Endlich wieder vereint …

Manchmal geht es schneller, als wir denken – auch wenn es sich ankündigt. Manchmal passieren alle Dinge so, wie sie passieren sollen und müssen. Manchmal gibt es dann keinen Umweg mehr. Manchmal ist dann ein Leben zu Ende. Ein ausgefülltes Leben mit 91 Jahren. Ein Leben mit den Erfahrungen aus dem Krieg, einer über 60jährigen Ehe, mit vielen Reisen rund um die Welt, mit Feiern und einer guten Hausgemeinschaft und das Erleben des Ur-Enkels. Es wurde Zeit für dich. Zeit zu gehen. Nicht alles ist so gelaufen, wie du es dir gewünscht hast. Wir haben es nicht geschafft, als Familie nochmal vernünftig zusammen zu sein. Das war und wird nicht möglich sein. Und doch durftest du noch schöne Momente erleben. Ich bin froh, dass du Weihnachten hier warst. Ich bin froh, dass ich dir nochmal zeigen konnte, wie wir leben. Ich bin glücklich, dass du so viel von deinem Ur-Enkel erleben durftest.

Liebe Omma,

ich schreibe dir heute schon. Heute, einen Tag nachdem du gegangen bist. Vielleicht mein Weg, mit der Trauer umzugehen. Vielleicht der Drang, dir noch etwas zu sagen. Als du angerufen hast, dass du ins Krankenhaus gehst, hatte ich schon ein ungutes Gefühl. Du wolltest da nicht mehr hin. Wenn doch, dann muss etwas Dramatisches sein. Dich zu erreichen, mit dir zu sprechen, war gut und wichtig. Und doch musste ich dich sehen. Es war richtig. Es war wichtig. Genauso wie das offene Gespräch mit dem Arzt. Du hast deine Entscheidung getroffen, die ich jederzeit respektiert habe.

Wie schön muss es erst im Himmel sein, wenn er von außen schon so schön aussieht! [Astrid Lindgren]

Du hast dich entschieden, zu Oppa zu gehen. Du musst nicht mehr weinen. Ihr seid jetzt wieder zusammen. Du hast nie überwunden, dass er eher gegangen ist – auch wenn es gut war für ihn. Für mich stand bei unserem letzten Gespräch außer Frage, wofür du dich entscheiden solltest. Du warst hin- und hergerissen. Auf der einen Seite möchtest du zu ihm, auf der anderen doch noch weiter Zeit mit deinem Ur-Enkel verbringen. Omma, weißt du was? Du hattest eine wundervolle Zeit mit ihm. Er wusste genau, wer du bist. Er wusste, dass ich dich meine, wenn ich „Omma“ und nicht „Oma“ sage. Du hast nicht nur mir in meinem Leben sehr viel gegeben, sondern auch ihm. Du hast akzeptiert, dass er mal nicht so zugänglich war. Du hast mit ihm gespielt, wenn er das wollte. Du bist hier Weihnachten auch das 10. Mal noch aufgestanden, wenn du mitkommen solltest, auch wenn es bei dir eigentlich schon nicht mehr ging. Ich weiß, du hast Jonas geliebt.

Es tut mir leid, dass wir das Familienband nicht wieder zusammenknüpfen konnten, sondern es ganz gerissen ist. Ich weiß, du hast es dir sehr gewünscht, aber es war nicht möglich. Für keinen von uns. Auch jetzt nicht. Vielleicht auch nie wieder. Wieder mal hat mich niemand informiert. Gestern nicht, heute nicht. Und ich werde keine Informationen bekommen. Ärger dich nicht drüber, es ist ok. Ich kann damit umgehen. Ich bin traurig, nicht wütend. Vielleicht läuft gerade alles etwas schwerfälliger, langsamer und manches gar nicht, doch das gehört dazu. Ich weiß, dass ich meinen Moment für den Abschied hatte. Ich bin dankbar, dass wir beide da jederzeit so offen drüber reden konnten. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass du mich nie für eine psychische Erkrankung und dem Umgang damit verurteilt, kritisiert oder abgewertet hast. Du hast mich damit ernst genommen und dich erkundigt, wie es mir geht, wie ich damit umgehe, was ich tue.

