Sport, du Drecksau!

Da ist sie wieder, diese Demotivation. Es macht keinen Sinn, dieses „Weitermachen“. Für diesen Moment. Warum mache ich das eigentlich? Ach ja, stimmt: „Sport hilft gegen Depressionen, bla bla. Du schaffst dir neue Strukturen, bla bla. Du kannst was für deinen Selbstwert machen, bla bla. Du findest einen ganz anderen Weg zu dir, bla bla. Und die sozialen Kontakte erst, bla bla.“ Niemand sagt dir vorher, wie frustrierend es sein kann, wenn an manchen Tagen einfach mal nichts funktioniert. Nichts. Niemand sagt dir, wie schwer es ist, sich selbst immer wieder zu motivieren. Warum strenge ich mich eigentlich an? Warum gebe ich stelle ich mich schon wieder den zweifelnden Gedanken? Ich könnte es doch direkt lassen. Klappt doch eh nicht. Oder?

Nun ja. Irgendwas klappt schon. Zumindest hat die große Fresse funktioniert. „Ich zieh das jetzt durch. Ich fange mit dem Laufen an. Es geht mir nicht ums Abnehmen, ich möchte einfach wieder fit und sportlich sein.“ Das war ich wohl mal. Damals. Als Kind. Gott, das waren Zeiten! Volksradfahren, Fußball, Schwimmen. Und nie das blöde Gefühl, mich für irgendwas zu schämen. Ich war nicht der Beste, ich war auch nicht der Schnellste und ich war immer jemand, der sich vor dem Laufen gedrückt hat. Aber ich war ehrgeizig. Immer wieder. Im Sport hat das zumindest gut funktioniert. Und jetzt? Sitze ich hier. Demotiviert. Weil es mir oft noch peinlich ist, draußen zu laufen. Nein, ich schaffe noch keinen Kilometer am Stück. Nein, ich laufe keine guten Zeiten. Ich bin unzufrieden. Es gibt sogar Tage, da fehlt mir die Luft und die Kraft. Ja, ich bin dick. Die Wahrheit ist nun mal: BMI 34,6 = Adipositas. Übergewicht, das der Gesundheit schaden kann. Ein noch viel schöneres Wort: Fettleibigkeit! Die ganzen Komplimente, dass es doch nicht so schlimm ist, schmeicheln mir sehr, kommen aber nicht an. ICH muss mich nackt sehen. ICH muss diesen Körper bewegen. ICH muss mich jeden Tag damit arrangieren. ICH, niemand anders! Und nein, ich fühle mich verdammt nochmal nicht wohl in meiner Haut. Gar nicht. Seit Jahren nicht. Noch nie, seitdem ich so bin. Der Körper und das Ich. Es war schon mal Thema.

Ich versuch es … irgendwie.

Ich bin losgelaufen. Ich mache es noch immer. Ich bin noch nie im Leben richtig gelaufen. Ich weiß nicht, ob das gut ist, wenn ich 5 Kilometer in 40 Minuten schaffe. Ist es das? Als Anfänger? Ich laufe sie ja noch nicht mal durch. Ich muss Intervalle machen, weil ich einfach keine Luft habe. Noch nicht. Vielleicht kommt sie noch. Walken, das geht. Das halt ich durch. Schwimmen. Geht auch irgendwie. Aber auch da weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll. 2.000 Meter in einer Stunde. 80 Bahnen. Wenn ich es denn schaffe, ins Schwimmbad zu gehen. Da ist es wieder, dieses Ding mit dem Körper. Menschen gucken. Ich sehe die Blicke nicht, ich fühle sie. Wenn ich den Weg ins Wasser geschafft habe, habe ich gewonnen. Im Wasser bin ich frei, da bin ich leicht, beweglich, tausche, schwimme, habe Spaß. Auf dem Fahrrad auch. Beim Laufen oder Walken auch. Ich muss nur den Anfang schaffen. Ich versuche es. Immer wieder. Und doch scheitere ich. Besonders an Workouts, die ich zu Hause machen kann. Aus Scham, aus Angst, aus irgendwas.

Die größten Hürden waren doch schon überwunden, oder nicht? Ich habe Verbindlichkeiten geschaffen. Ich habe es öffentlich gemacht. Ich war beim MUT-Lauf 2017 in Berlin, der Anfang dieser Sportodyssee. Ich habe beim Solidaritätslauf 2017 in Hildesheim mitgemacht, das erste Mal mit Intervallen. Ich war beim Sarstedter Adventslauf 2017, meiner Heimatstadt. Und habe das Jahr mit dem Silvesterlauf 2017 in Hasede abgeschlossen. Ich habe trotz der langwierigen Infektion und 6 Wochen Auszeit nicht aufgegeben. Ich bin wieder gelaufen. Und doch ist es unregelmäßig. Ich hab die 5 Kilometer auf der Tartanbahn gemacht, es war die beste Zeit bis jetzt. Es fühlt sich nach Fortschritt an, aber doch mit Haken.

Geduld. Hab Geduld!

„Wenn du schnell werden willst, lauf langsam.“ Hab ich verstanden. Mache ich. Schnell bin ich ja eh nicht. Ich bin auch nicht kontinuierlich. Ich bin irgendwas. Ich freu mich über die kleinen Erfolge. Ich freue mich, dass es überhaupt so gut geht mit all den sportlichen Sachen. Und doch keimt der Anspruch auf, etwas mehr zu schaffen. Es klappt nicht, ich knicke ein, lasse ein geplantes Training ausfallen, breche nach 800 Metern ab und fühle mich müde. Geduld muss ich auch mit mir haben, wenn es ums Essen geht. Ich bekomme es nicht umgestellt. Ich schaffe es nicht, bewusster zu essen. Oder regelmäßig. Oder irgendwas. Wie mit vielen Dingen fange ich es an, halte es aber nicht durch. Wo ist denn bitte mein Durchhaltevermögen? Weg. Wieder mal. Es ist so zermürbend. Und wenn ich es doch nochmal probiere? Wie lange dauert es dann? Wie viel Raum habe ich für all meine Vorhaben? Wie gut kann ich es umsetzen? Wieso bin ich damit nicht so geduldig, wie ich es mit anderen Sachen geworden bin? Warum kann ich mich da nicht so intensiv für einsetzen, wie ich es mit anderen Sachen gemacht habe? Warum schaffe ich es nicht, die Festplatte im Kopf mit dem Programm neu aufzuspielen? Mir fehlt die Kraft. Kraft, mich irgendwelchen schlechten Gefühlen zu widersetzen. Zu fest sitzen die Rituale und Tagesabläufe.

Motivation

Eigentlich weiß ich auch gerade schon nicht mehr, warum ich diesen Beitrag schreibe. Will ich euch zeigen, wie schwer mir manches fällt? Brauche ich Bestätigung? Will ich was klarstellen? Ich könnte das Browserfenster auch schulternzuckend schließen. „Änderungen verwerfen.“ Darf ich darauf wirklich stolz sein? Es ist doch „nichts“. Doch. Irgendwie ist es schon was. Ich habe tolle Erfahrungen gemacht. Die Frage, die mich am meisten belastet hat: „Was denken die anderen Läufer, wenn sie dich da sehen und du als Schnecke in Intervallen loszuckelst.“ Nichts denken sie. Oder doch. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass gerade die besten Läufer sehr interessiert sind, applaudieren und gute Worte haben. Es ist ein schönes Gefühl, wenn dir Menschen Respekt entgegenbringen, wenn du dich selbst nicht wohlfühlen kannst. Bei jedem Lauf. Ich muss mich also nicht schlecht fühlen. Ich werde nicht für das verurteilt, was ich mache und wer ich bin – auch wenn ich mich immer der Gefahr ausgesetzt habe, dass mich Menschen bei den Läufen persönlich kennen.

Ich habe meine runtastic Daten öffentlich und teile die auch. In den meisten Fällen. Nicht, um damit anzugeben. Auch damit stelle ich mich einfach wieder der Öffentlichkeit. Ich versuche mich selbst damit zu motivieren. Und ja, ich freue mich auch, wenn ihr mich mitmotivieren könnt. Das macht es mir etwas einfacher, die Lauf-, Rad- oder Schwimmsachen anzuziehen und rauszugehen. Wetter spielt für mich normal keine Rolle, außer ich brauche mal ne blöde Ausrede. Falls ihr also in Zukunft mehr davon sehen solltet, überlest es. Oder helft mir, bitte. Ich kann das nicht immer alleine. Auch nicht dieses Ding mit dem Stolz. Viel zu oft kann ich das eben noch nicht sein, weil viele auferlegte Glaubenssätze und erlernte Mechanismen alles blockieren.

Sport, du Drecksau?

Nein, Sport ist keine Drecksau. Ich weiß, wie wichtig die Bewegung ist. Nicht umsonst habe ich Sport gegen Depressionen e.V. mit ins Leben gerufen und setze mich dafür ein. Ich nutze es doch selbst, um den gedanklichen Druck zu regulieren. Ich schaffe es manchmal, mir meine Strukturen zu erhalten, nicht immer, aber es geht voran. Ich werde achtsamer und schinde mich nicht mehr so. Ich versuche, auf meinen Körper zu hören. Ich habe gelernt, nicht immer alles geben zu müssen. Denn seit der Tagesklinik ist klar: Kein falscher Ehrgeiz. Ich lerne trotzdem meine Grenzen kennen, kann diese einordnen und mich auch mal herausfordern. Einfach der Situation stellen und machen.

Am Ende bleiben doch noch ein paar Fragen über: Wann schaffe ich die Kontinuität? Wann schaffe ich es, mich wirklich wohl dabei zu fühlen? Wann macht Sport richtig Spaß? Werde ich wieder früher aufgeben, als ich eigentlich will? Oder halte ich endlich mal richtig durch?

Heute? Passiert nichts. Heute ist kein guter Tag. Heute ist die Psyche so schwer, dass der Körper gelähmt ist. Ich bleibe hier und bewege mich nicht. Nicht sportlich.

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12 Kommentare

  1. Gruselig.. gerade noch gedacht ‚Ob der Herr Bock wieder etwas geschrieben hat?‘… BÄM. Da ist der Beitrag.
    Und verrückt. Ich erkenne mich darin wieder. Einerseits beruhigt es mich, zu wissen, mit diesen GedankenMARATHON nicht allein dazustehen; andererseits traurig, dass unsere Köpfe offenbar soviel Energie für schwere Gänge aufbringen können und es wie ein SelbstLÄUFER erscheint, sich mit viel Motivation zu demotivieren. Diese Tage sind schwer. Und es ist gut dass du darüber schreibst. So hilft es vielleicht, die Gewichte nicht ganz allein tragen zu müssen.. wenn auch nur im übertragenen Sinne.
    Machst du den Sport lieber für dich allein?

    1. Im Moment ja, weil ich keinen im Umfeld habe, der das in meiner Geschwindigkeit macht. Oder ich diejenigen nicht nötigen will auf mich Rücksicht zu nehmen. Ist aber auch ok so. Wenn ich angefangen habe, geht es eigentlich.

  2. Es ist toll, wie aufmerksam du dir gegenüber bist. Und gleichzeitig finde ich das, was du schilderst sehr gesund und normal. Körper will faul sein und Fettreserven ansetzen. Von Natur aus logisch, weil es in der Steinzeit die Bewegung und die Hungersnöte gratis gab. Ich kenne den auch sehr gut, den inneren Schweinehund, oh ja! Es ist besser geworden mit der richtigen Sportart. Nicht mehr auspowern wie früher, sondern irgendwie sanfter. Walken und spazieren gehen reicht doch auch. Wer hat gesagt, dass es anstrengend sein muss? Muss man leiden, um abzunehmen? Da habe ich auch lange mit gekämpft, aber das ist bullshit im Kopf… es wird. Danke für deine Offenheit!

    1. War es nicht andersrum? Ist der Mensch nicht zur Bewegung gemacht und wir leben heute einfach im Schlaraffenland der Einfachheit und Möglichkeiten? Ist ja auch Hupe.

      Wichtig ist: Finde eine Bewegung, die zu dir passt. Ich mag es ja, mich zu quälen und Herauszufordern. Ich muss nicht immer bewusst Sport machen. Das Leid beim Abnehmen sitzt bei mir eher in der Ernährung, als in der Bewegung. Ich schaffe es eben nicht, mehr zu verbrauchen, als ich benötige. Und dann noch unregelmäßige Mahlzeiten. Das fordert mich ungemein.

  3. Ich walke zurzeit nur, weil die Psyche zu schwer zum Laufen war. Du hast das gut beschrieben. Nun wurde ich am Fuss operiert und alles ist schwer. Nix geht mehr. Und du, halte durch.

    1. Mit Walken habe ich angefangen, aber das Gefühl gehabt, mehr zu können und zu wollen. Der Fuß? Steht mir vielleicht noch bevor. Ich halte durch, irgendwie. Und du? Verliere es nicht aus den Augen.

  4. Ich kann jedes Wort so nachempfinden … danke. Dies zu lesen bedeutet mir viel, da ich nicht allein mit meinem Schweinehund, der Strukturlosigkeit und dem ewigen Selbstzweifel bin. Klar ist mein BMI kleiner, aber das Gedankenkarussell nicht weniger.
    Ich würde mich auf ein lockeres Sommerlaufdate freuen …

  5. Passt, passt total. Nein, nicht immer. Aber oft. Grad gestern über Sport gebloggt – und ein wenig über meinen Schweinehund.
    Ich brauche Andere. Kann nicht alleine sporteln – weil ich es haargenau 3 Mal schaffe. Und dann genau das denke, was oben steht.
    Jetzt habe ich ein Ziel – nicht für mich allein, sondern im Team. Und wir ziehen uns gegenseitig. Es ist ansich kaum ein Spaß bringender Sport im Studio. Aber nebeneinander radeln, nebeneinander im Kurs – geht es besser. Und auch wenn ich nicht hoch komm, meldet sich einer und reicht mir seine Hand.
    Und ich bin im Kontakt. Mal mit der engeren Freundin, mal mit der entfernteren, die mich schon viele viele Jahre kennen mit viel Drum und Dran. Das ist glaub ich ein ganz guter Weg.
    Viel Sportkraft DIr!

    1. Ich finds gut, dass du dir Verbündete genommen hast. Ist hier für mich nicht so einfach. Es spornt mich nicht immer an, weil ich mein eigenes Tempo mache. Und lieber alleine unterwegs bin. Oder beschissene Zeiten haben, weil ich ja noch ein paar andere Dinge mehr am Tag mache. Oder es im Dunkeln mache, damit ich nicht gesehen werde. Aber es wird. Hoffentlich.

  6. Stellenweise hatte ich beim lesen des Textes den Eindruck das ich da einen Schwall aus meinen bisherigen Leben als quasi Spiegelbild sehe, nur das ich der Beobachter bin dabei. Vor allem die Sachen mit den Beschreibungen bezüglich der Motivation und Selbstwertgefühl sowie Reflektion kenne ich noch gut aus meinen Anfangszeiten was die sportliche Betätigung angeht.

    Was denkt ein erfahrener Sportler wenn da jemand vorbei wackelt der noch nicht so lange dabei ist? Ich denke meistens nur, das es schön zu sehen ist dass ein weiterer Mensch den Entschluss gefasst hat was für sich zu machen. Zudem erinnert mich solch ein Anblick auch meine eigenen Anfänge, was die eigene Bodenständigkeit weiter kultiviert. ?

    Mach weiter mit dem was du tust, am besten in einem Maße das dir gut bekommt sowie sich gut mit deinem Tages/Wochen Ablauf verträgt. Wichtig ist dabei nur zu wissen das du dass was du machst für dich machst und nicht um irgendjemanden damit zu beeindrucken. Zumindest hat mir dieser Gedankengang geholfen, als mir selbiger mal so mitgeteilt wurde. ?

  7. Sehr guter Artikel. Du hast sehr treffend beschrieben, wie der innere Schweinehund die Motivation sabotiert. Ich glaube, dass es fast jeden so geht, der nach langer Zeit wieder mit Sport beginnt. Ich selbst gehe 2x in der Woche ins Fitnesscenter und 4x die Woche Walken. Und manchmal ist es echt schwer, weil es mich so gar nicht freut. Aber das Gefühl danach treibt mich doch meistens ein bisschen an. Danke für deine ehrlichen und offenen Worte!

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