Deine Macht. Meine Macht.

Da sitze ich also wieder mit meinen Zielen, Wünschen und Vorstellungen. Alle nicht mehr greifbar. Alle sind eher demotivierend, als das ich damit was anfangen kann. Jahrelang gehst du einen Weg, jahrelang programmierst du deine Denke um, jahrelang setzt du dich all dem Scheiß aus, suchst Veränderungen, schaffst neue Rahmen, bist auf deinem Weg. Und dann? Verlaufen! Mal wieder. Wie so oft. Wie mich das ankotzt. Ein Gedanke. Eine Aussage. Eine verfluchte Erwartung an mich, die wie ein Blitz einschlägt und mich vom richtigen Weg trennt. Alles für den Arsch. Da sitze ich also wieder vor dem Haufen Mist, muss erklären was mit mir los ist – oder ich verstecke mich im Alltagskram, setze das Sonntagslächeln auf und halte es aus. Aber? Ich bin auch unaufmerksam. Wie immer. Und nun?

Und nun? Vergesse ich wieder irgendwas. Mache nicht alles. Kümmere mich nicht richtig – nur das Nötigste. Genau das ist wieder das Problem. Der Gedankenkreislauf freut sich schon. „War ja klar und nur ne Frage der Zeit. Als wenn DU alles im Griff behalten würdest. Gerade DU!“ Ich hab nicht alles im Griff. Das habe ich auch nie behauptet – aber andere. Ich sage nur, dass ich Verantwortung übernehmen kann. Ich werde mich auch nicht von Dingen freireden, die ich in meinem Leben mal gemacht habe. Aber jetzt? Sitze ich hier und hänge in meiner Vergangenheit. Ich mache mich von Aussagen abhängig.

Deine Macht

Deine Macht ist manchmal viel zu groß. Du kannst mich verletzen. Du schaffst es, mich aus der Bahn zu werfen. Du schaffst es, dass ich nicht mehr ich selbst bin, sondern wieder der Teil der Kindheit. Du löst etwas in mir aus, mit dem ich noch nicht umgehen kann. Ich habe das Gefühl, dass du Macht über mich hast, mit der ich nicht umgehen kann. Deine unbedarften Worte und Aussagen treffen mich – auch wenn du es nicht willst. Manche Momente werfen mich in eine Gefühlswelt, die ich nicht mehr haben wollte. Deine Macht? Ist manchmal wirklich viel zu groß, weil ich mich nicht wehren kann, weil ich es falsch sehe, weil ich nicht an mich rankomme. Weil ich mich genau dann als wertlosen Menschen fühle. Du hast auch die Macht, mich zu halten. Oder du schürst meine Ängste. Deine Macht? Zeigt meine Unzulänglichkeiten.

Meine Macht

Ich kann die Wahrheit herausfinden. Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass ich nicht mehr „der Junge von damals“ bin. Ich bin weiter. Ich bin im Heute. Ich habe so viel Macht, dass ich nicht alles glaube, was ich denke. Ich habe die Macht, mich aus Situationen rauszunehmen. Ich habe Macht, an richtige Stellen zu gehen, für mich zu sorgen, auf mich zu achten, für mich einzustehen und Grenzen zu setzen. Manchmal? Bin ich machtlos. Ich ergebe mich in deine Hände, deine Worte und verschwende Kraft. Dennoch: Ich habe Macht. So viel, dass ich mich wieder zu mir bringe. Soweit zu mir, dass ich auch glücklich, stolz und zufrieden sein kann. Meine Macht ist aber auch so groß, dass ich all das wieder mit einem einzigen Gedanken zerstören kann. Meine Macht? Ich stehe zu meinen Unzulänglichkeiten und gebe mir die Zeit für meine Veränderungen.

Keine Macht

Wir haben keine Macht über uns. Meine Gedanken sind meine Gedanken, sie haben keine Macht. Sie sind nur ein Teil von dem, was ich als Verhalten gelernt habe. Sie sind Glaubenssätze, die ich für mich so stark adaptiert hab, dass ich so denken und fühlen muss – aber sie sind nicht mehr so mächtig, dass sie komplett Besitz ergreifen. Du hast keine Macht über mich, weil ich weiß, dass ich dich so akzeptieren kann, auch wenn ich Auslöser habe. Du hast keine Schuld, wenn ich mich getroffen fühle. Es ist eine Erinnerung. Nicht mehr. Es ist eine mahnende Erinnerung, dass da etwas noch nicht ganz verarbeitet ist. Ich werde meine Macht nicht nutzen, um dir daraus Vorwürfe zu machen – ich brauche keine Macht. Ich muss nicht bestimmen, besser sein oder gewinnen. Ich bin nicht stärker oder schwächer. Wer definiert das eigentlich? Stärke und Schwäche?! Also? Lass und einfach machtlos sein und miteinander leben.

Und nun doch …

… der Wunsch nach Macht. Macht über mich selbst. So viel Macht, dass ich nicht mehr „kämpfen“ muss. So viel Macht, dass ich noch besser für mich sorge, noch mehr auf mich achte, noch besser den Fokus stellen kann – und mich nicht mehr in den falschen Glauben ergebe.

Macht – ein wirkungsvolles Mittel und der Wunsch, auf etwas einwirken zu können. Nehmen wir uns die Gedanken an Macht, sind wir oft hilflos und fürchten, die Kontrolle zu verlieren. Vielleicht ist genau der Kontrollverlust der Weg in die Freiheit. Wir brauchen keine Machtspiele. Wir brauchen nur Respekt. Miteinander. Füreinander. Respekt uns selbst gegenüber.

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3 Kommentare

  1. Schön, diesen Gedankenweg zu lesen. Und vor allem den letzten Gedanken. Die Erkenntnis.
    Ja, das wünsche ich mir – als Angehörige, die gar keine Macht über den Anderen haben will.
    Danke.

    1. Hallo Sophie.

      Danke, dass du als Angehörige das gelesen hast. Danke für deinen Kommentar. Ja, das ist wichtig zu sehen, dass Angehörige oder auch Nichtbetroffene keine Macht wollen – auch wenn sich das in den Gedanken so anfühlt, weil sich ein Betroffener verletzt fühlt. Reden ist so unabdingbar wichtig, damit beide Seiten zueinander kommen können und sich nicht weiter entfernen.

  2. Der Text ist senfach genial! Er spiegelt so viel von den inneren und äußeren Konflikten wieder. Und er zeigt auch auf, daß wir oft falschen Idealen hinterher rennen..

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