der Situation sein muss. Ich übe und lerne.
So ist es auch mit anderen Dingen. Zweifel, ob ich etwas schaffen kann. Ängste, die mich dabei überkommen. Leistungen kleinreden. Es ist nicht leicht, auch da ein Routine zu entwickeln. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich mit anderen vergleiche und schaue, wie ich mich irgendwo einordnen kann. Aber dann sind da Menschen, die mir dabei helfen. Ob ich möchte oder nicht. „Du postest doch den Kram nur, um bejubelt zu werden“, mögen einige sagen. Es wäre gelogen, wenn diese Anerkennung nicht gut tun würde. Das ist aber nicht der Grund. Mittlerweile ergeben sich aus den Beiträgen wertvolle Gespräche und Diskussionen, die wertschätzend und wertvoll sind. Auch das hilft mir, mich und mein Handeln besser einzuschätzen. (Ein großer positiver Nebeneffekt: Andere haben für sich die Motivation gefunden, selbst wieder etwas zu machen. Oder überhaupt etwas zu machen. Solange es als Motivation geht, ist es gut.) Vergleichen ist der Anfang eines großen Übels. Manche Fahrt auf dem Rennrad mache ich nicht alleine. Gestern war auch wieder so ein Tag.

Eine Ausfahrt zu zweit. Der eine sitzt seit Jahren im Sattel und ist schon tausende von Kilometern gefahren, der andere hat im April erst so richtig angefangen und steckt mitten in der Lernphase. Natürlich kenne ich meine Leistung und ich hatte sofort das Gefühl, dass ich zu langsam bin, ihn ausbremsen werde, er am Berg warten muss oder eventuell eine Pause brauche. Das sind die Gedanken. Wahr sind sie aber nicht. Er würde mich ja nicht fragen, wenn ihm das nicht bewusst wäre, was ihn erwartet. Außerdem hat er mir mehrmals klar gemacht, dass es ihn nicht stört. Mehr Wahrheit braucht es nicht. Also waren wir gestern auf der Piste. Bei Temperaturen um die 0°, Sonne und beschissenem Wind. Auch das sind Phasen, in denen ich lernen darf, so gut zu sein, wie ich bin. Und ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die wertfrei an die Sache gehen und mir diesen Raum geben. Das wird in vielen anderen Situation auch besser. Immer besser.

Noch etwas altes? Stolz. Wie vielen Menschen fällt es wahnsinnig schwer, wirklich stolz auf etwas zu sein und das nicht sofort abzuwerten? Wie viele haben nicht gelernt, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, um „Stolz“ zu fühlen? Ich bin einer davon. Ich könnte ja sagen, dass ich stolz darauf bin, dass ich alles und jeden mit einer Aussage sofort kleinmache. Dabei mache ich mich klein. Und das Lob des anderen. Ich habe immer wieder probiert, das gute Gefühl zuzulassen. Und es funktioniert. Ich darf stolz sein. Ich darf das äußern. Auch wenn es da wieder Menschen gibt, die einem gerne einreden wollen, dass es arrogant wäre. Aber Arroganz ist nochmal ne ganz andere Nummer. Ich lerne im gleichen Zug auch, dass es nicht perfekt sein muss. Vieles ist gut so, wie es ist. Bleiben wir beim Fahren. Der (un)perfekte rote Faden für diesen Beitrag.

Ich hatte dieses Jahr Ziele. Ich wollte weiter laufen, schwimmen, fahren. Ich wollte beim Triathlon bleiben. Gut, das hat nicht so geklappt, wie ich dachte. Radsport ist Liebe und Leidenschaft. Und so wurden aus 1.000 geplanten Kilometern eben mal … sagen wir etwas mehr. Vielleicht ist es auch etwas aus dem Ruder gelaufen. Ich stehe – Stand heute – bei 4.922 km. Viertausendneunhundertzweiundzwanzig. LECK MICH DOCH AM ARSCH! Ist das geil, oder was? Ähm … ja … fast. „Noch 78 bis 5.000, das wäre was. Das wäre perfekt.“ Dem Gedanken bin erlegen. Habe die Tour geplant, bin Zeiten durchgegangen und ich entscheide mich, dass ich meine letzte Ausfahrt gestern hatte. Wenn ich doch fahre, dann nicht so, dass die Zahl voll wird. Es muss nicht perfekt sein. Ich muss nicht alles erreichen, ich bin damit sehr sehr zufrieden. Und stolz. Punkt. Ende. So ist es mit vielen anderen Sachen mittlerweile auch. Es muss nicht alles bis ins kleinste Detail perfekt sein.

Vater sein … und so.

Es hat sich nichts geändert. Ich bin noch immer wahnsinnig gerne Vater. Und mein Sohn? Macht es mir meistens sehr sehr leicht. Wir lernen und entdecken die Welt weiter, ich habe einen anderen Blick aufs Leben bekommen, genieße seine Freude und bin zwischendurch auch mal wahnsinnig angespannt, wenn es mal nicht so läuft wie geplant. Aber ich denke an Nora Imlau und ihre Lesung. Ich denke an die 5 Dinge, die ich als depressiver Vater immer wieder tun muss. Manchmal beobachte ich auch einfach nur. Ich versuche, auf Augenhöhe zu sein, seine Bedürfnisse wahrzunehmen, ihn zu begleiten. Ich liege auch manchmal falsch, bin mal lauter, genervt oder ungeduldig. Aber ich kann mich entschuldigen und ihm erklären, warum ich so bin. Ich liebe es, wie er all die Dinge einfach machen will. Seine leuchtenden Augen, das laute Lachen beim Toben, die kuscheligen Momente, wenn er Nähe braucht.

