Ich manchen Situationen meines Lebens bin ich ein Held. Ja, ich mag den Begriff eigentlich nicht. Doch, irgendwie bin ich ein Held. Für mich. Ich schaffe es perfekt, mich in eine Situation zu bringen, die mich entweder herausfordert, oder einfach alles abverlangt. Wir könnten jetzt darüber sprechen, dass mir das Universum solange die gleiche Aufgabe gibt, bis ich sie richtig lösen kann, verstehe oder damit umgehen lerne. Gestern hatte ich so eine Aufgabe. Natürlich habe ich mir die selbst eingebrockt. Was denn auch sonst? Gestern war ein Abend, der mich an das Barcamp Hannover 2016 erinnert hat. Gestern habe ich mich in eine Lage gebracht, die jede antrainierte Souveränität infrage gestellt hat.
Stell dir vor, du bekommst eine Anfrage von der Hochschule. Stell dir vor, du darfst bei den Hochschultagen deinen Vortrag halten. Geiles Ding. Stell dir vor, es kommt noch eine Frage. Von der Hochschule. „Kannst du auch über Angst bzw. Prüfungsangst sprechen?“ Nein, ich weiß nicht, was mich geritten hat, sofort auf die Mail zu antworten. „Kannst du nicht, Markus, sag gleich mal Bescheid“, schoss es mir durch den Kopf. Manchmal – aber auch wirklich nur manchmal – machen meine Finger nicht genau das, was der Kopf vorgibt. „Ja, kann ich machen. Wann soll das denn stattfinden?“, haben meine Finger unbemerkt geschrieben und verschickt. Scheiße! Arschkarte. Ja, natürlich kann ich über Angst sprechen. Natürlich habe ich Beispiele. Natürlich habe ich mich schon mit Entstehung von Ängsten auseinandergesetzt, gerade weil kürzlich erst eine nicht so gute Phase war. Es ist also machbar. Ich schaffe es ja mit meinem Hauptthema auch.
Gute Vorbereitung ist alles.
Natürlich schaffe ich das. Es ist nicht machbar, ich schaffe das. Ich packe also alles aus, mit dem ich mich in der letzten Zeit beschäftigt habe. Keine Powerpoint machen, das ist sowas von 1980er. Und schon gar nicht schwarze Schrift auf weißem Grund. Karten. Moderationskarten. Dann kann ich mir wenigstens das Wichtigste aufschreiben, mal unbemerkt draufgucken und weitermachen. Außerdem verfestigt das Aufschreiben ja das Wissen. Und anstatt einfach nur irgendwas von mir zu erzählen, packen wir noch etwas Fachwissen über die Funktionen von Hirnstamm, Zwischenhirn und Hirnrinde rein. Damit wäre auch die Logik unseres Denkens bei Ängsten erklärt. Geil, oder? So einfach geht das. Blöd nur, dass das eben nicht so einfach funktioniert. Ich habe mir einen schönen Plan zurechtgelegt. Ich bin tagelang meinen Vortrag durchgegangen. Eine Stunde Redezeit, Fragen und Gespräche, eine Übung. Eine Übung? Ja, es lag an der Hitze. Ja, irgendwas war in dem Moment der Idee nicht richtig verknüpft. EINE ÜBUNG! So eine bescheuerte Idee. Ja, Interaktion ist wichtig. Ich bin eben keiner, der nur vorne steht und seinen Stoff runterquasselt. Ich binde die Menschen mit ein. Aber eine Übung? Ja, ich bin also gut vorbereitet. Ich fühle mich wohlig angespannt, ich bekomme das hin.
