Warten auf die Therapie?

Alles muss am Donnerstag passieren. Diesen Donnerstag. Das Auto hat mal wieder nen Termin in der Werkstatt. Was auch sonst. Nockenwellensensor, Mittel- und Endtopf beim Auspuff, TÜV. Klasse Sache. Vor allem für die Kosten. Das Spiel kenne ich ja schon. Donnerstag. Der Fotograf kommt in den Kindergarten. Der Sohn muss zum Friseur, er soll was charmant Schickes anhaben und hoffentlich nicht mal so griesgrämig wie sein Vater gucken. Denn irgendwie ist das mittlerweile wieder zu meiner liebsten Aufgabe geworden. Donnerstag ist auch der Tag, an dem nicht so viele Termine waren. Eigentlich.

Das Telefon klingelt. „Hallo Herr Bock. Sie sind bei uns noch auf einer Warteliste, ist das noch aktuell?“ Ich stutze. Wahrscheinlich sehr laut. Ich bin nicht oft sprachlos, aber mehr als ein: „Äh … äh … ja“, ist gerade nicht drin. Warteliste. Stimmt, ich war ja zu einem Vorgespräch, um nochmal eine Therapie zu machen, mit der ich die letzten Baustellen bearbeiten kann. Dann kann es ja jetzt losgehen!

Es kann losgehen. Ein Jahr später. Zwölf Monate fast auf den Tag genau später. Ob das noch aktuell ist? Ich weiß es nicht. Ich habe auch kein Gefühl dazu. Freude schon gar nicht. Am 14.11. war ich zum Vorgespräch, habe die Bescheinigung bekommen und wir haben ne Stunde darüber gesprochen, welche Themen es werden, wie die Therapie ablaufen wird und was meine Aufgaben dabei werden. Losgehen kann es jetzt. Was denn? Ich habe jetzt 12 Monate mit den Themen verbracht. Ich habe nicht nur eine Krise erlebt, nein, ich hatte mehrere Tiefpunkte, die ich alleine für mich aufgelöst habe. Ich habe geschrieben, geredet, gedacht, reflektiert, ausgehalten, gekämpft, versucht für mich zu sorgen. Meine Menschen um mich rum haben mich ausgehalten, versucht zu reden, mitgelitten und schweigend ausgehalten. Ich habe die Auslöser für die Krisen immer wieder gesucht und gefunden. Und jetzt? Kann es losgehen. 12 Monate später. Ich weiß nicht genau, ob ich mich freuen soll. Immer, wenn ich genau darüber nachdenke, kommt nur ein zur Kenntnis nehmendes Nicken heraus.

Und welche Richtung darf es sein?

Was soll ich nun da? Die erhoffte tiefenpsychologische Therapie wird es nicht, weil die Praxis das zwar macht, aber der freie Therapeut nur Verhaltenstherapie anbietet. 12 Monate später. Das einzige, was mich daran gerade etwas positiv stimmt ist das Wissen, wie wir die Therapie gestalten wollen. Es wird für mich anders und neu. Ich kann sicher noch ne Menge in mein Repertoire an Handwerkszeug packen, aber wie zielführend ist das? Ich hatte andere Ziele. Wie ich mit all den aufkeimenden Situationen umgehen kann, weiß ich doch. Was noch alles da ist, das will ich wissen. Ich möchte die Konflikte und noch vorhandenen Entwicklungsstörungen sehen, die mich gerade jetzt noch oft behindern. Ja, behindern. Ich stehe mir mit den Konflikten im Weg. Und dann kann ich sie doch nach und nach auflösen. Es fühlt sich an, als spannen wir hier wieder den Esel vor den falschen Karren. Ich ziehe die Karre wieder durch den Dreck, verschwende Zeit, aber wie weit komme ich damit?

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Ich brauche einen Plan. Weil es ja jetzt losgeht. Ich gehe zur Therapie und erzähle dem nächsten Verhaltenstherapeuten, was mir auf der Seele brennt. Nein, welche Baustellen ich habe. Es brennt ja nicht. Da sind ein paar Glutnester, aber die großen Feuer habe ich mittlerweile ja selbst gelöscht. Ich starte also fast auf den Tag 12 Monate später. Am 13.11.2018 der Anruf, ob es noch aktuell ist. Am 14.11.2017 war ich zum Vorgespräch. Am 15.11.2018 gehts los. Dieses zur Kenntnis nehmende Nicken weicht einem Kopfschütteln. Ein Kopfschütteln, das eigentlich nur die Ernüchterung über Gesundheits- und Versorgungssystem zeigt. Ich bin also auch wieder ein Mensch in dieser Maschinerie, die durch Krankenkassen finanziert wird, die von der Politik gestützt, aber nicht ausreichend verändert wird. Dankbar sollte ich sein! Dankbar! Endlich habe ich einen Platz. Ich kann aber gar nicht dankbar sein, weil ich mehr und mehr das Gefühl habe, ich würde jemand anderem einen Platz blockieren, der es viel nötiger hat. Einem, der gerade in dieser Krise ist, die ich durchgestanden habe. Jemandem, der händeringend diese Hilfe braucht und nicht bekommen kann, weil er auf der Warteliste ist. Trotzdem starte ich. Ich habe aber einen Deal mit mir. Ich gucke, ob und inwieweit es mir etwas bringt. Sehe ich kein sinnvolles Ziel, steige ich aus und mache den Platz frei. Damit kann ich leben. Geben wir dem Ganzen eine Chance.

