Diagnosenwirrwarr …

Wer mit psychischen Problemen zu tun hat, stellt sich sicher zwangsläufig die Frage: „Was hab ich eigentlich?“ Vor Jahren war es mir eigentlich völlig egal. Da stand für mich nur fest, dass ich was habe, aber vodergründig hats mich nicht interessiert, weil ich meine Gedanken eher an Suizid und wie ich es am besten machen verschwendet habe. Heute sieht das schon ein wenig anders aus. Gestern im Therapiegespräch wurde mir einmal mehr bewusst, dass ein „Facharzt“ auch nur von dem ausgehen kann, was er weiß und wie viel ich preisgebe. Im Grunde ist die Diagnose „Depression“ sehr schnell und einfach gesagt, Pillen verschrieben und dann wars das erstmal. Patient glücklich, Arzt hats Geld verdient. Alles schön. Vor meinem Abschnitt in der Tagesklinik habe ich natürlich auch angefangen Bücher zu lesen, Selbsttests zu machen und zu googlen. Sinn? Keiner. Ich will auch keinesfalls meine vorherigen Therapeuten in Frage stellen und werde auch gewiss nicht nach dem Mund meines jetzigen reden, aber wenn ich mich mit den Verläufen beschäftige fällt auf: Momentan bin ich nicht in einer klassischen Depression. Es gibt da ein paar feine Unterschiede, die es aber nicht abmildern. Was ist denn nun anders?

Ganz klar: Ich habe ein intaktes soziales Umfeld, kann mich mit meinen Freunden und anderen Menschen treffen und auch so problemlos Kontakt halten. Ich habe auch keine durchgehende Antriebsschwäche mehr. Ja klar, ich hab Tage, an denen auch  so rein gar nichts geht. Da ist selbst das Kaffee kochen schon zu viel, ich muss mich bei manchen Aktivitäten auch regelrecht zwingen und aufraffen, doch sie funktionieren. Es gibt auch genug, wo ich voller Vorfreude dabei bin. Ich will nicht lange rumreden, gestern kam zumindest der Verdacht von „Dysthymie“ auf. Ich nehm mal ein paar Kernaussagen zu der Krankheit auf …

Bei der Dysthymie handelt es sich um eine entfernte Form der Depression. Wörtlich übersetzt bedeutet Dysthymie “schlechte Laune”. Genau darin äußert sich diese Erkrankung zunächst. Bei dieser Form der affektiven Störungen kommt es bei den Betroffenen zu leichten depressiven Verstimmungen.

Das passt doch schon ganz gut. „Leichte“ depressive Verstimmung. Nun ja, es gibt ein paar Tage da ist sicher noch anders, aber aktuell und im Rückblick auf die letzten Monate?

Symptome
– ständige leichte depressive Verstimmung
– Schlaflosigkeit
– Schlafstörungen
– Antriebslosigkeit
– Müdigkeit
– innerliche Unruhe
– Schuldgefühle
– Minderwertigkeitsgefühle
– Ängste
– Vegetative Zustände
– Körperliche Erschöpfung

Kann ich auch fast unterschreiben. Nicht alles durchgehen, nicht alles auf einmal, aber immer mal wieder ein bisschen davon.

Dysthymiker jedoch müssen oft viele Jahre mit ihrem Leiden leben. Sie schaffen es zwar ihren Alltag zu bewältigen, aber nur mit größter Anstrengung. Das Beschwerdebild ist überaus belastend, und zwar nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch in hohem Maße für ihr Umfeld.

Solange ich mich auf mein Leben konzentriere, schaffe ich es auch mich zu kümmern und bewusst am Leben teilzuhaben. Sicher hab ich mir das nun auch wieder über die große Suchmaschine zusammengesammelt, aber hier ist noch ein lesenswerter Teil. Sicher will ich mir damit auch keine Selbstdiagnose verpassen, aber die Informationen darüber entlasten doch etwas und lassen es nicht so schwarz wirken. Fakt ist aber trotzdem: Es ist und bleibt eine psychische Krankheit und somit auch eine Strukturstörung.

Der Teufelskreis von Aufgaben nicht erledigen und dann in die Lethargie fallen bleibt ja trotzdem da und zwingt mich hat mich immer in die Denkspiralen geschubst. Ich kann es unterbrechen und werde das auch weiter tun. Zu erkennen, dass und wie es funktioniert, bleibt immer noch eine Hürde, die ist aber bezwingbar – weil ich es möchte.

