Gefangen – mit mir!

Heute vor 5 Jahren war ich auf Fehmarn. Die Sonne scheint. Starker Wind zieht über den Strand. Kitesurfer sind an jeder Ecke. Heute vor 5 Jahren war ich voller Vorfreude, meinen Geburtstag am Strand verbringen zu können. Das gab es noch nicht. Noch nie. Heute vor 5 Jahren haben aber auch ganz andere Gedanken in meinem Kopf gearbeitet. Heute vor 5 Jahren war klar, dass ich nicht über Nacht dort bleiben werde, weil die Ferienwohnung so schlimm war. Überall dreck, voller Aschenbecher, Kaffeereste, Hundehaare, tote Kleintiere. Es war nicht tragbar. Heute vor 5 Jahren kam sofort wieder der Gedanke hoch, dass ich es nicht verdient habe, eine gute Zeit zu verbringen. Heute vor 5 Jahren war ich noch so sehr in meinen alten Mustern gefangen, dass ich wieder so gehandelt habe, wie ich es nicht hätte tun sollen. Aber ich hatte es so gelernt. Ich konnte nicht anders. Ich wusste mir nicht anders zu helfen.

Mein Zimmer hat gute 10 Quadratmeter. Immerhin habe ich ein kleines Badezimmer, Schreibtisch und Blick in den Kurpark. Was man denn so Kurpark nennen kann. Ein paar geschwungene Wege, die man im Rundkurs laufen kann, vier Bänke zum Sitzen, eine Tischtennisplatte, Rasen, gepflegte Büsche und einen Kickertisch. Ich habe mein Zimmer für mich. Immerhin. Letzte Woche wusste ich schon, dass mich Post erwartet, die mich hier herbringen wird. Und nun bin ich hier. Einen verblichenen Trainingsanzug, der in der hauseigenen Wäscherei vom Schweiß etlicher anderer Menschen gereinigt wurde, den darf ich tragen. Er passt nicht mal richtig. Meine Sachen sind noch in der Kontrolle.

Kontrolle? Ja! Das einzige, was ich gerade wirklich besitze? Sind ein paar Blätter weißes Papier, einen billigen Stift und ein Päckchen Tabak, das mir der nette Mensch eben mit Blättchen überlassen hat. Kein Feuer. Keine Ahnung, wie ich die Zigaretten anbekommen soll. Keine Ahnung, ob ich das wirklich so überstehe, wie ich mir das vorgenommen habe.

Die Tür zu meinem Zimmer ist zu. Die nächsten zwei Stunden auf jeden Fall. Ich habe jede Menge Fragen, aber niemanden der sie mit beantworten kann. Ich bin allein. Und ich werde es die nächsten 5 Monate sein. Zum ersten Mal fühle ich mich erleichtert. Zum ersten Mal fühle ich mich frei, auch wenn alles erdrückend sein sollte. Ich bin auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren. Vor allem aber musste ich die ganze Verantwortung abgeben, die ich vorher nicht tragen konnte. Und auch schon gar nicht tragen wollte. All die vergangenen Jahre gipfelten nun darin, fünf Monate im Knast zu verbringen. Alles nur, weil ich es nicht geschafft habe, mich rechtzeitig um meine Angelegenheiten zu kümmern. Alles nur, weil ich es nicht geschafft habe, vor die Tür zu gehen. Alles nur, weil ich keine Kraft hatte, mich um einen Job oder Einkommen zu kümmern. Alles nur, weil ich das gemacht habe, was ich immer gemacht habe, wenn ich nicht weiter wusste. Ich habe mich versteckt. Ich habe alles versteckt, was damit zu tun. Ich habe alles solange ausgeblendet, bis es keinen Ausweg mehr gab und ich zum Handeln gezwungen war.

Jetzt bin ich hier. Allein. Mit meinen Lieblingssachen in einem kleinen Trolli und einer Sporttasche – die zwar noch immer nicht bei mir sind, aber ich bekomme sie. Einen Block, einen extra gekauften Stift, 20 Briefmarken, Adressen von Freunden und dem festen Willen, jeden Tag einen Brief nach Hause zu schreiben. Entweder zerstört die Zeit mich, die Beziehung oder ich schaffe es, es als Therapiezeit zu sehen. Ich muss mich jetzt mit mir beschäftigen. Ich werde es tun. Jeden Tag. Ich werde jeden Tag aufschreiben, was in meinem Kopf vorgeht, was mich belastet, woher es kommt und werde für all mein Fehlverhalten die Verantwortung übernehmen. Ich habe geschrieben. Jeden Tag.

