Nebenwirkungen

Eigentlich dachte ich, ich kann die Packungsanleitung rausholen und nachlesen, welche Nebenwirkungen es gibt. Dummerweise gilt das nur für Medikamente. Ich bin kein Freund von Medikamenten. Ich schaffe es nicht mal, eine Woche Antibiotika zu nehmen. Kopfschmerztabletten, die würde ich gerne mal vergessen. Aber komischerweise habe ich die immer als 2er Notfallpack dabei. Nebenwirkungen bei Medikamenten sind nachlesbar, aber wie oft mache ich das? Ich vertraue dem Arzt, dass es gut werden wird. 

Krankheiten haben zumindest keine Anleitung. Sie kommen, sie sind da, ich muss da durch. Seit fünf Tagen nun mit Durchfall. Ich könnte jetzt darüber sinnieren, in welcher Konsistenz, Farbe und Durchflussrate, aber das wäre ja Scheiße. Ja, ihr guckt jetzt schon sicher angeekelt. Fünf Tage mit Durchfall sind nicht nur Tage, an denen ich krank bin, sondern auch gefangen. Gefangen in der Wohnung. Oder gefangen in dem Rhytmus, Orte so auszusuchen, dass da auch ne Toilette ist. Oder ich in dem Zeitfenster draußen bin, in dem gerade mal nicht irgendwas den Weg ins Freie sucht. Die ganze Scheißerei kostet auch Kraft. Eine Menge Kraft. Ich bin den ganzen Tag müde und abgeschlagen. Irgendwie schaffe ich nichts. Und nichts von dem, was ich gerade gerne machen möchte funktioniert, weil ich krank bin. Oder auf dem Klo gefangen. Und dann kommen die Nebenwirkungen.

Das sind sie also. Diese Tage, an denen nicht nur der Körper arbeitet, sondern auch der Kopf. Alles dreht sich wieder im Kreis. Jede noch so kleine, nicht passende Aussage wird ein Stein am Berg des Gedankenkreislaufs. Ein Stein im sonst endlich mal so gut funktionierenden Getriebe. Ich bin zu müde, um wirklich wach zu sein und den Tag so zu erleben, wie er ist. Abends? Würde ich gerne schlafen. Ich weiß aber auch, dass frühes Schlafen mich morgens früher rausholt. Dann bleib ich halt noch wach. Und wenn ich den Tag sitzend – auf dem Klo, dem Sessel oder dem Sofa – verbringe, schreit alles in mir danach, mich bewegen zu wollen. Gehen, einfach gehen. Laufen funktioniert in der Verfassung ja dummerweise nicht. Ich kann gehen. Ich kann aufstehen. Und ich fühle mich stark genug, nicht zurückzustecken. Wenn da nicht der Körper wäre, der dieses Spiel nicht mitspielt. Toll. Wirklich toll. Also warte ich einfach auf den Abend, sitze im Sessel und durchdenke alles. Es ist keine gute Phase. Ich habe grundsätzlich keine große Lust auf Kontakt zu anderen Menschen. Ich ziehe mich in mir zurück und versuche alles auf ein Minimum zu beschränken. Selbst mein Sohn ist mir in den letzten Tagen zu viel, zu laut, zu nah, zu fordernd, zu wild, zu .. nein, eigentlich ist er das nicht. Ich habe ja das Problem. Ich bin einfach krank und passe nicht so gut auf mich auf. Oder: Die Hilfsmittel funktionieren nicht, weil der Körper lahmt. 

Die Nebenwirkungen

Die größte Nebenwirkung ist das Gefühl der inneren Verwahrlosung. Mir selbst zugestehen zu müssen, krank zu sein und das es jetzt ne Zeit braucht, um wieder auf volle Leistung zu schalten. Körperlich. Und im Kopf. Wenn der Körper schwach wird, bekommt der Kopf die Oberhand und all die nicht ausreichend bearbeitete Scheiße setzt sich erstmal wieder fest. Sicher ist es mein freier Wille, ob ich das alles durchdenken muss. Sicher kann ich entscheiden, ob ich das will. Doch manchmal ist eben die Kraft das zu steuern, nicht greifbar. Dann sitze ich hier, lasse meine Tür eintreten und kriege alles vor die Füße geworfen. Wenn es doch nur eine Sache wäre, die ich dann denke. Nur eine. Oder vielleicht zwei. Alles. Restlos alles, was mich irgendwann mal beschäftigt hat kommt dann wieder hoch. Jeder kleine Ansatz eines Problems. Jedes Gefühl des Versagens. Jedes Ersticken einer Idee, weil ich sie als unzureichend abstemple. Jede Hoffnung, die ich im Keim ersticke. Jeder Plan, der dann einen Zusatz bekommt. Ein Plan, an dem immer mehr „wenn …, dann …“ hängen. Ein Kreislauf nach dem anderen. Immer wieder. Im Stundentakt. Im Minutentakt. Die Gedanken springen, ohne dass ich für einen Gedanken ein Ende finden kann. Die Nebenwirkung sind fatal, wenn ich erstmal so außer Gefecht bin. 

Noch eine Nebenwirkung? In diesen Phasen möchte ich nicht viel Kontakt. Ich möchte einfach nur sein. Es ist schwer, wenn Menschen um mich herum sich Sorgen machen und nicht mehr an mich herankommen, keine Antwort bekommen oder nicht das zurückbekommen, was sie sich wünschen. Das ist eben so. Leider. Für euch. Und auch für mich. Es ist schwer auszuhalten, dass ich fast nichts kann. Es ist schwer auszuhalten, Wünsche nicht zu erfüllen und das schlechte Gewissen ersticken zu müssen. 

