DNF: Did not finish.

Irgendwann bin ich im Leben losgelaufen. Erst bin ich vor mir weggelaufen. Heute laufe ich, um mich zu finden. Alles ist irgendwie ein Lauf. Zwischendurch muss ich gehen. Der Körper bremst mich. Oder das Leben. Did not finish. Oder: Das Rennen nicht beendet. Warum auch immer. Eigentlich trittst du bei einem Wettkampf an, um dein Rennen zu beenden – vielleicht ohne eine bestimmte Zeit zu erzielen, einen bestimmten Platz zu erreichen, nur anzukommen. Und dann machst du genau das nicht. Du musst aussteigen. Ich musste aussteigen. Auch schon so oft in meinem Leben. Losgelaufen mit einer Idee. In mir brennend, all das auch umzusetzen. Dann zwickt es hier, dann drückt es da, dann tut es hier weh oder das kommt dazwischen. DNF. Das Rennen nicht beendet. Am liebsten würde ich alles hinschmeißen und es lassen. Wie oft bin ich schon an den Start gegangen? Wie oft bin ich losgelaufen? Wie oft habe ich schon vor dem Start aufgegeben? Wie oft bin ich nicht angekommen? Ich weiß es nicht mehr. Es ist auch nicht wichtig. Mein Kopf weiß es. Er wird es zur passenden Zeit wieder rausholen und mir gnadenlos vorbeten. Das einzige Rennen, dass ich wirklich sicher beenden werde, ist das Rennen um mein Leben. Es wird enden. Ich werde ins Ziel kommen. Es ist nur die Frage, wie lange ich dafür brauchen werde.

Scheitern. Aber bitte in schön.

Sport. Die mittlerweile stärkste Säule in meinem Fundament. Ich laufe. Ich schwimme. Ich fahre. Ich spüre mich dabei. Ich habe Qualitätszeit mit mir. Ich lerne mich kennen. Ich lerne meine Gedanken zu sortieren. Ich bin bei mir. Nirgendwo anders. Ich stelle mich meinen Ängsten und Zweifeln. Und manchmal, da scheitere ich auch. An mir. An meinem Anspruch. An meiner Forderung an mich. An meiner Einschätzung, was ich leisten kann. Ja, scheitern. Sprecht ihr über das Scheitern? Über die Misserfolge? Ich folge ein paar Menschen, die alles aus ihrem sportlichen Leben teilen. Immer weiter, immer schneller, immer besser, immer irgendwas noch mehr. Keiner scheitert. So sieht es aus. Ich schon. Ich scheitere auch an körperlichen Grenzen.

Am letzten Sonntag auch wieder. Ich habe mir 2018 meinen ersten Triathlon erfüllt. Ich habe 2018 aber auch einen Moment des Scheiterns erlebt. Das sollte dieses Jahr anders werden. Ich hatte einen Trainingsplan. Ich habe einen fast nicht kleinzukriegenden Willen. Ich habe mir vorgestellt, wie ich meinen ersten Halbmarathon laufe – drauf geschissen, wie lange ich brauche (auch wenn ich eine bestimmte Zielzeit vor Augen habe, denn Laufen ist Laufen und nicht Gehen oder Walken).

Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass ich auch einen Körper habe. Einen von der Sorte, der wieder genau dann aus der Reihe tanzt, wenn ich es gar nicht gebrauchen kann. Also, so wirklich gar nicht. Einen von der Sorte, die mir in der entscheidenden Phase der Vorbereitung einen grippalen Infekt vor … nee! … in die Nase zaubert. Ganz klasse. Genau das hatte ich ja letztes Jahr auch schon, als ich starten wollte. Und nun? Risiko eingehen? Weiter trainieren? Folgen ignorieren? Eine geplante Saison gefährden? Trotzdem machen? Weiterlaufen und wieder aufgeben? Geschwindigkeit ist sicher nicht alles im Sport, wenn du nicht da rausgehst und Rennen gewinnen musst. Also? Alle Asprüche auf ein Minimum reduzieren, mit Bedacht machen was geht. Nicht mehr! Trotzdem ist in mir drin Frust. Tiefer, ekliger, anstrengender, schwarzer Frust! Frust, der droht mich aufzufressen, wenn ich nicht aufpasse.

