Fragen, die immer mal wieder auftauchen. Fragen, die mich beschäftigen. Habe ich nun alles im Griff? Nein. Ich versuche alles im Griff zu haben. Ich habe vieles im Griff. Doch am Ende haben mich auch die Gedanken noch immer im Griff. Wer spielt hier eigentlich mit wem? Und warum ist es so anstrengend, da endlich einen guten und richtigen Weg zu finden? Ich muss zugeben, dass es mich manchmal sehr ankotzt, mich dauernd damit auseinanderzusetzen. Nach fast 4 Jahren täglicher Arbeit an mir selbst, an meinen Denkmustern, an Auslösern, Akzeptanz, Veränderung, Therapie, Höhen und Tiefen, Strategieentwicklung, Aushalten und vielen Gesprächen, bin ich pappsatt. Der Kopf ist so vollgedröhnt mit Informationen, dass es reicht.
Sicher, mein Leben hat sich durch das alles sehr verändert. Positiv verändert. Und ich bin dankbar für all die Menschen auf dem Weg, von denen ich etwas mitnehmen konnte. Ich freu mich, dass ich so viel erleben durfte. Ich bin glücklich und stolz über meine Chancen und gegangenen Wege. Und doch weiß ich, dass ich noch nicht am Ende bin. Ich schaffe es, viel zu unterbrechen, meine Tagesstruktur einzuhalten, mich um die wichtigen Dinge des Lebens zu kümmern. Dennoch gibt es Phasen – wie gerade jetzt – da ist es extrem schwer. Ich hab die Nase voll, mir Gedanken zu machen, die ich wieder unterbrechen muss. Es kotzt mich an, etwas zu fühlen, was nicht wirklich wahr ist. Ich bin fertig damit, mir Liebe zu geben und auf mich zu achten. Wie auch? Immer wenn ich das tue, kommt irgendwo von außen etwas, was mich wieder zurückwirft, mich klein hält, mich nicht ich sein lässt. Immer wenn ich meine, dass ich jetzt soweit bin, kommt irgendwas – und wenn es nur ein blöder Spruch ist, den ich „wegstecken müsste“. Ich kann vieles weglächeln. Ich kann vieles einfach überspielen. Es ist nur einfach nicht ehrlich.
Ich mag, was ich tue. Ich kann es nur nicht ausleben. „Du bist viel mehr, als du manchmal denkst.“ Und warum verdammt nochmal, kann ich das nicht sehen? Ich merke jetzt Ansätze von dem, was ich sein kann. Und dann schallt sofort ein „Hahahaha“ durch den Kopf. Wie ist das eigentlich so, wenn man einfach lebt? Wie ist das so, wenn man sich selbst mag? Wie ist das denn so, wenn man sich frei fühlen kann? Wie ist das denn, wenn zu sich und seinen Entscheidungen stehen kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen? Fühlt sich das gut an, über manchen Dingen zu stehen? Ist das gut, wenn Liebe und geliebt werden im gleichen Verhältnis sind? Ist das toll, nicht alles nur denken zu müssen, sondern auch sagen zu können, ohne dass einen jemand verurteilt oder es sogar besser weiß? Ich weiß es nicht. Ich würde aber gerne. Ich habe es in der letzten Zeit öfter mal spüren dürfen – bis zu einem gewissen Maß. Dann war das Maß aber wohl voll und es hat mich zurückgerissen.
Wissen ist nicht machen. Machen ist nicht Umsetzen des Wissens. Nur weil ich für viele Dinge das theoretische Wissen habe, setze ich es im Alltag nicht um. Nur zu wissen, wie es funktionieren kann, reicht einfach nicht aus. Ich muss also lernen, wie ich es umsetze, ich muss es probieren, ich muss aber auch darauf achten, nicht direkt aufzugeben, wenn es mal nicht nach meiner Vorstellung läuft. Läuft es nicht, ist es wie ein gestellter Haken und du fällst mal eben böse hin. Aufstehen, Krone richten, weitermachen? Gerne. Einfach wegstecken ist nur nicht. Meistens. Manche Dinge köcheln sich dann hoch, brennen sich am Topf ein und lassen sich nur schwer wieder saubermachen. Am Ende bleiben auch noch Spuren über.