„Es wird nicht einfacher, es wird nur anders.“ Ja, das mag sein. Nein, nicht mag. Es ist so. Aber ich empfinde es dennoch nicht als schwer, die Wege mit ihm zu gehen. Ich liebe es, Momente für uns alle zu schaffen, Erinnerungen zu gestalten, Zeit zusammen zu haben.

Danke!

Ich muss hier mal zum Ende kommen. Ich könnte sicher noch mehrere Tage zusammenfassen, was ich alles erlebt habe, aber das sprengt den Rahmen. Ein paar Sachen habe ich als Notiz für eigene Artikel. Andere behalte ich für mich.

Bedanken möchte ich mich für all die Menschen, die mir – positiv wie negativ – begegnet sind. Ja, auch negative Menschen, weil sie eine Herausforderung waren, durch die ich Grenzen besser setzen konnte und weiß, was ich nicht will. Danke an all die positiven Menschen, die mir zugehört haben, mich gelesen haben, mich unterstützt haben, sich mit mir ausgetauscht haben, mir einen Raum geboten haben, mir eine Rückmeldung gegeben haben, für mich da waren, mich motiviert haben und auch die, die mich kritisiert haben. Dieses Jahr war in vielen Ecken eine Bereicherung. Seht es mir nach, dass ich wirklich nicht alle aufzählen kann.

Ich bin dankbar für die Menschen, die immer wieder über Depressionen und psychische Erkrankungen aus ihrer Sicht sprechen. Ich bin dankbar für die Angehörigen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und auch ein Stimme haben, um ihre Sicht mitzuteilen. Denn nur, wenn wir miteinander reden, kann es besser und anders werden. Ich wünsche uns allen, nicht immer in der Einbahnstraße zu stecken.

Ne Raupe? Im Ernst? NE RAUPE?

Warum der Beitrag eine Raupe als Beitragsbild hat? Tja. Weil es darauf ankommt, die kleinen und besonderen Momente wahrzunehmen. Wir laufen so schnell durch unser Leben, hängen irgendwo fest, sitzen im Dunkeln und so sehr mit Gedanken beschäftigt, dass wir diese kleinen Momente nicht wahrnehmen. Und wenn doch, vergessen wir sie so schnell wieder, wie sie da waren. Die Raupe erinnert mich daran, bewusster durchs Leben zu gehen. Ich muss nicht jedes Projekt mitmachen, ich muss nicht Welle reiten, ich muss nicht dauernd nen Artikel schreiben, ich muss dies und das und jenes nicht. Mittlerweile habe ich bei vielen denen ich folge ein Glücksglas gesehen. Nutzt das! Ein Glas, in das ihr immer einen Zettel werft, wenn ihr einen schönen Moment erlebt habt. Ein Jahr lang. Unfassbar, wie viele gute Momente wir erleben und zwischen unseren (gefühlt) schlechten Momenten verdrängen. Danke für die kleinen Momente und Begegnung in meinem Leben.

Ich wünsche mir und euch für das neue Jahr mehr Gelassenheit. Ich wünsche euch allen Wege, die ihr sehen könnt. Ziele, die ihr am Wegesrand finden könnt. Gute Momente und Erkenntnisse. Ich wünsche euch Mut. Mut, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die schwierig sind. Ich wünsche euch Unterstützung und Menschen, die an euch glauben, auch wenn es mal nicht rund läuft. Ich wünsche allen ein paar Menschen, die das sehen können, wenn wir es selbst nicht mehr sehen. Vor allem wünsche ich euch, dass ihr immer einmal mehr aufsteht, als das ihr euch hinlegt. Ich wünsche euch ein öfter gesagtes „Fickt euch doch“, wenn ihr euch mit schlechten Menschen umgebt.

Was 2020 bringt? Stabilität, Immer weniger Schwankungen. Schwere Momente und Herausforderungen, denen ich mich aber stelle. Krisen, Freude, Tränen und Lachen. Es wird alles dabei sein. Ich habe keine Vorsätze. Ich habe Wünsche.

Ich bin dankbar für meine Familie, die mir Zeit und Raum für all das hier gegeben hat. Danke für ein wundervolles Jahr. Wir lesen, hören oder sehen uns. <3

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2 Kommentare

  1. Bei mir ist es eher so, das ich Angst vor dem neuen Jahr habe. Wie bei so vielem, bei dem ich nicht weiss, was mich erwartet. Meine Kinder wähnen mich schon mitten drin in einer Depression, und vielleicht sollte ich mir auch darüber einmal Gedanken machen

  2. Vielen lieben Dank für diesen erheiternden Beitrag in so philosophischer Weise. Diesen Vergleich mit dem Rad werde ich mir jetzt sicherlich öfters ins Gedächtnis rufen. Danke dafür und bitte weiter so!!!

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