Ich bin dann weg – 5 Monate.

Ich war keine 5 Monate weg. Es waren 3 1/2 Monate. Ich wusste, dass mich die Post erwartet. Ich wusste, dass ich etwas tun muss. Mein Kopf ist sofort in den „Vermeidungsmodus“ gesprungen und hat nach Lösungen gesucht, wie ich die Haftstrafe verhindern kann. Ich habe Infos über die JVA gesammelt, wie es abläuft und was mich erwartet. Ich habe erfahren, dass ich einen Antrag auf Zweitdrittelstrafe stellen kann. Ich darf nach 2/3 der Zeit nach Hause und bekomme eine Bewährung – klappt es in der Zeit nicht, muss ich eben den Rest absitzen. Andere Möglichkeiten? Gab es nicht. Ich habe Tag und Nacht damit verbracht, mir zu überlegen, wie ich das überstehe. Ich hatte Angst. Ich war hoffnungslos. Und ich wusste – zumindest dachte ich, dass ich es weiß – dass ich alles verlieren werde. Ich bin am Endpunkt angekommen. Es musste so kommen. Was kann nach dem Knast noch kommen? Nichts. Ich bin Straftäter, ich habe schwere depressive Episoden, es gab zwei Suizidversuche, ich verliere permanent meine Arbeit, ich kann mich nicht um Rechnungen und Einkommen kümmern, die einfachsten Dinge funktionieren nicht. Was soll also noch kommen?

Ich mach da Therapie!

Ich hatte alle Therapien schon. Ambulante Therapie mit 25 Stunden. Noch eine ambulante Therapie mit 50 Stunden. Die 16 Wochen Tagesklinik. Der Weg zum Heilpraktiker für Psychotherapie. Die beiden abgebrochenen Therapien. Und jetzt? Gehe ich da rein und werde mit mir arbeiten. Was habe ich schon zu verlieren? Mein Leben? Wenn es nicht klappt, dann ist danach eben Ende. Ich gehe da rein und werde alles komplett umkrempeln. Mich mit mir beschäftigen, mich meinen Themen stellen und aufräumen.

Rein mit mir. Rein in die Kontrolle. Taschen leeren, ausziehen, alles abgeben. Nichts bleibt. Nackt vor einem Menschen zu stehen, den ich nicht kenne, ist ein absolut schlechtes Gefühl, das den Scham ins unermessliche treibt. Ich fühle mich nicht nur allein, ich fühle mich ausgeliefert. Ich habe ab jetzt keine Chance mehr, groß etwas mitzubestimmen. Ich werde bestimmt. Von den Abläufen, von den Beamten und vielleicht auch von anderen Häftlingen – zeigen ja die vielen Berichte in den Medien. Ich habe Angst vor dem, was gleich alles auf mich zukommt. Ich würde am liebsten heulen wie ein Schlosshund und mich in Embrionalstellung auf den Boden werfen, warten bis das alles vorbei ist und ich vielleicht wieder Glück habe, dass das alles nicht passiert. Die Kleiderkammer. Einer der Orte, an dem ich mich nicht schlecht, sondern wohl gefühlt habe. Menschen, die mit mir reden, die lachen, die freundlich sind und meine Angst sehen. Sie haben geduldig während der Kleiderausgabe all meine Fragen beantwortet.

„Komm erstmal an, du lebst dich schon ein.“

Auf der Station wurde es einsam. Nach der kurzen Einweisung, wie ich mich zu verhalten habe, war ich in meiner Zelle.

Ein kleiner Raum mit Sonne am Nachmittag. Ein Tisch, ein Bett. Und ich. Ich habe mir vorgenommen zu schreiben. Der billige Stift vom Beamten muss erstmal gehen. Blankopapier ist nicht gerade meine Wahl, aber es muss reichen. Und ich habe angefangen zu schreiben.

Gerade jetzt kommt die Erinnerung auf, die mich so oft lächeln lassen hat. Mein Opa  war während des zweiten Weltkrieges in Gefangenschaft. Er hat meiner Oma immer Briefe geschrieben, die so … lassen wir das. Darum geht es hier nicht. Es war für einen Moment ein schönes Bild im Kopf. Dafür bin ich aber nicht hier. Ich will selbst schreiben.

Mein Schreiben hat sich verändert. Von dem anfänglichen Schildern der Situationen, was ich erlebe und ständigen Entschuldigungen für mein Verhalten, bin ich reflektierter geworden. Ich habe angefangen darauf zu schauen, was ich vorher nicht sehen wollte: Warum ich so bin, wie ich bin. Warum ich so reagiere, wie ich reagiere. Ich habe plötzlich zugelassen, dass mir die schmerzenden Momente bewusst werden. Mein Tag wurde strukturierter. Es gab feste Zeiten, in denen die zentimeterdicke Stahltür auf und wieder zu war. Es gab den Freigang im Hof. Es gab Gespräche mit den anderen Häftlingen. Es gab die halbe Stunde, die ich über den Flur gelaufen bin. Je 78 Schritte in eine Richtung. Es gab die Zeiten, in denen ich die Dusche genossen habe. Und es gab die Zeiten, in denen ich mit mir in meiner Zelle gefangen war und nur geschrieben habe.

Nach vier Wochen im geschlossenen Vollzug, durfte ich in den offenen Vollzug wechseln. Was das heißt? Die Tür zu meinem „Zimmer“ ist jetzt auf, nur noch das Gebäude ist abgeschlossen. Ich kann mich den ganzen Tag frei auf dem Gelände bewegen, nur abends wird die Haustür abgeschlossen. Es gibt mehr Besuchszeiten. Ich durfte arbeiten gehen. Nein, ich musste. Hätte ich es nicht getan, hätte ich auch kein Geld bekommen und hätte „Stubenarrest“ bekommen. Arbeiten. Als gelernter Kaufmann und Antihandwerker hatte ich natürlich richtig Spaß daran, an der Stanze zu sitzen, Flaschen zu schleifen, Deckel zusammenbauen oder Feldflaschen auseinander zu bauen. Es war genau das, was ich nicht in meinem Leben wollte, aber ich hatte Spaß.

Ja, ich hatte wirklich Spaß. Auf der einen Seite war es die willkommene Abwechslung zum tristen Sitzen und Schreiben, zum anderen habe ich wieder eine Struktur. Struktur, die ich nicht nur einhalten muss, sondern auch möchte.

Sechs Uhr Lebendkontrolle. Waschen. Kaffee. Anziehen. Um halb acht vor dem Tor treffen, gemeinsam ein paar hundert Meter zum Arbeitsbetrieb gehen – ja, draußen, so richtig draußen, so richtig außerhalb der JVA – bis mittags arbeiten, zurückgehen, essen, ein paar Minuten Pause, wieder treffen, wieder rübergehen, arbeiten und um halb vier zurück in den Feierabend. Es war wichtig, diese Struktur kennenzulernen. Das war genau das, was ich eigentlich durch die Tagesklinik lernen sollte – aber nie umgesetzt bekommen habe. Ich war einfach zu nah an meinen eigenen Brandherden.

Ich hatte auch hier schlechte Tage. Ich hatte Tage, an denen ich das Zuhause vermisst habe. An denen mir Nähe und Wärme gefehlt hat. Tage, an denen ich am liebsten wieder alles aufgegeben hätte. Alles. Auch mich. „Was bringt es denn? Wenn ich rauskomme, schaffe ich es bestimmt nicht, mein Leben so zu ändern, dass es jetzt gut ist.“ Das Schreiben? Habe ich nicht gelassen. Trotz der größeren Freiheit. Aber noch etwas hat sich geändert. Ich wollte nach der Zeit ehrlich bleiben. So offen. Und möglichst immer die Wahrheit sagen. Ja, ich weiß, das geht nicht immer. Wir Menschen brauchen manchmal kleine Notlügen, aber ich gehe nicht mehr dahin zurück, wo ich mal war.

Verantwortung? Gib sie her!

Ich konnte in meinem Leben keine Verantwortung übernehmen. Nicht für Entscheidungen, für andere Menschen und erst Recht nicht für mich! Das war das Fatale in meinem Lebensweg. Ich habe jede Verantwortung abgelehnt. Ich habe entschieden, einen Staplerschein zu machen, in die Logistik zu gehen und einfach irgendwie zu arbeiten. Ich habe entschieden, dass ich nicht zwingend in einem Büro sitzen muss. Ehrlichkeit hieß auch, dass ich mir von der JVA ein Arbeitszeugnis erstellen lasse, dass in jeder Bewerbung mit drin ist. Ich stehe zu der Zeit und zu der Arbeit, die ich dort gemacht habe. Es war wichtig und ein Teil von mir. Immerhin habe ich da auch jeden Monat Lohn bekommen. 92 Euro – neben der Vollverpflegung.

Es hat etwas gedauert, bis ich draußen einen Job gefunden habe, aber eine Zeitarbeitsfirma hat mir eine Stelle in der Logistik angeboten. Für 6 Monate befristet mit knapp 1.000 Euro netto. Das 10fache von dem, was ich im Knast verdient habe. Und nur einen Ort weiter! WIE GEIL IST DAS DENN BITTE?! Ich bekomme Struktur und so viel Geld dafür. Toll! Verantwortung war auch, mich direkt nach der Entlassung bei der Bewährungsstelle zu melden. Das passiert nicht automatisch, das ist meine Aufgabe. Der bin ich am Tag der Entlassung nachgekommen.

Es war gut und richtig, die Betreuung durch einen Bewährungshelfer zu bekommen. 3 Jahre lang. Ich hätte die 5 Monate in einem Rutsch absitzen können und alles wäre erledigt gewesen. 3 1/2 Monate sind wie ein stationärer Aufenthalt und ich konnte es mir damit „schön reden“. Druck von außen zu bekommen, nach der Zeit den richtigen Weg einzuschlagen, hat mir Erleichterung verschafft. Keine Fehler mehr. Immer die Post aufmachen. Termine einhalten. Und so weiter.

Selbstverarschung!

Ich habe mich mit dem neuen Job auch gezwungen umzudenken. Ich habe nicht mehr im Bett entschieden, was es für ein Tag ist. Ich habe mich gezwungen aufzustehen, mich zu waschen, den Kaffee zu trinken und erstmal ganz stumpf mit dem Rad die 2,5 km zur Arbeit zu fahren. Erst da entscheide ich, was es für ein Tag ist. Das oberste Ziel: Ankommen! Um jeden Preis. DORT kann ich entscheiden, wie es mir geht.

Geht es mir schlecht, gehe ich zum Chef rein und melde mich krank. Das kann auch jeder körperlich Kranke so machen. Aufstehen – losfahren – ankommen – entscheiden. In der Regel habe ich meine Arbeitstage durchgestanden. Ich habe sie mir kleiner gedacht. Vom Ankommen bis zum Frühstück. Vom Frühstück bis zum Mittag. Vom Mittag bis zum Feierabend. Und ich habe jederzeit die Chance zum Chef zu gehen und mich abzumelden. Ich müsste nicht mal erläutern warum. „Es geht mir heute nicht gut, ich muss nach Hause“, hätte vollkommen ausgereicht. Wenn ich dann schon draußen bin, dann kann ich danach auch direkt zum Arzt und mir das Attest holen – das hat vorher nie geklappt, weil ich es einfach nicht geschafft habe, die Wohnung zu verlassen, den Bus zu nehmen und anzukommen. Ich habe mich selbst ausgetrickst.

Nein, das war absolut nicht einfach. Ich hatte schwere Tage dabei. Ich habe mich oft hingequält. Ich habe die Tage gehasst. Ich habe die Arbeit gehasst. Ich war voller Sehnsucht nach Stille, Abgeschiedenheit und Ruhe. Mit mir selbst zu sein und mich der Lethargie hingeben, weil „ich doch eh nicht durchhalte“. Und doch bin ich öfter angekommen, als ich es mir vorgestellt habe.

Hört auf zu verurteilen!

Das ist nur ein kleiner Einblick in die Zeit. Es war eine wichtige Zeit. Es war meine wichtigste Zeit. Ich habe mehr über Menschen gelernt, als je zuvor. Und auch wenn das alles so toll klingt, eine Justizvollzugsanstalt ist keine schöne Sache. Es ist keine Spaßveranstaltung und schon gar keine Rehaklinik. Ich habe weinend auf meinem Bett gelegen. Ich hatte Angst. Ich war voller Wut auf alle möglichen Sachen. Ich war oft bereit, einfach aufzugeben. Ich hatte Sehnsucht und Heimweh. Trotz allem gibt es dort eine Menge Menschlichkeit und Unterstützung – von Beamten und Insassen. Auch die Zeit im offenen Vollzug ist kein Zuckerschlecken. Es gibt Regeln und Vorgaben, an die ich mich zu halten habe. Es gibt Sanktionen und Einschränkungen. Während der geschlossene Vollzug „angenehm“ war, war der offene Vollzug eben in einem alten Gebäude, in dem es in den Zellen nur kaltes Wasser zum Waschen gab. Der Koch war beschissen, das Essen oft ne Qual und vieles auch nur durch die Unterstützung von außen zu schaffen. Es gab zwar Freigang und ich konnte mir dabei auch frische Sachen kaufen – Obst, Joghurt, Salatgurke, Frischkäse, Schwarzbrot, aber mit 90 Euro im Monat ist das halt nicht viel.