Ich habe diesen wunderbar ausgearbeiteten Plan nur nicht mit meinem Kopf gemacht. Der war nämlich gestern morgen der Meinung, mich nochmal kurz darauf hinzuweisen, dass doch bitte etwas demütiger mit dem Umgehen soll, was ich mache. Da ist sie also, diese Situation, die ich vergessen habe. Angst, dass ich nur die Hälfte erzähle. Angst, dass es durcheinander ist, was ich erzählen möchte. Angst, das mein Plan nicht aufgeht. Angst, dass es viel zu kurz wird. Angst, dass es nicht so interessant ist, wie es beworben wurde. Angst, dass ich diesen Vortrag einfach komplett versaue – eben wie beim Barcamp. Wundervoll, wie dieser Kopf dann alles auspackt, was schief gehen kann! Wirklich wundervoll. Der einzige Vorteil: Es kommt keine Langeweile bei der Autofahrt auf. Wir – der Kopf und ich – durchdenken dann alle möglichen Szenarien. Wenn ich das Auto parke ist eigentlich klar, dass die Anspannung soweit gewachsen ist, dass es nur noch schlecht werden kann. Schweißnasse Hände, die Konzentration ganz woanders, Unruhe, Angst. Und so viele Fragen. Wie immer. „Was werden die anderen von dir denken? Warum hast du heute wieder das bekloppte Hemd angezogen? Glaubst, du bist wirklich ausreichend vorbereitet? Meinst du echt, du kannst das so rüberbringen, dass du die Mischung hast, die du dir vorgenommen hast? Wie viele kommen überhaupt?“ Hauptsache nicht so viele, dann blamiere ich mich nicht gänzlich. Faszinierend. Ich wünsche mir plötzlich nicht viele Zuhörer und Mitreder wie sonst, nein, ich wünsche mir so wenig wie möglich. Interessant ist auch, dass ich während der Fahrt den ganzen Vortrag immer wieder durchgegangen bin, aber mir nicht mehr das Wort Zwischenhirn eingefallen ist.
Wenn du vor einem Vortrag über Angst all das anwenden musst, über was du redest, dann verbockst du es auch. „Es lief nicht“, dachte ich. „Es war echt gut und authentisch“, sagten sie. Und ich? Nehme an, reflektiere, verbessere und mach das nochmal. Danke #Fulda. pic.twitter.com/qsvXKF69DO
— Herr Bock (@verbockt) 8. Juni 2018
Rein. Durchhalten. Annehmen. Raus.
„Hallo, mein Name ist Markus. Und bevor ich heute mit Vortrag anfange, muss ich euch etwas beichten. Ich habe Angst. Vor genau dieser Situation. Ich habe den ganzen Tag schon Angst, dass ich das heute Abend nicht hinbekommen werde. Ich habe keine große Erfahrung mit Prüfungsangst, aber ich habe Angst vor anderen zu sprechen. Ich habe zwar 75 Leseabende mit meinem eigentlichen Thema Depressionen und Suizidgedanken gemacht, aber das heute ist das erste Mal mit einem neuen Thema.“ Da steh ich nun vorne. Verstecke mich hinter einem Pult. Schwitze und weiß genau, es wird nicht rund laufen. Einige Situationen konnte ich überspielen und retten, aber da waren Blackouts, Wiederholungen, Leerlauf, Suchen auf den Karten. Ich weiß das, ich habe das gemerkt, ich habe einen Plan gehabt, den ich nicht mal ansatzweise hinbekommen habe. Aber: Ich konnte die drei Gehirnteile und ihre Funktion erklären. Hurra! Ein verschwindend geringer positiver Teil, wenn ich auf den Rest gucke. Nicht nur, dass ich meine Blackouts merke, nein, sie reißen mich auch in eine Laune. Ich lache, aber nur nach außen. Ich wirke irgendwie, aber in mir drin nicht stabil. Die Konzentration schwenkt ständig vom Erzählen zum Denken. Ich hab ihn also zurück. Meinen persönlichen Supergau. Es ist all das passiert, was ich nicht haben wollte. Obwohl ich den ganzen Tag versucht habe, meine Anspannungskurve zu senken. Ich habe versucht, mir den Abend vorzustellen – so, wie er gut laufen würde und dieses Gefühl abzuspeichern. Ich habe mir den schlimmsten Fall ausgemalt. Ich habe ne Achtsamkeitsübung gemacht. Ich habe anders geatmet. Und ich habe mich glauben lassen, dass es auch reicht, wenn der Vortrag einfach nur gut ist. Das Minimalziel war Zufriedenheit.