Schwer fällt mir, nicht mehr zu dir zu können. In die Wohnung, die ich seit 37 Jahren kenne. Das kleine Zimmer. Die langgezogene Küche. Mein Sitzplatz auf dem Sofa. Der Weg durchs Schlafzimmer auf den Balkon. Der Blick über die Hofeinfahrt aus der zweiten Etage. Der Kampf mit dem Fenster im Badezimmer, dass über der Wanne kaum zu erreichen ist. Das Klimpern deines Schlüssels, das mir so vertraut ist. Vor 1 1/2 Wochen habe ich das letzte Mal bei dir geparkt. Ich werde nicht mehr zu dir können, um Erinnerungen für mich mitzunehmen. Aber: Das wichtigste hast du vorher schon erledigt. Du hast mich gezwungen vorbeizukommen und mit dir durchzuschauen. Das war schwer. Das war hart. Das war wichtig. Danke.

Und jetzt? Seid ihr wieder zusammen. Du und Oppa. Mit euren Freunden aus Texas. Marjorie und Franklin. Auch das bleibt bestehen. Die Erinnerung, wie ich all diese Briefe mit meinem Schulenglisch übersetzt habe. Eure Erzählungen von Amerika. Die Bilder. Alles. Ihr seid wieder zusammen, das zählt. Der Tod ist etwas endliches, und doch bringt er Menschen wieder zusammen. Du bist jetzt wieder mit all denen zusammen, mit denen ihr euch die Zeit geteilt habt, mit denen ihr gefeiert, gelacht und Ausflüge gemacht habt. Du hattest 91 erfüllte Jahre. Ich verneige mich aus vollem Respekt.

Danke für die Zeit, die ich mit euch hatte. Danke für all die Erlebnisse, Geschichten und Werte. Danke für eure Offenheit. Danke für die Gespräche, wie ihr euer Leben erlebt und gemeistert habt. Meine Erinnerungen an euch bleiben.

Gute Reise!

*****

Alles läuft gerade langsamer. Ich fühle mich wie in Watte gepackt. Ich möchte mich noch mehr in Watte packen. Ich möchte isoliert sein. Allein. Nur mit mir. Mit meiner Traurigkeit. Nach 3 harten Wochen nun das. Ich bin mit meiner Kraft am Ende. Es funktioniert fast nichts mehr. Und doch gibt es immer noch ein Tüpfelchen auf dem i. Ich würde gerne wütend sein. Wütend auf ein Krankenhaus, dass keine Einträge ins System macht, mir sagt sie sei verlegt worden, dann entlassen ohne Arztbrief, dann hat doch keiner Ahnung oder kann irgendwas sehen. Sinnlose Telefonate. Zeitfressende Telefonate. Ich kann nicht wütend sein. Sie wurde ohne Arztbrief entlassen. Ich möchte wütend sein auf Eltern, die mich nicht informieren – auch wenn wir keinen Kontakt haben. Grenzen sind da, um mal darüber hinwegzusehen und … ach, lassen wir das. Ich kann nicht wütend sein, selbst wenn das hier wieder ausgedruckt bei ihnen landet. Druckt es aus. Zeigt Ihnen, dass ich Bescheid weiß. Was mich wütend macht? Wahrscheinlich nicht zu erfahren, wann die Trauerfeier und die Beerdigung ist. Vielleicht macht mich auch das gar nicht mal wütend, sondern einfach nur traurig.