Oft beginnt eine Dysthymie schon in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter und nimmt einen chronischen Verlauf, der allerdings auch von Umwelt und Lebensereignissen abhängig ist. Diese Lebensphase stellt jedoch immer eine körperliche und seelische „Umbau-Phase“ dar. Niedergeschlagenheit, Wut, Missmut, Konzentrationsstörungen, Probleme im Umgang mit anderen, Überreaktionen und Schwierigkeiten mit Anforderungen umzugehen, sind bei Jugendlichen nicht ungewöhnlich und gehören zu einer normalen Entwicklung. Daher werden die Anfänge einer Dysthymie selten erkannt und behandelt.

Im Erwachsenenalter treten die Symptome dann deutlicher hervor, mit oft folgenschweren Konsequenzen für Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und am Arbeitsplatz.

Bei mir eher in der Partnerschaft. All die erlebten Ungereimtheiten versuche ich unterbewusst zu vermeiden, anstatt mich aus Situationen zu nehmen. Streit darf vorkommen, Streit reinigt das Verhältnis, Streit kann konstruktiv und befreiend sein, aber ich kann auch Dinge auf sich beruhen lassen. Das Programm im Kopf steuert mein Verhalten, der innere unzufriedene Teenager bekommt in vielen Momenten einfach zu viel Macht und Raum zum Handeln. Das braucht er nicht. Er ist erwachsen und kann verstehen, dass er sich der Verantwortung stellen kann.

Klingt alles so wunderbar einfach? Glaubt mir, das ist es wahrlich nicht. Für mich auf keinen Fall. Das ist Arbeit, teilweise ist es echt anstrengend, permanent auf sich aufzupassen und sich zu stoppen. Und wisst ihr was? Es ist auch für das Umfeld nicht einfach. Oder wie fühlt ihr euch, wenn ihr unterwegs seid und euer Partner da hockt wie’n Haufen Elend, nicht lacht, nicht redet, nach Hause will? Würdet ihr ihn in den Arm nehmen? M. erlebt das auch noch oft genug mit mir, aber ich kann mittlerweile sagen, was mich belastet und ehrlich sein, dass es mir nicht gut geht. Immerhin. Es sind kleine Dinge. Doch ich kann euch versichern, das Scheitern nicht schlimm ist, der Weg sich lohnt und wenn es kleine Mäuseschrittchen sind. Es ist an mir bzw. euch, wie ihr mit euch selbst umgeht.

Druck habe ich keinen, mache ich ihn mir, hab ich verloren. Deswegen sind mir Diagnosen auch namentlich relativ egal. Ob Depression, Dysthymie oder Halligallischwubbelbubbel – der Kopf ist und bleibt angeschlagen, hat jetzt aber einen tollen Programmierer, der nach und nach die Updates aufspielt. Das einzige, was ich nicht habe: Zeit zum Bemitleiden. Ich habe lange genug in meinem Selbstmitleid gebadet, heute darf ich leben und werde leben. Ich erlaube es mir. Und bitte, wenn ihr eine Diagnose gesagt bekommt, nehmt es nicht alles so bierernst. Das sind Namen, am Ende nur Nummern, damit etwas auf dem Papier steht. Wichtig ist, was in eurem Kopf passiert und was ihr daraus macht. Oftmals gibt es zu einer Diagnose noch andere einhergehende Symptome.

Habt ihr schon Diagnosen bekommen? Wie fühlt ihr euch damit? Wolltet ihr wissen, was ihr habt oder belastet euch das sogar?

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9 Kommentare

  1. Ich glaube auch nicht an meine Diagnose, sofern man überhaupt eine genannt bekommt. Symptome passen teils, teils auch gar nicht. Es heißt ja auch mit Therapie und Medikamenten heilbar. Meiner Meinung eher Gehhilfen für eine gewisse Zeit, den richtigen Heilungsweg muss man doch selbst suchen und gehen. Vorwärts wie rückwärts. Es hört sich überall an, als würde man 2 Wochen Antibiotika nehmen und ein paar Tage zur Therapie und alles wird gut. Und nach ein paar Wochen dann die Äußerung: Die Medikanente nimmst Du ja sicher nicht mehr… Soll man sich jedes Mal rechrechtfertigen? Nein, sie verändern das Wesen nicht, man nimmt sie über einen langen Zeitraum? Rechtfertigen dafür, dass man so lange braucht, um den richtigen Weg und einen Sinn zum Aufstehen zu finden? Dabei steht doch überall, dass Depression heilbar ist…

    1. Kann ich dir nur zustimmen. Vieles dabei sind ja die Vorurteile. Depressionen sind in gewissem Maße auch heilbar, ich vergleichs gerne mit Alkoholikern. Wenn es mir besser geht, dann bin ich zwar trocken, aber ganz geheilt werde ich nicht sein. Ich kann nur lernen mit umzugehen und zu leben. Der Weg dahin ist meist nicht einfach und sicher auch nicht kurz. Der aktive Weg bei mir sind nun 10 Monate, in denen ich sicher weit vorangekommen bin, aber es stagniert auch. Tabletten nehme ich nicht mehr, weil ich keinen Unterschied gemerkt habe (was auch passend zur Dysthymie ist).

      Und nein, es gibt keinen Grund sich irgendwo rechtfertigen zu müssen – auch wenn wir vielleicht dazu geneigt sind. “Wenn du viel erreichen willst, geh langsam.” Stolpern gehört auch dazu.

  2. Hm …. Das Wörtchen Dysthymie hat meine Therapeutin letztens auch als Möglichkeit fallen lassen …. :S
    Ich finde eine Diagnose schon wichtig – getreu dem Motto: Ein Feind, den ich sehen kann, kann ich auch bekämpfen. (Oder zumindest versuchen, mich mit ihm zu arrangieren). Wenn ich auf der Couch liege und nicht mal den Antrieb aufbringen kann, mich zu den 300m entfernten Bahngleisen zu schleppen – dann denk‘ ich nicht: „Och, das bestimmt die olle Depression.“
    Wenn ich aber weiß, das ich unter Depressionen leide und zumindest versuche, damit klar zukommen (dank Therapie & Medikamente) habe ich zumindest die Möglichkeit, die aufkeimenden negativen Gedanken zu erkennen und entsprechend zu handeln – damit es sich nicht zu einem bodenlosen Abgrund entwickelt. Sondern nur eine kleine Delle in der Stimmung bleibt. Ein „Weiter so – wird schon irgendwann werden…“ habe ich mehrere Jahre probiert. Und gut getan hat es mir nicht ….

    1. Kann ich nachvollziehen. Schwierig wird es aber, wenn Therapeuten mehrere MÖGLICHE Diagnosen in den Raum werfen, du dir aber nicht sicher sein kannst, was es nun ist. Ich für mich finde es gut, dass ich Diagnosen an der Hand habe, weiß aber auch, dass vieles davon einfach nur eine Zahl für die Krankenkasse ist. Theoretisch kommen ja noch immer andere Symptome hinzu oder treten gar nicht auf. Die Differenzierung ist nicht so einfach, wie das oft gezeigt wird. Bsp: Wenn dir dein Therapeut sagt: „Das sieht alles nach Borderline bei Ihnen aus“, gehste damit nach Hause, guckst was du in dem Fall für dich tun kannst, liest utopische Sachen, stehst im Umfeld in nem ganz anderen Licht und musst selbst gucken, wie du dich damit arrangierst. Der Name der Diagnose kann ne Hilfe sein, muss aber nicht. Und wir sind (zum Glück) alle unterschiedlich, ich war ja auch froh, dass mir damals einer nen Namen für den Blödmann im Kopf gegeben hat.

      Weiter so .. wird schon irgendwann werden. Eine wundervolle Phrase. Bringt die überhaupt irgendwem was? :)

      1. Hehe … Blödmann im Kopp ist auch gut :D
        Das „Weiter so“ hat mir zumindest einige Jahre geholfen, morgens hochzukommen, mich zur Arbeit zu quälen und irgendwie über den Tag zu kommen. Bis die Arbeit mich so vereinnahmt hat, das mich alles andere nicht mehr interessierte. Um die Notwendigkeit, mich in Therapie zu begeben, wusste ich schon länger. Aber dann war da noch dieses wichtige Meeting übernächste Woche … und das eine Projekt, was unbedingt fertig werden musste … Irgendwann hatten meine Betriebs-Ärztin und -Psychologin mich so weit, das ich mich mit dem Gedanken näher befasste. Und ein freund hat mir dann den letzten „Schubs“ gegeben. Also wirklich hilfreich ist das nicht ….
        Was Diagnosen angeht … Ich bin mit den klinischen Diagnosen „Schwere Depression, rezidivierend“, „Generalisierte Angststörung“ und „Sozialer Rückzug“ zu meiner Therapeutin gekommen. Sie war der Ansicht, das da möglicherweise noch mehr / was anderes hinter stecken könnte – aber die tatsächliche Diagnose muss ein Neurologe bzw. Psychiater machen.
        Das dumme bei der Psyche ist ja: Es ist ein klein wenig komplizierter, als sich ´nen halben Liter Rote Sosse abzapfen zu lassen und ne Woche auf die Testergebnisse zu warten :)

        1. Ein Zitat: „Ey, ich hab’n Clown im Kopp, der mir ständig zwischen die Synapsen scheisst!“ … aus ‚Vincent will Meer‘. Da geht es zwar um Tourette, aber mich hat die Heiterkeit beeindruckt, wie er damit umgeht. Lässt sich – bei mir zumindest – super umsetzen. Seh ich mich nicht so eng und begrüße doofe Gedanken o.ä. eher mit Humor, falle ich nicht so tief oder kann es direkt abwenden. Dran geglaubt hab ich aber erst nicht. Ich hab mich irgendwie gegen alles gesperrt. Ne Zeit lang habe ich meine suizidalen Gedanken auch als „Freund“ bezeichnet, hat hier auch nen eigenen Artikel (http://verbockt.com/2013/05/mein-freund-und-ich), das hat mir auch schon geholfen. Mittlerweile sind sie ganz weg, weil ich mehr Entspannung gefunden habe und bei jedem Aufkeimen von Gedanken direkt geklatscht und mir „Na, Arschloch, willste wieder spielen?“ gesagt hab. Durchhalteparolen hab ich nie akzeptiert, eigentlich nur noch allergisch darauf reagiert und direkt rumgemotzt. :(

  3. Hallo du Bock ;-)))

    aaaalso…

    Ich möchte ein Halligallischwubbelbubbel hinzufügen: Schau dir mal bitte den Begriff der Überstimulation bei Hochsensibilität genauer an… Das könnte für dich sehr interessant sein.
    Viele beschreiben es auch als ein Gefühl, man hätte Nebel im Kopf und könne nicht mehr richtig denken, man ist in sich drinnen und die Außenwelt ist irgendwie abgeschottet…
    Oder man befindet sich in einer Art Käseglocke. Das ist eine Art Schutzmechanismus des Körpers, um sich von weiteren Außenreizen abzuschotten und die Reize, die man vorher empfangen hat, erstmal zu verarbeiten.

    Hermann Hesse hat genau dazu ein Gedicht geschrieben – „Im Nebel“. Lese zuerst das Gedicht und dann lese das Wort Nebel mal rückwärts – ein schönes Wortspiel :-)

    http://www.hhesse.de/gedichte.php?load=imnebel

    Und dann noch ein „Nischengedicht“ von Hesse – „Kennst du das auch“:
    http://www.deutschelyrik.de/index.php/kennst-du-das-auch.html

    Ganz liebe Grüße,
    Julia

  4. Guten Morgen!
    Ich bin auf Deinem wunderbaren Blog gelandet und muss hier kurz kommentieren, dass ich Deinen Blog auch wiederfinde.
    Ich blogge zur Zeit sehr sporadisch, da ich oft nichts zu sagen habe und weil die Bloggerwelt oft so ruhig ist. Das liegt sicher auch an meinem Thema und dem Schicksal in meiner Familie.
    Aber Hurra, es gibt ja doch mehr Menschen als ich dachte, die über Depressionen schreiben.

    So in der Art lauten alle meine Diagnosen, aber sie passen oft nicht. Und es liegt vielleicht auch daran, was ich preisgebe. Meine Therapeuten (so viele waren es jetzt nicht) waren stets sehr bemüht. Ich nehme mit, was mir gut tut. So auch Deine Zeilen hier. Ich habe schon einiges hier gelesen. Liebe Grüße Kaddi

  5. Einen Teil der Symptome kenne ich von einer (jahrelang unerkannten) Schilddrüsenunterfunktion i. V. m. einer Autoimmunerkrankung (Hashimoto) sowie gesondert davon: Eisenmangel. … Ist sehr ähnlich wie eine Depression bzw. kann eine auslösen.

    Das ist aber nicht despektierlich gemeint gegenüber denen, die Depressionen aus anderen Gründen entwickelt haben/bekommen haben und quasi eine der „klassischen“ Depressionen haben.

    Dann gibt es auch noch die Anhedonie bei einem ausgeprägteren schizoiden Persönlichkeitsstil oder der Persönlichkeitsstörung. Weil die Gefühlswelt etwas zu stark und weitgehend abgespalten ist dann, mal sehr vereinfacht gesagt.

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