Die Medizin

Die Medizin wäre Sport. Die Bewegung fehlt mir gerade immens. Oder zumindest ein angenehmer, langsamer Spaziergang. Die Zeit, um meine Gedanken zu sortieren, mich zu sortieren, Schlachtpläne auszuarbeiten und den immer stärker werdenden Druck loszuwerden. Mir fehlt das Schreiben. Schreiben, um die Gedanken gebündelt an einen Ort zu packen und dann zu verbannen. Dabei brauchen die Gedanken nicht mal eine Lösung, sie brauchen nur Platz – ohne, dass jemand dazu etwas sagt, besser weiß, kommentiert, bewertet oder machen möchte. Was ich brauche ist Ruhe. Ruhe vor all den Dingen, die mich dann so mürbe machen. Das ist die Medizin. Ruhe und die Gelassenheit wiederfinden. Den roten Faden, den ich da mal kurzfristig losgelassen habe. 

Medizin sind auch sicher die Tabletten, die ich bekomme habe. „Nehmen Sie 2 Stück nach dem nächsten Gang zum Klo. Ist es dann nicht besser, dann nochmal eine beim nächsten Gang. Und dann noch eine. Aber höchstens 6 Stück am Tag.“ Gut, das kann ich mir merken, das bekomme ich hin. Nach 4 Tabletten hat der Arsch endlich Ruhe gegeben. Es ist nicht hilfreich zu glauben, dann direkt wieder vollwertig Abendbrot zu essen. Aufgeblähter Bauch, Völlegefühl, Unwohlsein. Und der innige Wunsch, doch jetzt nochmal richtig aufs Klo zu können. Aber halt, ich habe  ja die Pillen genommen, die meine Darmtätigkeit hemmen. Geil, Markus! (Notiz am Rand: Auch das kann man durchaus komplett durchdenken.) Die Quittung gabs am nächsten Morgen. 

Die Tabletten wollte ich nicht weiter haben. Ich brauche also meine Medizin. Die Ruhe. Ruhe bekommen heißt zumindest nicht, dass irgendwer wieder mal besser weiß, was ich zu tun habe. Oder mir Tipps an den Kopf knallt, was ich denn gegen Durchfall machen soll. Ich habe zumindest gelernt, dass ich nicht ironisch schreiben darf, das wird ernst genommen. ABER! Ich wünsche mir ja eh schon immer mehr das Zuhören. Heute habe ich mich gefragt, warum es nicht möglich ist, vor einem ungefragten Tipp, einfach erstmal zu fragen, was der Gegenüber schon gemacht hat, damit es ihm besser geht. 

Sicher ist ein Tipp vielleicht auch eine Sorge, aber bitte, ehrlich, was ist an der Frage so schlimm? Wenn ich darauf eine Antwort habe, dann kann ich doch gezielter was sagen. Warum muss ich denn bei irgendwelchen Aussagen mit meinen superwundervollen Hausmitteln glänzen? Ich frage doch auch von mir aus um Rat, wenn ich einen brauche. Knallt den Leuten doch bitte nicht einfach was vor den Latz – ob sie es hören wollen, oder auch nicht. Auch das ist Medizin. Vernünftige Kommunikation. Natürlich kann ich auch die andere Sichtweise einnehmen. Dann bin ich aber – für mich – immer noch in der Frageform. „Kann ich was für dich tun? Können wir etwas tun, damit es besser wird? Hast du schon was probiert, damit es besser wird?“ Eigentlich einfach. Und eine wertschätzende Medizin. 

Gesund werde ich allein! 

Ja, es ist schön, wenn sich jemand sorgt. Aber gesund werde ich sicher nur allein. Durchfall kann mir keiner abnehmen. Den Arsch muss mir auch keiner abwischen. Wasser kann ich alleine trinken und auch alles andere bekomme ich hin – solange noch zwei Füße an meinen Beinen sind. Und der Kopf? Funktioniert genauso. Wenn der Körper wieder möchte und Bewegung in meinen Tag kommt, kann ich auch den Kopf strukturieren und hänge nicht mehr in mir selbst fest. Das ist das ganze Geheimnis. Schwere Phasen auszuhalten und zu wissen, was mir wann hilft. Trotzdem bedingt manchmal eines das andere. Selbst wenn ich es wollte – einfach nur wollen – ist die Änderung nicht so schnell. Zeit. Alles braucht seine Zeit. Und alles hat seine Zeit. Trotz Unterstützung funktioniert die Verbesserung nur allein. 

Ich werde gesund. Ich habe den Kopf im Griff. Ich stehe wieder auf. Immer wieder. 

Auch interessant ...

Ein Kommentar

  1. Krank sein ist einfach schxx. Egal um was es geht. Ich hatte im Januar eine komplizierte Fuss OP. Mit Komplikationen dazu. Das war schon schlimm genug. Dann cortison mit tollen Nebenwirkungen, wenn man eh schon depressiv ist. 12 Wochen kein Auto fahren. 12 Wochen abhängig und wegen der Komplikationen kein Sport seit Januar. Da helfen keine Tipps. Da hilft zuhören und keine dummen Kommentare. Ich will ernst genommen werden. Vor allem von Ärzten und ich will die Kontrolle zurück. Nicht durch putzen oder Medikamente oder andere ungesunde Dinge. Kranksein ist schxx. Lg Tanja

Schreibe einen Kommentar zu Suomitany Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert