… oder anders: das innere Kind! Was ist das? Worum geht es dabei? Nun, das gestrige Ereignis hat mir nochmal kurzfristig in Erinnerung gerufen, wie sehr die Gefühle in der Kindheit geprägt werden. Zum besseren Verständnis ein Zitat: „ Das innere Kind ist Teil unserer Persönlichkeit. Er hat abgespeichert, was wir in der Kindheit erfahren haben. Gute Gefühle und Erlebnisse. Aber auch Negatives: kindliche Ängste, Selbstzweifel, Neid. Genau diese Emotionen sind es, die uns sichtbare Probleme bereiten können. Sie zwicken uns wie eine alte Narbe, wie eine Wunde, die längst verheilt zu sein schien. Dieses innere Kind vergisst nicht, wie allein es sich gefühlt hat, wenn die Eltern zu oft fort waren. Wie klein es sich gefühlt hat, wenn der strenge Vater nach Fehlern in den Hausaufgaben suchte, und wie leise es sein musste, wenn er die Zeitung las. Wie sehr es sich nach Anerkennung und Wärme gesehnt hat.
Es ist gerade wieder schwierig, hier den geeigneten Einstieg zu finden. Können wir uns nochmal darauf einigen, dass ich einfach anfange zu schreiben und du sortierst dir das selbst ein wenig zurecht? Danke. Am Donnerstag war ich nochmal kurzfristig bei meiner Großmutter, schon mit dem Wissen, dass es ihr nicht so gut geht und der häusliche Pflegedienst sie eigentlich ins Krankenhaus verweisen wollte. Ich hab nach dem Rechten gesehen und sie sollte sich melden, wenn es etwas ist. Gestern hab ich dann um 18.30 Uhr angerufen, keiner ging ran. Kurze Nachfrage bei meinen Eltern und ich war um die Erkenntnis reicher, dass Oma seit kurz nach 15.00 Uhr im Krankenhaus ist, sie aber selbst noch nicht wissen warum, sie nicht geblieben sind, weil das Bein meiner Mutter geschmerzt hat und so weiter. Danach noch diskutieren, wie und ob sie morgen in die Stadt kommen würden, es wäre ja autofreier Sonntag. Mein Vorschlag, sie könnten an Position X parken und 2 (in Worten: ZWEI) Stationen mit der Straßenbahn fahren wurde gekonnt ignoriert.
Welche Möglichkeiten habe ich in der Situation? Richtig, entweder ich flippe aus und werfe ihnen vor, warum ich nicht eher informiert wurde oder bleibe ruhig und besonnen, nehme das Heft in die Hand und kümmere mich um die wichtigen Dinge. Also wie immer besonnen bleiben, das Krankenhaus anrufen, Informationen einholen über den Zustand, die aktuelle Situation erfragen und das weitere Vorgehen sicherstellen. Also war ich es, der dann wusste, dass sie ein akutes Nierenversagen hat, in der nächsten Stunde vorsichtshalber in ein anderes Krankenhaus mit Möglichkeit für eine Dialyse verlegt wird, aber soweit stabil ist. Telefonnummer hinterlassen und vereinbart, dass sie im Notfall anrufen. Kurz danach meine Eltern informieren und dann war der Drops gelutscht. Eigentlich. Das Krankenhaus hat mich dann nochmal kurz angerufen und mich informiert, dass sie verlegt wurde, dass sie stabil ist und sie abwarten, ob eine Dialyse überhaupt sein muss. Hingefahren wäre ich jederzeit und ich wäre auch eher gefahren und geblieben, wenn ich denn informiert wurden wäre. Heute dann der gedankliche Supergau. Meine Mutter ruft mich an und erzählt mir, dass sie angerufen hätte, sie heute aber nicht hinfahren. Ich habe ihr dann verraten, dass der autofreie Sonntag wegen Unwetterwarnung und Dauerregen ausfällt, aber was ist die Antwort? „Wir fahren erst morgen hin. Auch wenn das ausfällt, muss das ja heute nicht sein.“ Gut. Also bleibe ich erstmal weiter ruhig und besonnen.
Warum also nun das innere Kind? Ich wäre gern in der Situation ungehaltener gewesen, hätte ihr sagen wollen, wie beschissen ich das finde, das es mich ankotzt nicht informiert zu werden, aber ich bin es seit je her gewöhnt in jeder Situation die Übersicht zu behalten, die eigene Wut zu unterdrücken und so handlungsfähig zu bleiben. Zu der Zeit, als ich gerne meine Gefühle ausleben wollte, konnte ich es nicht. Im Elternhaus gab es jahrelang ein Alkoholproblem. Das trübt die Wahrnehmung und schränkt beide Elternteile dann auch extrem ein. Die Prioritäten verschieben sich. Und wenn ich als Jugendlicher mich um die Alkoholprobleme meiner Eltern bzw. vordergründig meiner Mutter kümmern muss, weil mein Vater im Garten ist, dann läuft was falsch. Es ist mir ja auch klar gewesen, dass ich dann noch Ärger bekommen würde, wenn ich als Kind zu Hause meine Meinung auf gekränkte Art ans Tageslicht bringe. Wie sollte ich dann also reagieren? Jeder mag da sicher seine eigene Strategie entwickeln, ich wusste mir nicht anders zu helfen.
Sicher mag das heute in meinem Alter eine Stärke sein, wenn ich die Übersicht behalten kann und beruhigend wirke. Aber das ist nach außen. Die Schwäche dabei ist, dass ich die unterdrückten Gefühle der Wut, Trauer, Enttäuschung und Frust nicht auslebe, sie in mir lasse und so die Bindung zu meinen Eltern blockiere. Auch wenn ich heute besonnen auf die Jugend schauen kann und meine Eltern dafür nicht verurteilen möchte, blockiert das die Kommunikation. Ich habe während meiner Therapiezeit angefangen mit ihnen zu sprechen. Das war durchweg positiv für mich, ich konnte als Erwachsener die Perspektive wechseln und sie auch verstehen. Ich habe die ersten Schritte wieder auf sie zugemacht. Auf der anderen Seite durfte ich während der Therapie auch endlich mal all diese Gefühle ausleben. Es tut gut.
Mein kleiner Stolperstein wird nur noch bleiben: Bringe das innere Kind und den Erwachsenen näher zusammen. Lass deinen Gefühlen einen bestimmten Raum. Sei manchmal einfach etwas unvernünftiger und Teile die Gefühle mit – in einem gewissen Rahmen, damit es nicht ausartet. Die Kindheit ist Teil meines Lebens und ich darf sie genauso akzeptieren, wie sie war. Es war ja schließlich nicht alles schlecht. Aber der Kopf vergisst nicht. Er verdrängt vieles über Zeiträume. Es wird Zeit, dass ich mich um das innere Kind kümmere, herausfinde was es braucht und ein Stück erwachsener werden lasse. Und ja, es ist Zeit, dass ich so die Verantwortung für mein Leben trage, denn niemand kann meinem „inneren Kind“ das geben, was es braucht, außer ich mir selbst.
Jeder von uns hat dieses innere Kind, aber nicht jeder nimmt es wahr oder lehnt es ab. Da ich es abgelehnt habe, um mich vor den Gefühlen und Erfahrungen zu schützen, merke ich es jetzt um so mehr wie wichtig es ist, dass ich damit arbeite.