Der Rest? Ist einfach nur traurige Gewissheit. In so vielen Richtungen. Meine eigene Situation zeigt mir hautnah, wie wichtig es ist, mehr Kassenzulassungen für Therapeuten zu schaffen. Der Bedarf ist da. Die Vorgespräch sind gut und wichtig. Es muss eine Unterscheidung in der Schwere gemacht werden – finde ich. Und doch ist das System darauf aus, auch Menschen in eine Reha zu schicken, die da noch gar nichts zu suchen haben. Nur, damit „irgendwas“ gemacht wird. Welchen Sinn hat das? Der Betroffene ist 6 bis 8 Wochen in der Reha, hat jede Woche ein oder maximal zwei Therapiegespräche, kann sich nicht einlassen, weil die Therapeuten durch Krankheit und Urlaub wechseln, kommt nach Hause und ist nicht weiter. Schon gar nicht rehabilitiert. Es ist so mühsam, immer wieder über all diese Missstände zu sprechen. In jedem Bereich. Und eigentlich möchte ich das hier auch gar nicht zum Thema werden lassen – wir alle kennen die Problematik des Systems. Aber auch nur wir alle können daran etwas ändern. Zusammen, an einem Tisch mit dem Gesundheitsausschuss. Es wird Zeit, dass Betroffene mehr in diese Themen eingebunden werden. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Warum starten wir nicht mal da? 

Ein runder Tag

Ich sitze hier nun im Zug, schreibe den Beitrag mit dem Smartphone, weil ich mir nichts Besseres vorstellen kann. Oder der Tag war einfach komisch. Eigentlich wollte ich heute aufs Fahrrad. 50 km sollten es werden. 50 km Wind, Sonne, Berge, Abfahrten, Freiheit. Der erste Lange Ausflug zu einer Lesung, nicht einfach nur nach Hause. Den ganzen Morgen ist das Wetter machbar. Und dann fängt es an zu schütten, als wenn es keinen Morgen gibt – nach 7 km. Ich hab die Chance genutzt, mich untergestellt, zum Fachhändler rein und nach nem Preis für ne Inspektion gefragt. „Äh .. das ist ne Woche alt? Die Tretkurbel ist nicht richtig fest, das Schaltauge verbogen und der Schaltumwerfer schief.“ Geiles Ding. Genau das kann ich auch noch gebrauchen. Freundlicherweise hat er alles gerichtet, nichts berechnet und verrechnet es mit dem ersten CheckUp. Die „Freunde“ aus Berlin bekommen auf jeden Fall ne Mail. Eine freundliche Mail. Aber als Fach- und Vertragshändler ein Fahrrad so dem Kunden zu übergeben ist fahrlässig und freundlich ausgedrückt: beschissen! Ich möchte mir nicht ansatzweise vorstellen, was passiert wäre, wenn ich schon irgendwo in der Pampa gewesen wäre und mir alles um die Ohren geflogen wäre. Eine 5 km lange Abfahrt am Berg mit 55 km/h und dir fliegt die Tretkurbel weg. Da kannste auch am Auto die Radmuttern lösen. Hätte einen ähnlichen Effekt. Also bleibt nur der Zug. Und ich freue mich einfach mal Innen. Wohin auch sonst?

Und mittendrin nun dieser Anruf. Es kann also losgehen. Was nun eigentlich? Ich sitze hier im Zug nach Hause und mache das, was so wichtig ist. Ich frage mich, „was das mit mir macht“ und wofür das alles gut war. Ich gebe mich dem Gedanken hin, warum das alles gerade jetzt mir passiert. Ich löse den Gedanken auf. Ich kann sehen, dass es mit dem Regen passieren musste, damit mir auf der Strecke nichts passiert. Ich habe intuitiv gehandelt und bin zum Händler. Ich habe die Zeit im Zug genutzt, um zu schreiben. Und ich nutze sie ja gerade wieder. Ich finde damit hier meine Lösungen. Außerdem habe ich einen Deal mit mir ausgehandelt und ich konnte entspannt meinen Vortrag machen. Trotzdem schwingt ein bisschen Wehmut mit. Heute hätte das mit dem Fahren starten können. Dafür startet etwas anderes. Heute war ich gezwungen, die Zeit anders mit mir zu verbringen. Ich habe es genutzt.

Es ist 23.23 Uhr. Ein letztes Mal umsteigen. Noch 6 km mit dem Rad. Dann ist es geschafft. Der Tag ist durch und morgen startet ein neuer Tag. Mit neuen Entscheidungen, mit neuen Lösungen, mit anderen Gedanken. 

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