Vielleicht wird es etwas ruhiger um mich, weil ich jetzt wieder anfangen muss, für mich zu sorgen. Nutzt die Zeit mit den Menschen, die euch umgeben. Seit achtsam und wachsam. <3

***** Update 01/2019 *****
Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass ich dich gehen lassen musste. Heute ist dein Geburtstag. Der erste, den du wieder mit Oppa feiern kannst. Und doch stimmt hier irgendwas nicht. Ich bin nicht glücklich und zufrieden damit. Es ist jetzt fast ein Jahr her. Und ich merke jetzt, dass ich noch keine Zeit zum Trauern hatte. Ich habe noch nicht losgelassen. Ich habe dich noch nicht verabschiedet. Ich habe noch eine Menge Wut im Bauch. Au das, wie ich dich gehen lassen musste. Nicht auf dich. Wenn du wüsstest, was hier passiert ist, du würdest … ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht spiegelt es einfach nur den Charakter der Menschen, die mich in die Welt geschickt haben. Vielleicht ist das Aufschreiben jetzt der Abschied von der Wut.

Donnerstag. Es ist Donnerstag, als ich aus Heidelberg wiedergekommen bin und deine Nachricht vom Vormittag auf dem Anrufbeantworter habe. Du fährst ins Krankenhaus. Du! Die, die in den Monaten davor immer wieder gesagt hat, dass sie es nicht mehr machen will. Mir ist klar, wie Ernst die Lage sein muss. Ich hab dich angerufen. Auf dem Handy. Es hat gedauert, bis du rangegangen bist und ich habe sofort an der Stimme verstanden, dass die Lage wirklich ernst ist. Ich hab mich angezogen und bin los. Es war 19.40 Uhr. Das war egal. Es war mir verdammt nochmal egal. Ich hatte ein Bauchgefühl. Du warst auf der Intensivstation. Ich hatte keine Angst, was mich erwartet. Mein Gefühl hat mir gesagt, dass ich dich wenigstens noch ein paar Momente begleiten werde. Ich konnte einen Moment mit dir alleine sein. Und du? Warst realistisch. Du hast gesagt, dass es jetzt der Zeitpunkt ist, dass du wieder zu Oppa darfst. Herrgott ja, das hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Ich habe deine Hand gehalten. Und du? Sagst mir, dass du eigentlich noch nicht gehen willst, weil du noch so viel von deinem Urenkel sehen und erleben möchtest. 

Der diensthabende Oberarzt kam rein. Er ist nicht viel älter als ich. Er fragt dich, ob wir offen reden dürfen. Du hast zugestimmt. Und ich? Bin dankbar für die klaren Worte. Über die Chancen. Über deine Möglichkeiten. Über den Stand der Dinge. Danach war klar, dass ich mich verabschieden muss. Du hast ein großes Herz, ein Kämpferherz, aber dafür reicht es nicht mehr. Es tut weh, dich so liegen zu sehen, nichts tun zu können, als dich eben diese paar Momente noch zu begleiten. 

Ich habe beschlossen, den Freitag nicht vorbeizukommen. Damit du Ruhe hast. Dein Körper hat mit Diagnosen genug zu tun. Samstag. Samstag komme ich nochmal vorbei. Ich gehe ins Krankenhaus, fahre mit dem Fahrstuhl zu deiner Station, geh raus – und da stehen sie. Ich bin wieder runter und raus. Ich wollte meinen Eltern nicht begegnen. Es wäre eine Situation gewesen, die ich nicht mehr hätte kontrollieren können. Ich habe vor dem Krankenhaus gewartet, bis sie weg sind. Wie bekloppt ist es eigentlich, nach deren Auto zu gucken und zu warten? Egal. Ich bin zu dir hoch, habe den Kittel angezogen und du hast schlafend im Bett gelegen. Ich war nicht lange da. Nur ein paar Minuten. Ich werde morgen einfach nochmal kurz anrufen und auf der Station fragen, wie es aussieht. Danke, dass du denen die Freigabe gegeben hast, mich zu informieren. Sonntag also. 9 Uhr. Es sieht nicht gut aus, aber du kämpfst. Montag. Ich rufe Montag nochmal an. 