Ist das nicht alles ein wenig egoistisch? Ja! Ja, das ist es. Alles, was ich mache ist ein Stück weit egoistisch. Vor allem ist es egoistisch, dass ich auf mich achte und Grenzen setzen möchte. Ich möchte auf mich schauen, mir Gutes tun, mich um mich kümmern – das habe ich nämlich in meinem Leben fast nie gemacht. Je mehr ich nun aber auch mich achte und mich kümmere, desto einschneidender wird es für andere, weil ich es eben nicht mehr immer rechtmachen kann. Dieser ganze Mist ist verdammt egoistisch. Ich muss die Therapie machen, ich muss auf mich gucken, ich muss aufarbeiten, ich muss damit umgehen, ich muss fühlen und reden, ich muss dies und das und jenes. Und ich darf auch nicht den Blick für Partnerin und andere Menschen verlieren. Dennoch brauch ich den gesunden Egoismus, um mit diesem verdammten Scheiß klarzukommen. Jeden einzelnen, verdammten Tag. JEDEN TAG! Ist es nicht sogar wertvoller, wenn ich von mir und meinen Gefühlen rede, das mit Wahrheit und Ehrlichkeit? Anstatt mich hinter „man“ zu verstecken? Ich bin bei mir. Ich kann nur für mich reden. Ich kann ja nicht für irgendwen anders sprechen, nur für mich. Du sollst, du musst, du hast, du bist … ach, drauf geschissen! Nein! ICH darf, ICH möchte, ICH bin, ich würde gerne, ich habe das Gefühl … so sollte es klingen. So klingt es. So ist es richtig. Die Regeln der Kommunikation gelten auch für mich selbst, weil ich derjenige bin, der sich den ganzen Tag aushalten muss – du kannst mir ja aus dem Weg gehen. Ich muss den ganzen Tag mit mir reden, weil ich mir nicht aus dem Weg gehen kann.
Also rede ich mit mir. Über die Dinge, die so passieren, was von außen kommt, was es mit mir macht (ja, wieder diese Therapeutenscheiße!), wie ich was ändern kann. Und ich zerdenke es, mache es schlecht, mache mich schlecht, lasse mich schlecht machen – während der Kopf das alles nach und nach auch bestätigt. Und so bin ich wieder in einem Tunnel. Immerhin ein beleuchteter Tunnel mit Notausgängen. Für kurze Momente. Momente, die mich spüren lassen, dass der Weg noch nicht vorbei ist – nur lebbarer, intensiver, glücklicher. Meistens. Manchmal ist es ein Machtspiel. Wer gewinnt? Ich oder meine Gedanken? Und ich bin es leid, diese Spiele zu spielen.
6 Kommentare
„Im Griff haben“ vs. „Loslassen“ – vielleicht kann man es einfach nicht alles im Griff haben. Loslassen ist aber schon sehr viel. Manchmal ist es schon gut, wenn man es soweit annehmen kann, dass es nicht dauernd zwickt. Das, was da so arg zwickt. Vielleicht reicht das als Anspruch: Ich möchte meine schmerzlichen Dinge stehen lassen können, ohne dass sie an mir fressen.
Auflösen können sie sich dann bitte von alleine, da muss ich nichts mehr machen. Einfach ist daran nichts. Schon allein, weil es nicht der Weg ist, den man in einer westlichen Welt lernt: Wenn es nicht klappt, härter zupacken. Sondern das Gegenteil. Aber ich glaube, dass es funzt. Oder zumindest positiv sehr unterstützt!
Sehr geehrter Herr Bock,
habe Ihren Artikel über Depressionen gelesen,
soweit ich das verstanden habe, sind das Gemütsschwankungen,
die unterschiedlich auftreten können.
Ich kann mir gut vorstellen, das man da Probleme hat, sein eigenes ICH richtig zu erkennen.
Was ist der Grund / oder Anlass, das man in so eine Lage gerät.
1) Ist man als Mensch labil,
2) ist das Umfeld in dem man lebt negativ, dh. gibt es Dinge, die man nicht versteht oder die anders sind wie ich mir das mir Wünsche.
3) Gibt Schicksalsschläge die man nicht verarbeiten kann, weil diese zu groß sind.
4) Vielleicht schottet man sich auch dann von seiner Umwelt ab.
5)Vielleicht hat man keinen guten Beruf der einen ausfüllt.
da gibt es bestimmt noch mehr zusagen.
Zu meiner Person: ich bin ein sehr positiv denkender Mensch.
ich sage immer das Leben hat Höhen und Tiefen,
aber nur so leben wir bewusst,
nur oben oder nur unten, das wäre schlecht.
Zu diesen Thema, könnte man noch viel sagen.
Was ich noch sagen will, es ist sehr schön auf dieser Welt zu sein,
man sollte die Zeit nutzen, etwas positiven daraus zu machen.
Mit freundlichem Gruß
W. Funke
Hallo Herr Funke,
danke für Ihren Kommentar, auch wenn mir sich die Kernaussage nicht erschließen möchte. Dennoch ein kleiner Einwand: Depressive Episoden KÖNNEN Schwankungen sein. Zumindest ist es in meiner jetzigen Verfassung so. Normalerweise können Sie davon ausgehen, dass es längere Phasen über Wochen, Monate und Jahre sind. Auslöser dafür sind so unterschiedlich wie wir Menschen es sind. Manches klingt gleich, aber eine Depression ist nie gleich und fühlt sich auch für jeden anders an.
Es ist lobenswert, mit welchen Werten Sie Ihr Leben bestreiten, leider lässt sich das für einen depressiven Menschen nicht adaptieren. Affirmationen sind ein Teil, den man benutzen könnte, aber in akuten Phasen kann man nicht „einfach mal positiv“ denken. Im Gegenteil. Der Fokus ist so verrutscht, dass es gar nicht mehr erkennbar ist. Zeit nutzen möchte sicher jeder, funktionert aber auch nicht, wenn jeglicher Antrieb aus dem Leben verschwunden ist und man manchmal nicht mal mehr in der Lage ist, zu duschen, sich die Zähne zu putzen oder ähnliches. Und das macht die Krankheit eben zu dem, was sie ist. Schlimm und anstrengend.
Liebe Grüße!
Zur Frage wie man Depressiv wird: Eine schöne Erklärung finden Sie in Sarah Kuttners Buch „Mängelexemplar“. Sinngemäß: Wenn zu viele Säulen im Leben wegbrechen, kann man depressiv werden (oder, ich ergänze: anderweitig psychisch krank). Säulen im Leben sind meistens: Familie, Beruf, Wohnung, Partnerschaft, Freunde. Kann aber auch anders sein. Mein Eindruck von vielen depressiven Menschen ist, dass man besonders dann gefährdet ist, wenn man in Kindheit/Jugend eine/mehrere dieser Säulen nicht gehabt hat. Dann kann die „akuten Gefahrenlage“ an diesen alten, noch immer in einem steckenden Misstand wunderbar „andocken“.
Ein Symptom akuter Depression ist, nicht mehr auf äußere „Einflussnahme“ auf die Stimmung reagieren zu können. Wenn jmd einen Witz reißt, zieht der nicht, und wenn es der Brüller vor dem Herrn war. Aufmunterungsversuche können nur scheitern, usw. – „etwas Positives draus machen“ – ist dann in etwa so, als würden Sie einem Stein das Fliegen beibringen wollen. Wenn da noch ein Gefühl ist, dann das der kompletten Unmöglichkeit.
Wenn Sie sich das nicht vorstellen können, ist das gar nicht so schlecht. Seien Sie froh drum. :-)
Ich denke, Sie sollten mehr von mir lesen, dann wird Ihnen auch bewusst, inwieweit ich „im Thema“ bin.
Ich finde den Artikel sehr zutreffend. Finde mich in vielen Dingen wieder (auch in anderen Artikeln) und bin froh, dass ich damit nicht allein bin. Das es vielen so geht. Ich kämpfe mittlerweile seit 9 Jahren und hatte ein Ziel…diese sch… Krankheit besiegen. Das Ziel hab ich mittlerweile aufgegeben und neue kleinere Ziele gesetzt. Man kann sie nicht besiegen, man kann nur versuchen damit besser umzugehen und sich seinen Weg mit der Depression zu suchen. Kein Weg wird gleich sein. (Auch wenn das in allen Therapien (so finde ich) dargestellt wird – als ob es die Lösung gäbe.
Wir Depressiven wollen (wie sie sehr gut beschrieben haben) es allen irgendwie Recht machen. Alle wollen gefühlt immer etwas von uns und wir verlieren uns dabei. Mal mehr, mal weniger. Nur für uns selbst haben wir oft keine Zeit oder wollen uns nicht mit uns selbst auseinander setzen, weil es ein nicht endender Kampf ist. Aber uns selbst zu akzeptieren und uns so anzunehmen wie wir sind, das wird eine Lebensaufgabe. Für seine Vergangenheit kann man nichts mehr, aber für seine Zukunft schon. Ich werde weiter kämpfen und hoffe, dass der immer wieder aufkommende Sturm seltener wird und ich nicht den letzten Weg als Lösung gehen muss.
Ich freue mich schon auf weitere Beiträge von Ihnen!