Fremd- und Selbstwahrnehmung
Ich habe es nicht geschafft, mir diesen Abend auf der Heimfahrt kaputt zu machen. Ich habe gestern nicht verstanden, warum zwei Mal geklatscht wurde. Ich habe doch keine Erwartung erfüllt! Ich .. es war einfach ein schwieriger Abend. Ich habe ja sogar beim Sprechen gemerkt, was ich anders machen muss kann. Das Gefühl war dennoch schlecht. Diese Unzufriedenheit. Diese eingebrannte Unzufriedenheit und das Wissen, dass es doch nicht so einfach ist, wie ich mir das vorgestellt habe. Und das Feedback? „Danke, dass du so ehrlich und authentisch warst.“ „Ich glaube, du hast heute allein mit deiner Anwesenheit anderen die Chance gegeben, in der Clique oder woanders darüber zu sprechen. Das ist sehr sehr viel Wert.“ „Toll, dass du das gemacht hast. So konnten andere auch von sich berichten und sich hier etwas austauschen.“ „Ich glaube, heute haben einige wieder etwas für sich mitgenommen.“ „Ich fand das heute wirklich gut.“ So ist das eben mit der Wahrnehmung. Ich habe mich – wie so oft – negativer wahrgenommen, als die, die mir zugehört haben. Und nein, ich kann ja nicht wissen, wie gut es ist, wenn keiner was sagt. Nun haben gestern so viele etwas dazu gesagt. Jetzt habe ich den Ball. Ich gucke, ob es wirklich so ist. Ich versuche, das Gute zuzulassen.
Gut ist gut. Punkt.
Was ist denn nun positiv? Ich habe mich der Situation gestellt. Die Aufgabe kam zum richtigen Zeitpunkt. Es war ein Überprüfen und Zurückholen. Ich habe mein Portfolio um 100% erweitert. Ich habe durch die Recherche vorher auch eine Menge für mich selbst gelernt. Vor allem, was ich irgendwie schon immer gemacht habe. Ich habe auch ein paar Situationen bei mir anders verstehen können. Manchmal ist es dann ein Satz, der das eigene Denken verändern kann. Ich habe Räume geschaffen, zu Gesprächen eingeladen, Möglichkeiten geboten und auch ein paar Ängste genommen. Ich hab etwas Wissen, aber vor allem Erfahrung genommen. Ich war authentisch und ehrlich. Und ich weiß, dass das Thema so verdammt wichtig an Schulen ist. Prüfungsangst. „Wenn nur einer davon etwas mitnimmt und verändert, habe ich gewonnen.“ Ja, dieser Satz ist von mir. Und ja, vielleicht kommt es nur darauf an. Es ist ja auch keiner wild entschlossen raus gegangen. (Anm. Warum eigentlich nicht?) Auch wenn sich bei mir das große gute Gefühl noch nicht einstellt, war es gut. Punkt. Damit können wir erstmal alle leben, oder?
Ich kann mich nur bedanken, es war für mich eine wichtige Lektion. Ich werde etwas Feintuning betreiben und dann sehen wir uns sicher nochmal irgendwo mit dem Thema. Alles braucht einen ersten Schritt und Anfang. Der war gestern. Und ich höre hier nicht auf, ohne einen Wunsch zu haben. Liebe Studenten, nutzt die Angebote der psychosozialen Beratung – sofern sie vorhanden sind. Macht das nicht alles mit euch alleine aus. Stresssituationen sind vorprogrammiert, wenn es in Richtung Prüfungen geht. Sprecht drüber, macht euch Lehrpläne, setzt euch erreichbare Ziele, aber setzt euch nicht unter Druck. Macht euch nicht wahnsinnig mit „Was wäre wenn?“. Die Hochschule in Fulda hat diese Beratung im Rahmen eines zweijährigen Projektes geschaffen und findet großen Anklang. Diese – meine Abende – tragen dazu bei, dass ihr das nutzen könnt. Informiert euch, schreibt ne Mail da hin, es lohnt sich.
4 Kommentare
Dazu fallen mir genau zwei Dinge ein:
Wow!!!
Chapeau!!!