Es ist Sonntag. Es ist Tag des Halbmarathons. Es ist auch der Tag, an dem klar ist, dass ich dieses Rennen nicht beenden werde. Ich bin losgelaufen. Ich bin einfach gestartet. Ich wollte die Athmosphäre in mir aufnehmen, als wäre ich ein Schwamm. Ich habe mir positive Gefühle in den Körper geflößt. Es war mein erster Start bei so einer Veranstaltung. Es war mein erster Start mit Tausenden von anderen Bekloppten, die diese Strecke auch laufen wollten – und gelaufen sind. Das Wetter ist anstrengend. Es ist plötzlich warm und nicht die angenehme Kühle, die es bei den Trainingsläufen war. Trotzdem habe ich mich die ersten 5 km gut gefühlt. Ich war frei. Alle Zweifel waren kurz verschwunden. Und dann kommt Kilometer 6. Mein Körper baut rapide ab, die Beine schwer, die Muskeln machen dicht und beide Oberschenkel zwicken um die Wette. Der Kopf? Schaltet auf Wut. Wut, es nicht zu schaffen. Mit Wut erziele ich die besten Ergebnisse. Schritt für Schritt durch klatschende, singende, feiernde, grillende und anfeuernde Menschen. Schritt für Schritt mit der Frage, wie ich weitermache. Ob ich es zu Ende gehen werde. Gehe ich an die körperliche Grenze?

Nein. Bei Kilometer 11 habe ich das Handtuch geworfen. Nein, anders. Das stimmt ja nicht. Bei Kilometer 11 habe ich für mich eine Antwort auf eine Frage gefunden. Was? Ich bin nicht gescheitert, wenn ich jetzt stehenbleibe. Ich bin für mich heute auch ein Sieger. Ich bekomme zwar keine Medaille, aber ich habe heute gewonnen. Und ich bin ausgestiegen, bevor ich das körperliche Limit erreicht habe. Ich habe nicht verloren. Im Gegenteil. Ich habe an diesem Tag eine Menge mehr gewonnen, als es eine Medaille geschafft hätte. Eine Medaille ist ein Stück Metall, dass mir meine Leistung bestätigt. Die Fragen, die ich mir in der Zeit beantworten konnte, werden mich vielleicht noch viel länger begleiten.

Es ist mutiger, einen Stopp für die Gesundheit zu setzen, auch wenn ich es mit Walken wohl geschafft hätte. Dennoch: Walken ist kein Laufen. Und eine Strecke mit allen Mitteln zu schaffen, ist eben nicht gelaufen. Ich habe auf den Körper gehört und mich nicht mit Zwang durchgesetzt. Ich musste mir nicht beweisen, dass ich es doch kann. Ich habe mir meine Saison nicht verbaut. Ich bin 10 km weiter gelaufen, als noch vor einem Jahr. Vor einem Jahr war ich glücklich, dass ich überhaupt einen Kilometer schaffe. Immerhin fehlten mir jetzt gute 8 Wochen Vorbereitung. Damit auch die langen Läufe. Ich habe keinen Druck, Läufe beenden zu müssen und mich Medaillen zu schmücken – ich darf aber mit mir zufrieden sein. Und das bin ich. Ich hatte einen Traum, auf den ich hingearbeitet habe. Dieser Weg hat sich schon gelohnt. Ich war mutig genug, mich trotz aller Zweifel an den Start zu stellen und loszulaufen. Einfach loslaufen. Ich habe gewonnen. Und damit bin ich vielleicht in den Augen anderer gescheitert, aber in meinen habe ich gewonnen. Ich war Teil eines großen Ganzen, in dem ich einfach sein durfte. Ohne, dass mich jemand bewertet oder argwöhnisch mustert. Das Gefühl so akzeptiert zu werden, ist viel mehr Wert. Einfach ein „Läufer“ zu sein – egal welche Umstände dabei sind.

Ich habe an diesem Wochenende wundervolle Menschen getroffen. Alte Bekannte, gute Freunde, Unterstützer und Mutmacher. Wildfremde Menschen, die einen anfeuern. Keine Distanz zwischen einem guten schnellen Läufer und mir. Ich habe den Respekt getroffen, den wir alle bei diesem Sport haben (sollten). Ich habe gesehen, wie jemand plötzlich ein Ziel hat, wenn man ihm einen Impuls gibt und ich verneige mich vor dem Erreichen. Auch das ist Erfolg genug.

Der Lauf meines Lebens ist noch nicht zu Ende. Nicht an diesem Punkt. Neben all den Erkenntnissen ist der Spaß. Spaß, mich zu bewegen. Spaß, mich herauszufordern. Spaß, auf Ziele hinzuarbeiten. Spaß, mich zu verbessern, mich selbst zu feiern oder auch angepisst zu sein, wenn mal nichts geht. Denn: Ich laufe vor nichts weg. Ich laufe zu mir hin. Und ich laufe, um noch mehr von mir zu finden. Ich habe den Lauf meines Lebens verändert. An sehr vielen Ecken.

Zeit, weiterzugehen!