Diese Zeit hat mich geprägt. Sehr geprägt. Auch wenn ich danach immer noch nach meinem Weg gesucht habe, hat dort „mein anderes Leben“ angefangen. Es ist ein Teil von mir und ich denke nicht mit Groll zurück. Es war wichtig, diese Erfahrungen dort zu machen. Es macht mich nicht zu einem schlechteren Menschen – denn viele haben schon eine Ersatzfreiheitsstrafe abgesessen, ohne dass es ihre Familie, Freunde und Bekannte mitbekommen haben. Es ist kein Spaß in völliger Abhängigkeit zu leben und doch hat es viele Lerneffekte. Auch hier bleibt: Verurteilt einen Menschen nicht, nur weil er in einer JVA war. Fragt einmal mehr nach, warum er dort war. Dann habt ihr die Chance, mehr über ihn und sein Leben zu erfahren.

Ich bin dankbar. Dankbar für die Menschen, die mich auch durch diese Zeit begleitet haben, heute noch da sind und mich nicht verurteilt haben. Das Leben hält Schätze bereit, die vorher nicht denkbar waren.

Ich bin endlich ganz frei.

Seit heute – 28.06.2019 – ist klar, ich bin nicht nur frei, nein, ich bin auch nicht (mehr) vorbestraft. Ja, es wird im Bundeszentralregister noch etwas geführt, aber:

Nach § 53 I BZRG kann sich als unbestraft bezeichnen, wer keine Verurteilung hat, die in das einfache Führungszeugnis einzutragen ist. Ist die Tilgungsfrist also abgelaufen, ist man nicht mehr vorbestraft.

Sicher könnte ich hier jetzt ausführlich über Löschungsfristen sinnieren, oder ich könnte erörtern, welche Eintragungen überhaupt ins Bundeszentralregister kommen. Gerne auch, wer Zugriff darauf hat, aber das ist nicht zielführend. Wichtig ist an diesem Punkt: Keine Eintragungen im Führungszeugnis bedeutet, dass ich nicht vorbestraft bin. Die 5 Monate Freiheitsstrafe würden dort drinstehen. Alles über 3 Monate steht dort normalerweise drin. Auch die Aussetzung zur Bewährung auf 3 Jahre würde dort drinstehen. Tut es nicht. Die 3 1/2 Monate plus 3 Jahre Bewährung sind schon länger vorbei, das steht im Beschluss vom September 2018. Jetzt – heute – oder wann auch immer, ist die Frist zur Löschung im Führungszeugnis auch vorbei. Im Bundeszentralregister wird sicher noch eine Eintragung mit längerer Frist sein, aber die wäre nur relevant, wenn ich eine neue Straftat begehen würde, damit die dann bei einer Verurteilung mit in die Bewertung fließt. Da ich das aber nicht plane oder daran denke, bleibt es irrelevant.

Trotzdem blicke ich gerne auf diese Zeit zurück. Es war die wichtigste und lehrreichste Zeit in meinem Leben. Leben in einer anderen Welt und einen Zugang zu mir finden. Die Zeit bis heute hat es auch gebraucht, um mit vielen Sachen umgehen zu können, die ich dort das erste Mal in Worte gefasst habe. Aber, eine Bitte:

Glaubt nicht, dass es einfach ist dort zu sein. Glaubt nicht, dass sich alles einfach mit nem Knastaufenthalt verändern lässt. Glaubt nicht, dass das ein heilloser Spaß ist, seine Zeit dort zu verbringen. Sorgt vorher für euch, bittet um Hilfe!

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7 Kommentare

  1. Das ist ein so packend und dicht geschriebener Text, er hat mich sehr berührt und gleichzeitig Mut gemacht. Ich danke Dir fürs Teilen. <3

    1. Hallo Ruth,
      danke für deine Worte. Fantasievoll ist das nur nicht. Es ist ein Ausschnitt aus der Zeit von dem, was ich so erlebt habe. Das, was „schön“ klingt, sah so aus. Der Blick in den Hof, der einem Kurpark glich. Es waren halt nur Gitter am Fenster. Ansonsten? Sind das – leider – die Fakten.

    1. Mut .. tja. Es ist ein Teil meines Lebens. Es ist ein wichtiger Teil, der sehr viel bei mir bewirkt hat. Und wenn ich ehrlich sein möchte, dann lasse ich den auch so. Es ist nicht peinlich, schlimm oder verwerflich. Es ist einfach menschlich. Mutiger ist es nicht. Danke dennoch. <3

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