<3
Moin Markus,
ja, ich verstehe das (dein!) Dilemma zwischen der Wahrnehmung deiner Zuhoerer und Zuhoererinnen und deiner eigenen. Und ich verstehe auch die Schwierigkeit das eigenes Empfinden dann so zu drehen dass es in etwa deckungsgleich mit der Wahrnehmungen der anderen ist.
Ein zwei Gedanken zu deinem Abend in Fulda ? Man hat da ein Thema an Dich herangetragen wo Du – obwohl es Dir nicht ganz so gelegen kam – spontan zugesagt hast.
Warum meinst Du, haben die Verantwortlichen in Fulda dich gefragt ? Weil Sie dir zutrauen, zu diesem Thema „und ueberhaupt“ etwas wichtiges, wertvolles, den Zuhoerenden als Impuls, als Anregung weiterhelfendes sagen zu koennen.
Das ist das eine. Das andere ist, dass Du als Betroffener authentisch bist. Wenn Du sprichst, dann sind es deine Empfindungen, dein Erleben, dein Lebenslauf. Und keine Fallbeispiele aus irgendeinem Fachbuch, die man nachlesen kann.
Nein, da vorne steht dann ein Mensch.
Und es war auch, so finde ich, gut und wichtig, dass Du zu Beginn eingeraeumt hast, dass Du mit dem Abend, mit deinem Vortrag an jenem Abend Schwierigkeiten hast, die Angst hast, es zu verk**ken.
Dazu gehoert Ehrlichkeit, Souveraenitaet. Die muss man in der Situation erst einmal haben. Und die hattest Du in Fulda. (Die hast Du aber auch sonst ! :) )
Ernsthaft: Hut ab.
Du hast in deinem Podcast auf die Frage, warum Du das alles machst auch von Berlin erzaehlt; von Therapeuten die sich bei Dir bedankt haben weil Du eben als Betroffener Sichtweisen aufzeigst die Betroffene ihrem Therapeuten (oder, kurz „dem ausgebildeten Fachpersonal“ gegenueber) nicht trauen zu erzaehlen.
Damit will und kann ich nicht die Wichtigkeit von Fachpersonal und Beratungsstellen in Frage stellen. Die sind sehr sehr wichtig, und wie es in deinem Blogbeitrag weiter oben schreibst, die Angebote sind dafuer da genutzt zu werden.
Aber diese Abende, deine zum Beispiel wirken in meinen Augen doch mehr nach als wenn jemand vom gruenen Tisch, der aus der Theorie heraus Ratschlaege gibt. Warum ?
Weil bei Veranstaltungen wie bei deiner da vorne ein Betroffener steht, der auch Angst in bestimmten Situationen hat, der auch kaempft (immer wieder) und in solchen Situationen beides ist: verletzlich und stark zugleich.
Liebe Gruesse,
Uwe
Krass – koennte ich sein…
Hab ich auch schon so oft erlebt und erlebe es immer wieder…
Da machst du dir einen genauen Plan und hast eine genaue Vorstellung wie es laufen soll – und dann kommt alles ganz anders…
Die anderen fanden es voll gut – nur
du findest es scheisse, weil du weisst, wie es haette besser sein koennen – aber das weisst ja nur du.
Aber was solls – den anderen hat es ja auch so gefallen. Es sind ja nur deine eigenen hohen Ansprueche, die es dir selbst versauen, anstatt das Lob der anderen einfach anzunehmen….
Ja EINFACH ANNEHMEN – wenn es denn einfach nur so einfach waere….
Das Wichtigste ist, glaube ich, nicht aufzugeben – immer wieder aufzustehen und es erneut versuchen – auch wenn es extrem schwer faellt, weil man das Gefuehl des Versagens nicht nochmal erleben will.
Man muss lernen, sich damit abzufinden, dass es „perfekt“ nicht gibt und dass gut gut genug sein kann und man eben nicht versagt hat.
Sich selbst loben fuer das, was man geschafft hat, sich erlauben stolz zu sein. Das was nicht so gut gelaufen ist nicht als Katastrophe und Versagen zu sehen, sondern als Erfahrung stehen zu lassen, aus der man lernen und es dann besser machen kann – aber Vorsicht: Perfekt gibt es nicht ;-)
Soweit die Theorie… – die Praxisumsetzung ist harte Arbeit…