Ja, der Gedanke ist greifbar. Der Gedanke, dass ich es wieder nicht geschafft habe. Und damit auch die Situation, dass ich mich darin ergeben möchte. Ich würde mich gerne in meinem Selbstmitleid ertränken und mir erzählen, was alles in meinem Leben nicht geklappt hat. All die Ziele, die ich nicht erreicht habe. All die Sachen, die nicht so geklappt haben, wie ich sie mir vorgestellt habe. All die Fehlentscheidungen, die ich getroffen habe. Die Flut an negativen Gefühlen, die mich so sehr gelähmt. Wer bin ich denn schon? Was mache ich schon? Und warum ich das eigentlich? Es ist so greifbar nah, dass alles bis zum Ende zu durchdenken und dann hier zu entscheiden, dass ich nicht mehr weitermache. Mit dem Sport, mit dem Blog, mit dem Leben. Er bleibt aber auch nur greifbar. Es ist noch nicht Zeit, damit aufzuhören.

Das Schöne ist, ich mache es für mich. Es gibt mir ein gutes Gefühl. Und das ist das einzige, was dabei wirklich zählt. Es zählt nur, dass ich dabei für mich etwas gewinne. Es zählt nur, dass es mir mit meinen geschriebenen Worten besser geht – denn ich bin nach wie vor kein Ratgeber. Ich bin nicht der, der jemanden zum Therapeuten schickt, zum Sport schleppt oder konkrete Hilfen an die Hand gibt. Es ist mein Leben, in dem ich mich finden muss und mit dem ich zurechtkommen muss. Und wenn mir das hilft? Dann mache ich das. Dann stelle ich mich auch wieder in einem hautengen Trisuit an den Start, springe ins Wasser, schwimme 500 m, fahre 20 km mit dem Rad und laufe 5 km. Einfach, weil ich Bock drauf habe. Weil ich mehr bin, als ein Mensch mit Depressionen. Weil ich mehr bin, als ein Mensch gefangen in einem viel zu großen Körper. Weil ich mehr bin, als eine nervige Essstörung. Weil ich es mir Wert bin. Weil ich genau dann das Leben spüre. Ich spüre mich. Ich kann steuern, wie intensiv ich mich spüren möchte.


Den größten Erfolg hast du dir selbst damit errungen, dass du losgelaufen bist, nicht am Sonntag, sondern vor einem Jahr. Der Sonntag war eine Momentaufnahme, dass ganze letzte Jahr dagegen ein ehrlicher, harter und erfolgreicher Kraftakt.

Du hast längst gewonnen!

Twitteruser: @19Sascha09

Glückwunsch an alle Finisher bei ihrem Lauf in Hannover, Berlin oder Wien an dem Wochenende. Ihr habt da echt Großes geleistet. Glückwunsch auch an all die, da eine Vernunftsentscheidung getroffen haben und ihr Rennen nicht beendet haben. DNF gilt ja zum Glück nur für diesen einen Start – danach verändert sich der Weg.

Ich trete nicht an, um Rennen zu gewinnen. Ich trete an, um einen Wettkampf mit mir zu gewinnen, in dem ich mir zeige, dass ich mehr bin, als mir eingeredet wurde. Bis jetzt habe ich gewonnen – auch wenn ich vermeintlich gescheitert bin. Deshalb laufe ich weiter. Deshalb schwimme ich weiter. Deshalb fahre ich weiter. Und der einzige, der mir das nehmen kann, das bin ich selbst. Ob ich stolz bin? Ja. Vielleicht wegen allem. Oder gerade trotz allem.

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2 Kommentare

  1. Glückwünsch auch an Dich- auch wenn es nicht so war wie Du es Dir vorgestellt hast. Aber Du warst da und hast gekämpft… hättest auch auf dem Sofa sitzen können: aber Du bist nach Hannover gefahren und hast es soweit durchgezogen wie Dein Körper es zugelassen hat! Ich persönlich verneige mich vor Deiner Leistung- meins ist das nicht…
    Aber Du bist auf dem richtigen Weg- Deinem Weg!

  2. Hallo Markus,
    danke für die Offenheit, mit der du durch deinen Blog deine Kämpfe und inneres Wachstum teilst. Echt stark, tröstend und ermutigend für mich.
    Auch ich bin auf dem Weg, suche und finde Zugehörigkeit und Kraft. Zur Zeit entdecke ich Kraft aus dem Wort Gottes. Ich lese zum Beispiel laut aus Jesaja 49. Teilweise mehrmals täglich. Beziehe die Worte, wo es möglich ist, auf mich. Eine neue, stärkende Erfahrung.
    Alles Gute weiterhin und liebe Grüße.

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