Du wurdest angeblich verlegt. Ohne Entlassungspapiere. Niemand wusste wohin. Ich sollte die Information anrufen, die wissen immer alles. Die Information hat mich auf die Station verwiesen, weil sie im System nichts sehen konnten. Die Station hat mich gebeten, später nochmal anzurufen, weil dann der Oberarzt da ist und was sagen kann, sie würden auch nichts sehen. WAS GLAUBEN DIE DENN, WIE BESCHEUERT ICH BIN?! In deinem Zustand verlegt? Ohne Papiere? Das Bauchgefühl passte nicht, dass es dir gut geht. Das Bauchgefühl hat mir gesagt, dass du jetzt gegangen bist.

Und ja, auch jetzt beim Schreiben kommen mir die Tränen. Weil es so unglaublich ist. Es macht mich so wütend. Ich habe stundenlang versucht herauszufinden, was denn los ist. Bis ich am Ende deine Pflegefirma angerufen habe. Sie wollten mir nichts sagen. Ich solle doch bitte meine Eltern anrufen. Mehr musste ich nicht wissen. Damit war alles gesagt. „Es tut mir leid, aber ihre Großmutter ist heute morgen um 9 Uhr verstorben.“ Neuneinhalb Stunden später habe ich also selbst herausgefunden, dass sie gegangen ist. Niemand hatte den Arsch und Anstand, mich zu informieren. Den Enkel. Selbst wenn es keinen Kontakt mehr gab und gibt, wäre das einfach nur anständig gewesen und hätte Größe gezeigt.

Was danach kam? Eine Odyssee. Es war doch klar, dass ich auch keine Informationen bekommen werde, wann deine Trauerfeier stattfindet. Wer nicht anrufen kann, wann du gegangen bist, wird mich auch nicht informieren, wann ich Abschied nehmen kann. Wo ist ja klar. Also komme ich dich besuchen. Also? Muss ich mich informieren. Ich habe abgewartet. Ich habe recherchiert. Ich habe versucht, die Pastorin der Gemeinde anzurufen. Ich wusste ja, dass sie dich zu Feiertagen und Geburtstag besucht hat. Sie wussten nichts. Ich habe die Friedhofsverwaltung angerufen, wo Oppa seine Grabstelle hat. Sie wussten nichts. Ich habe den damaligen Bestatter angerufen, das lag ja nah, dass es bei dir der gleiche wird. Die wussten nichts. Aber sie hatten einen Tipp. Ich habe also das Standesamt angerufen. Die wussten alles. Und sie haben mir auch deinen Bestatter gesagt. Und ich habe mit dem Bestatter gesprochen. Jetzt wusste ich, dass nichts so wird, wie es sein soll. Ein anonymes Begräbnis. Nicht neben Oppa. Keine Trauerfeier. Nichts. Ein Wiese auf einem Friedhof irgendwo in der Region. Und ich habe auch den rausgefunden. Ich werde dich besuchen.

Ich sehe jetzt erst, dass ich im eigentlichen Blogbeitrag schon einiges davon erwähnt habe. Seht es mir nach. Die Worte wollten und mussten raus. Ich versuche jetzt freizulassen. Die Wut auf die beiden. Ich habe keine Ahnung, ob es klappt. Eigentlich möchte ich noch etwas daran festhalten, damit ich sie hassen kann und einen Grund habe, gar nicht erst auf den Gedanken zu kommen, dass sie … ich bleibe einfach noch wütend. Danke Omma, für dich und alles.

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2 Kommentare

  1. Ich bin tief bewegt von Deinen Worten. So voller Liebe für Deine Großeltern. Ich wünsche Dir von Herzen ganz viel Kraft auf diesem weiteren schweren Weg. Liebe Grüße Jutta

  2. Vielleicht später helfen deine Worte hier dich wieder zu erinnern…
    … Erinnerungen lösen sich auf oder verschwimmen mit der Zeit… (einer längeren)
    Nimm dir am Zeit die du brauchst… Abschied braucht Zeit, viele Menschen vergessen oft das es länger dauern kann, wo sich heut alles so schnell dreht…
    Doch Abschied hat kein Ablauf Datum, nur falls in ein paar Tagen Menschen, mit Sätzen kommen wie: jetzt muss es aber langsam wieder besser gehen…
    …mit blauen ? Grüßen

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